Mit dem Ausscheiden der DFB-Elf ist der Blick frei auf ausbalancierte Schweden und wagemutige Russen. Eines steht fest: Das Turnier geht gerade erst los.
Erstaunlich stabile Schweden feiern ihren Sieg gegen Mexiko
Foto:
dpa
Was wurde über die Schweden gelästert! Unbeweglich, uninspiriert, im Grunde sturmlos; ein Haufen Holzer, ohne Sinn für den Ball; eine limitierte Mannschaft, ohne Glanz und Perspektive. Auch an dieser Stelle hieß es: hüftsteif wie ein Flipboard, ungelenk und unterzuckert. Tannen, Lärchen, Fichten! So stand es hier. Es focht sie nicht an.
Gegen Mexiko haben sie ein herausragend realistisches Spiel gemacht. Fünf Mal haben sie aufs Tor geschossen, drei Tore daraus destilliert. Der erste Treffer, kaum zu glauben, fiel obendrein aus dem Spiel heraus, und es soll sogar zu einem Fallrückzieher gekommen sein. Zu einem Fallrückzieher! Von Schweden! Das hat man ja seit Jahrhunderten nicht mehr gesehen.
Die schwedische Mannschaft steht sinnbildlich dafür, was man nicht hat erwarten können – oder eben auch nicht hat erwarten wollen. Es gab nicht diese Fülle an Überraschungen, wie sie die WM 2014 bereithielt, dieses Underdog-Turnier. Man hat in Deutschland etwas aus den Augen verloren, wie viele Wundertütengeschichten dort geschrieben wurden, weil wegen Mario Götze usw. Triumphe sind Balken im eigenen Auge. Beim jetzigen Turnier aber haben die Fans der deutschen Mannschaft die Gelegenheit, sich all den Phänomenen zu widmen, die vorauszusehen die Fixierung auf nur ein Team verhinderte.
Es ist freilich nicht nur das erstaunlich stabile, ausbalancierte Schweden, sondern auch Mexiko, das einen fein geschliffenen Konterfußball zu zelebrieren in der Lage ist und mit Ochoa einen Torhüter hat, dessen Paraden die Eleganz und Extravaganz eines Ballkleides haben. Es gibt auch Russland, selbstverständlich, das vorher (auch hier!) als mutmaßlich schwächster Gastgeber aller Zeiten galt und sich dann mit Wagemut und Entschlossenheit in das Turnier hineinrammte, als gäbe es dahinter Freibier.
WM 2018: Und raus bist du!
Kroatien ist bei dieser WM genau genommen nicht ausgeschieden. Das Finale haben sie trotzdem mit 2:4 gegen Frankreich verloren. Und Mandzukic (Foto) geht als erster Eigentorschütze in die WM-Geschichte ein.
dpa
Belgien verliert das Halbfinale mit 1:0 gegen Frankreich. Im Spiel um den dritten Platz können die Belgier jedoch punkten: sie gewinnen 1:0 und erklimmen damit das WM-Treppchen. Ein historischer Erfolg.
AP
Ein zerplatzer Traum: Die letzte WM-Finalteilnahme der Engländer war im Jahr 1966 im eigenen Land. Auch dieses Mal hat's nicht gereicht; die Mannschaft verliert im Halbfinale 2:1 gegen Kroatien. Auch im Spiel um den dritten Platz müssen sie sich geschlagen geben: Belgien gewinnt 1:0.
AP
Igor Akinfeew, im Achtelfinale gegen Spanien noch Elfmeterkiller, muss diesmal zu oft hinter sich schauen. Dennoch: Das in der Fifa-Rangliste schwächste Team hat sich hervorragend geschlagen, Zeiter in der Gruppe A, Spanien rausgeworfen, gegen Kroatien im Viertelfinale gut mitgehalten. Tolles Heimturnier.
Reuters
Weit gekommen, gut verteidigt, Deutschland und die Schweiz rausgeschmissen: Schweden scheitert erst im Viertelfinale mit 0:2 gegen England.
dpa
Brasilien war stark. Aber Belgien war stärker. Das Aus für Neymar und Co kam im Viertelfinale nach einem 1:2.
dpa
Uruguays Torwart Muslera patzt: Frankreich gewinnt das erste Viertelfinale mit 2:0, die Urus (ohne den verletzten Cavani) sind raus. Dennoch: Starker WM-Auftritt von Uruguay. Souverän in Gruppe A gewonnen und ein gutes Achtelfinale gegen Portugal abgeliefert.
Reuters
Achtelfinale. England gewinnt gegen Kolumbien. England gewinnt gegen Kolumbien im Elfmeterschießen. Kein Witz. Kolumbien fährt heim.
Die Schweizer können ihrer Favoritenrolle nicht gerecht werden. Emil Forsberg erzielt für Schweden in der 65. Minute den einzigen Treffer des müden Achtelfinales. Michael Lang (Schweiz, Foto) schleicht vom Platz.
dpa
Japan schockt im Achtelfinale die favorisierten Belgier mit einem Doppelschlag nach der Pause: erst Haraguchi, dann Inui (Foto). Doch Belgien kommt zurück und schafft mit einem Tor in der Nachspielzeit den Lucky Punch. Japan muss heimfahren.
Reuters
Torhüter Guillermo Ochoa kann dem Ball nur noch entgeistert hinterhergucken - das 2:0 durch den Brasilianer Willian besiegelt das Ausscheiden von Mexiko, das einigen bis dahin als Geheimfavorit gegolten hatte.
dpa
Kroatien setzt zum Jubel an, Dänemark versteift. Erst im Elfmeterschießen konnten sich die Kroaten durchsetzen und treffen im Viertelfinale auf Russland. Dänemark scheidet als starke Defensivmannschaft im Achtelfinale aus.
dpa
Russlands Torwart Akinfeew hält im Elfmeterschießen zwei Elfer, einen von Koke (im Bild). Die sehr defensiv spielenden Russen kommen ins Viertelfinale. Für Spanien, den Weltmeister von 2012, ist im Achtelfinale Schluss.
dpa
Ein schönes, faires, sportliches Bild: Cristiano Ronaldo (Portugal, r.) führt den verletzten Edinson Cavani (Uruguay), der zuvor zweimal getroffen hatte, vom Feld. Wenn es ums Ergebnis geht, ist das Bild spiegelverkehrt. Uruguay ist mit weiter, Portugal scheidet im Achtelfinale nach einer 1:2-Niederlage aus.
dpa
Argentiniens Torwart Franco Armani fliegt umsonst: Benjamin Pavard trifft zum 2:2. Frankreich gewinnt das erste Achtelfinale der WM mit 4:3 und zieht ins Viertelfinale ein. Argentinien ist raus!
dpa
Vorrundenaus: Senegal, 4 Punkte, 4:4 Tore, Gruppe H: einmal gewonnen, ein Unentschieden, einmal verloren. Punkt und torgleich mit Japan. Raus wegen Fairplay: Japan hatte am Ende zwei gelbe Karten weniger. Ganz bitterer Abschied für Senegal.
AP
Polen, 3 Punkte, 2:5 Tore, Gruppe H: Seit 12 Jahren hat Polen mal wieder an einer WM teilgenommen, die Erwartungen der Fans waren hoch. Aber Robert Lewandowski und seine Mitspieler lieferten nicht.
imago/RussianLook
Panama, 0 Punkte, 2:11 Tore, Gruppe G: Panama hatte bei seiner ersten WM nicht das größte Glück, mit Belgien und England als Gruppengegner. Aber: Die Mittelamerikaner haben ihr erstes WM-Tor geschossen – gegen England! Gegen Tunesien hätte es fast noch zu einem Punkt gereicht. Fast.
imago/ZUMAPress
Tunesien, 3 Punkte, 5:8 Tore, Gruppe G: Tunesien war neben Marokko das einzige Außenseiterteam, das versuchte, offensiv zu spielen. Auffällig war, dass die Tunesier am Anfang (Minuten 0 bis 10) und am Ende des Spiels (85. Minute bis Ende der Nachspielzeit) schwach waren. Nach einem knappen Sieg gegen Panama schieden sie aus.
imago/ZUMAPress
Deutschland, 3 Punkte, 2:4 Tore, Gruppe F: Schland unter, das war's. Der amtierende Weltmeister und Gruppenfavorit verliert gegen Mexiko und Südkorea und scheidet damit in der Vorrunde aus. Verdient.
AP
Südkorea, 3 Punkte, 3:3 Tore, Gruppe F: So sehen glückliche Verlierer aus. Trotz WM-Aus kann sich Südkorea über ein verdientes 2:0 gegen Deutschland freuen. Die Südkoreaner scheiden als Gruppendritter vor Deutschland aus dem Turnier aus.
dpa
Costa Rica, 1 Punkt, 2:5 Tore, Gruppe E: Im letzten Spiel sicherte man sich knapp noch einen Punkt. Geholfen hat es nicht: Das Team muss nach der Vorrunde nach Hause fahren.
Reuters
Serbien, 3 Punkte, 2:4 Tore, Gruppe E: Zuletzt traf Serbien 2014 in einem Freundschaftsspiel auf Brasilien – und gewann mit 1:0. Vier Jahre später verlieren die Serben 0:2. Damit sind sie raus aus dem Turnier.
dpa
Island, 1 Punkt, 2:5 Tore, Gruppe D: Island ist das Team, dass irgendwie jeder mag. Die Isländer spielen körperbetont, aber nicht unfair und sie agieren als Team. Bei ihrer ersten WM-Teilnahme konnten sie zwar nicht in die K.o.-Phase vordringen, aber sie haben mit drei guten Partien gegen starke Teams eine gute Premiere hingelegt.
imago/Xinhua
Nigeria, 3 Punkte, 3:4 Tore, Gruppe D: Ach ja, Nigeria. Es ist in den letzten vier Weltmeisterschaften immer dasselbe: Man ist mit den Argentiniern in der Gruppe, um knapp an ihnen zu scheitern.
imago/ZUMAPress
Australien, 1 Punkt, 2:5 Tore, Gruppe C: Australien hat in dieser WM mal wieder überrascht. Aufgrund ihres Kaders, der größtenteils mit Spielern aus zweitklassigen Ligen besetzt ist, wurden die Australier mehr oder weniger abgeschrieben. In einer schweren Gruppe konnten sie aber mit jedem Gegner mithalten – fast.
imago/SvenSimon
Peru, 3 Punkte, 2:2 Tore, Gruppe C: Peru hat die leidenschaftlichsten Fans der WM – eine riesige WM-Euphorie. Im letzten Spiel zeigten die Peruaner dann, wie stark sie wirklich sind und besiegten Australien mit 2:0.
imago/SvenSimon
Marokko, 1 Punkt, 2:4 Tore, Gruppe B: Marokko ist der Pechvogel der WM. Gegen Iran verlor man wegen eines Eigentores in der 95. Minute. Marokko hat außerdem, im Gegensatz zu vielen Underdogs, das ganze Turnier über versucht, offensiv zu spielen. Gegen Portugal und Spanien war das Team durchaus ebenbürtig.
imago/UPIPhoto
Iran, 4 Punkte, 2:2 Tore, Gruppe B: Der Iran hat bei der WM positiv überrascht. Besonders beeindrucked war, dass die Iraner sich von Spiel zu Spiel verbessert haben. Sie brachten sowohl Spanien als auch Portugal ins Schwitzen.
imago/IndependentPhotoAgencyInt.
Ägypten, 0 Punkte, 2:6 Tore, Gruppe A: Auch Ägypten stellte einen Rekord auf. Im Tor vertraute das Team auf den ältesten Spieler der WM-Geschichte, den 45-jährigen Torwart El-Hadary. Ansonsten bot Ägypten ohne Mohamad Salah im 1. Spiel gegen Uruguay offensiv nichts, Salahs zwei Tore in den anderen Spielen halfen auch nicht mehr.
imago/Golovanov+Kivrin
Saudi-Arabien, 3 Punkte, 2:7 Tore, Gruppe A: Saudi-Arabien hat einen speziellen Rekord aufgestellt. Mit 5:0 erlitten die Saudis eine der härtesten Eröffnungspleiten der WM-Geschichte. Trotzdem sind sie nicht so schlecht aufgetreten wie erwartet.
imago/Bildbryan
Und da ist auch das ungeheuer kultivierte, gut abgehangene Japan, das in großer Ruhe einen Ballbesitzfußball praktiziert, der dahinfließt wie ein auengesäumter Fluss. Kolumbien vielleicht, das ein Haufen Granit ist, wie die Notre-Dame in Paris auch. Oder eben Senegal, mit seiner schnörkellosen Zielstrebigkeit. Vor allem aber auch England, das endlich seine Körperlichkeits-Obsession in Dynamik übersetzt bekommt; jahrzehntelang war Englands berühmtestes Fußballbild jenes von Terry Butcher, wie er nach einem Spiel mit blutdurchtränktem Mullturban, feine rote Rinnsale im Gesicht, den Blick zur Seite lenkte.
„Seht euch die Spiele selbst an“
Es illustrierte, was der Journalist Simon Kuper meinte, als er sagte, England versuche bei jedem Spiel, die Schlacht von Dünkirchen nachzustellen. Man wird, das verspricht diese Vorrunde, für die Three Lions neue Bilder finden müssen.
Und es sind auch die Spieler: Isco, der wilde Kerl, der den arrivierteren Spielern Spaniens das Spiel aus der Hand gerissen hat. Er, als Mittelfeldspieler, ist der Herzschrittmacher dieser Maschine, die Spanien ist. Romelu Lukaku, über den Schiller einst schrieb: „Vor Unwürdigem kann dich der Wille, der ernste, bewahren, alles Höchste, es kommt frei von den Göttern herab.“ Und werden die Gebrüder Blattschuss da im kroatischen Mittelfeld weiterhin mit Präzision Tackling und Torschuss verbinden?
Aber es sind freilich nicht nur die unerwarteten Siege, es ist obendrein das Scheitern jener, die auf dem Thron sitzen. Wie oft wird Neymar es noch schaffen, über den Boden zu rollen, ohne dass sich seine Beine verknoten? Und wird Ronaldo seiner Mannschaft etwas Glamour verpassen können? Wird Frankreich aus seiner Pomadigkeit erwachen, wird Argentinien ein System finden, das nicht wie in einem wirren Fiebertraum ersonnen wirkt?
Vieles davon wurde vorab beantwortet (auch hier!), und vieles davon falsch. Dieses Spiel ist unvorhersehbar, und die Spiele jetzt werden es umso mehr. „Liebe Leser“, schrieb ein gewisser F. Richard bereits 1923 im kicker, „habt Mißtrauen zu euren Sportkritikern! Seht euch die Spiele selbst an.“ Eben, eben.
Im Übrigen bin ich der Meinung, dass der deutschen Mannschaft Sandro Wagner gutgetan hätte.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei?
Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!