Kommentar Evangelischer Kirchentag: Auf die Liebe kommt es an
Religionen sind schön und gefährlich. Das Bekenntnis des IS zum Anschlag in Manchester zeigt, dass er seine Religion schrecklich missverstanden hat.
E s wird wieder schöne Bilder geben für die Medien: junge Menschen in der Sonne, mit Kirchentagsschals um den Hals, lachend, singend, betend – und so unbeschwert, dass man träumt: Warum kann es nicht immer so sein?
Und dagegen diese anderen Bilder, die uns seit der Nacht zu Dienstag verfolgen: Tote, verletzte, weinende und geschockte junge Menschen, die in Manchester ein Konzert einer Sängerin besucht hatten, die so harmlos ist, wie Pop sein kann: eine kleine Flucht in simplen Akkorden und fleißig geübten Tanzschritten, der Traum von einer schönen, besseren Welt.
Wir müssen uns diesen Traum erhalten, denn er gibt uns Kraft. Der an diesem Mittwoch in Berlin beginnende Evangelische Kirchentag ist das Fest, das diese Kraft feiert. Ohne zu vergessen: Religionen sind schön und gefährlich. Sie bringen das Beste in uns hervor und das Schrecklichste, alle Liebe und allen Hass.
Der Attentäter in Manchester war ersten Erkenntnissen zufolge ein Selbstmordattentäter. Das Bekenntnis des IS zu der Tat spricht dafür, dass er seine Religion so schrecklich missverstanden hat, dass er wahnhaft glaubte, er gehorche Gott, indem er andere Menschen tötet.
Muslimische Verbände in aller Welt werden betonen, das alles habe nichts mit dem Islam zu tun – und auch auf dem Kirchentag wird das auf vielen der dutzenden Veranstaltungen zum interreligiösen Dialog zu hören sein. Doch 500 Jahre nach dem Beginn der Reformation ist klar: Das hat etwas mit dem Islam zu tun, ebenso wie die Kreuzzüge etwas mit dem Christentum zu tun hatten und der Judenhass in Deutschland mit der Hetze Martin Luthers gegen unsere älteren Brüdern und Schwestern, um es christlich-theologisch zu sagen.
Gewalt ist jeder Religion eingeschrieben, nicht nur den monotheistischen, wie man etwa im buddhistisch geprägten Myanmar oder im hinduistisch gefärbten Indien derzeit beobachten kann. Es kommt darauf an, diesen Gewaltkeim einzuhegen und die Liebesbotschaft zu betonen, die den wirklichen Kern aller Religionen ausmacht, einerlei, was religiöse Hetzer oder simplifizierende Atheisten in aller Welt uns einreden wollen.
Veranstaltungen wie der Kirchentag dienen dazu. Denn sie sind auch dies: ein Stück Gegenöffentlichkeit, intellektuelle Selbstbefragung, hierarchiefreie Orte der Selbstkritik. Dies fordert der Glaube, Gewalt fordert er nicht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen