Kommentar Böhmermann: Heiß gelaufen bis zur Epilepsie
Jan Böhmermann ist weder Lümmel noch Märtyrer. Er ist genau der hyperrechtschaffene Hofnarr, den unsere Republik sich gern hält.
E in Mann kommt nach Hause, seine Ehefrau liegt im Bett. Im Schrank entdeckt er ihren nackten Liebhaber. Sagt der Mann: „Überall nur Böhmermann, Böhmermann und Böhmermann. Bin ich froh, dass du es bist, Klaus.“
Ein Cartoon, der den Hype auf einen vorläufigen Punkt bringt. Überdruss. Inzwischen wissen wir, dass Debatten, wenn sie sich zu lange im roten Bereich bewegen, ein ähnliches Schicksal erleiden wie Zweitakter: Kolbenfresser, nichts geht mehr. Und im roten Bereich bewegen sich weite Teile der Gesellschaft seit über einer Woche, wenn es um Böhmermann geht.
Ganz gleich, ob wir es eine „Staatsaffäre“ nennen, einen „Skandal“ oder eine „Causa“. Tatsächlich handelt es sich um einen epileptischen Anfall der Öffentlichkeit, der am Freitagnachmittag mit Merkels öffentlicher Ankündigung, dem Verlangen der Türkei nach Strafverfolgung stattzugeben, einen Kulminationspunkt erreichte.
Noch bevor die offizielle Reaktion klar war, herrschte an Wortmeldungen aus mehr oder weniger berufenem Munde kein Mangel: von Steffen Seibert bis Bushido, von Yanis Varoufakis bis Lukas Podolski, von Matthias Döpfner bis Jürgen Todenhöfer, von Feridun Zaimoğlu bis Sophia Thomalla. Je nach Charakter oder Kontostand flochten seine Kollegen dem „Delinquenten“ Lorbeerkränze, sprangen auf das Trittbrett oder beglichen offene Rechnungen. Zeitungen druckten frech das fragliche Schmähgedicht nach oder erklärten salbungsvoll, warum sie davon Abstand nehmen.
Hinz und Kunz promovieren plötzlich zu Kartografen des Komischen und brechen über Nacht auf, die „final frontier“ unserer Medienöffentlichkeit zu erkunden. Wo mögen sie wohl diesmal liegen, die sagenhaften „Grenzen der Satire“? Ist das noch Satire? Ist es Schmähkritik? Oder „Schmähsatire“ (Bernhard Pörksen)? Begleitet wird das kakofonische Meinungsgepolter vom üblichen Hochfrequenzgebrumm in den sozialen Netzwerken. Wobei völlig aus dem Blick gerät, worüber hier gestritten wird.
Die Sottisen passen ins machtpolitische Kalkül
Es geht um – aus dem Zusammenhang der Sendung gerissen und ihrer moderierenden Einbettung beraubt – ein paar Zoten fragwürdiger Qualität. Dabei bleibt auch ein Spiel mit rassistischen (und übrigens auch sexistischen) Stereotypen vor allem – ein Spiel. Zumindest so lange, bis der Betroffene es ernst nimmt. Wer sich den türkischen Präsidenten als osmanische Mimose vorstellt, geht dem Klischee vom ehrpusseligen Orientalen auf den Leim. Erdoğan passten die öffentlich-rechtlichen Sottisen aus Deutschland ins machtpolitische Kalkül. Ihm zugearbeitet zu haben, darf Böhmermann sich rühmen. Auch hierzulande bot sein Fall besonders reaktionären Kräften eine Bühne, um sich darauf als Hüter „westlicher Werte“ zu inszenieren.
Böhmermann ist weder Lümmel noch Märtyrer. Er ist auch nicht der Ingolf Lück seiner Generation. In seinem Intelligenzdünkel gleicht er eher einem Harald Schmidt auf Speed. Die eigene Dauerreflexion seiner Rolle als öffentlich-rechtlicher Moderator ändert aber nichts daran, dass er in seiner eifrigen Hyperrechtschaffenheit genau der Hofnarr ist, den diese Republik sich gerne hält. Er ist „ganz und gar ein Sohn Deutschlands“ (Antonia Baum), das auf diesen Sohn wahnsinnig stolz ist – und umgekehrt.
Für seinen „Varoufake“ bekam Böhmermann 2016 den renommierten Grimme-Preis, mit der Begründung, er habe mit seinem Verwirrspiel „die Medienrepublik in Aufruhr versetzt“ und „die Apparate für ein paar Stunden gestoppt“. Diesmal hat er die Apparate nicht gestoppt, er hat sie heißlaufen lassen. Mit Ansage. Wer von der sprungbereiten Erregungslust vernetzter Gesellschaften durch Nichtigkeiten noch nichts ahnte, der ahnt es jetzt. Danke, Böhmermann.
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