Kommentar „Bild“-Zeitung und SPD: Angriff statt Demut
Gesenktes Haupt gibt es für „Bild“-Chef Julian Reichelt nicht. Dabei hätte er allen Grund, sich für die Kampagne seiner Zeitung zu entschuldigen.
D er Anstand sagt: Wenn du einen Fehler gemacht hast, dann steh dazu und entschuldige dich. Julian Reichelt allerdings, der Chefredakteur der Bild-Zeitung, scheint es mit Anstand nicht so zu haben.
Die Bild hat einen Fehler gemacht: Sie ist auf gefälschte Mails hereingefallen, die ihr die Satiriker der Titanic untergejubelt haben. In diesen Mails bietet ein Juri aus St. Petersburg dem Juso-Vorsitzenden Kevin Kühnert an, ihn bei seiner Kampagne gegen eine Große Koalition zu unterstützen. Die Bild hob die Geschichte auf Seite 1 und titelte: „Neue Schmutzkampagne bei der SPD“. Erst am Ende des Textes räumte der Bild-Autor ein, dass es für die Echtheit der Mails keine Beweise gebe.
Nachdem sich die Titanic am Mittwoch zu der Aktion bekannt hatte, verteidigte sich der Bild-Chef Reichelt mit der Behauptung, Ausschlag für die Berichte seien nicht die Mails selbst, sondern die Ankündigung der SPD gewesen, Strafanzeige gegen unbekannt zu erstatten. Seitdem kann man Reichelt und seinen Schergen dabei zusehen, wie sie statt auf Demut voll auf Angriff schalten. Titanic-Redakteur Moritz Hürtgen hat dem russischen Staatssender Russia Today ein Interview gegeben. Russia Today wird das sehr gefreut haben, denn Reichelt ätzt gern gegen Russland – oft zu Recht.
Zugegeben, es war nicht besonders clever von Hürtgen, sich vor die RT-Kameras zu stellen. Aber nur weil er ein Interview gegeben hat, heißt das nicht, dass er mit RT zusammenarbeitet. Reichelt aber dient das Interview als willkommener Anlass, vom eigenen Versagen abzulenken. „Im Siegesrausch lässt sich @titanic prompt mit der Propagandaabteilung eines Regimes ein, zu dessen Agenda Zersetzung freier Medien gehört“, twitterte er.
Das ist lächerlich. Die Titanic-Redakteure sind Satiriker, keine Journalisten. Es ist ihre Aufgabe, mit den Mitteln der Satire zu unterhalten und im besten Fall Missstände aufzudecken. Es ist nicht ein Titanic-Redakteur im RT-Interview, der der Glaubwürdigkeit der Presse schadet. Es ist die Bild mit ihren unlauteren Methoden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Grünes Wahlprogramm 2025
Wirtschaft vor Klima
Tod des Fahrradaktivisten Natenom
Öffentliche Verhandlung vor Gericht entfällt
Energiewende in Deutschland
Erneuerbare erreichen Rekord-Anteil
Parteiprogramme für die Bundestagswahl
Die Groko ist noch nicht gesetzt