Kommentar Beisetzung in Chemnitz: Fußballfan und Nazi

In Chemnitz wird der Neonazi Thomas Haller beerdigt. Wer die Veranstaltung als „privat“ bezeichnet, muss auf dem rechten Auge total blind sein.

Ein blau-weißes Grabgesteck

Ein Gesteck in blau-weiß, den Vereinsfarben des Chemnitzer FC Foto: dpa

Privatveranstaltungen, die von Wasserwerfern und einem Großaufgebot der Polizei begleitet werden, sind in Deutschland glücklicherweise nicht die Regel. Dennoch hat die Chemnitzer Polizei die von ihr so intensiv betreute Zusammenkunft von etwa Tausend Menschen in der Stadt anlässlich der Beisetzung des verstorbenen Neonazis und Hooligans Thomas Haller genau so deklariert und damit entpolitisiert. Und auch die Stadt Chemnitz hat in einer Erklärung vorab diese Trennung vorgenommen.

Damit wird der Nährboden geschaffen, auf dem Rechtsextremismus bestens gedeihen kann. Es ist genau die Unterscheidung, die von den Rechts­extremen in den sozialen Netzwerken vorgenommen wurde, nachdem bundesweit vor gut einer Woche die Empörung über die Gedenkveranstaltung an Thomas Haller im Stadion des Chemnitzer FC groß war. Nicht einmal den Menschen und Fußballfan Haller dürfe man betrauern, hieß es vielfach. Und der Verein begründete in einer ersten Stellungnahme seine Helferrolle im Stadion mit dem Gebot der Mitmenschlichkeit.

Dieses deckungsgleiche Denken ist beängstigend. Wer glaubt denn im Ernst, dass die etwa Tausend Menschen am Montag in Chemnitz die so menschliche Ader von Haller, der in den neunziger Jahren die Gruppierung Hoonara (Hooligans, Nazis, Rassisten) mitbegründete, verband und verbindet? Ebendiesem Nazi und Hooligan wurde in Chemnitz das letzte große Geleit gegeben.

Zwar hatten einige Boulevardmedien mit einer noch viel größeren Anhängerschaft bei der Beerdigung gerechnet, aber auch die tausend Gekommenen sprengten den Rahmen des Intimen deutlich. Wer die Veranstaltung in die Sphäre des Privaten verortet, muss auf dem rechten Auge total blind sein.

Nicht zu trennen

Auch im Namen der Familie Haller wurde über die sozialen Netzwerke mobilisiert. Der Sohn bat dabei explizit darum, politische Äußerungen zu unterlassen. Wer sich aber eine private Beerdigung frei von politischer Vereinnahmung wünscht, der meidet das Internet als Plattform. Dass die rechtsextreme Szene just an dem Tag in Chemnitz zur Trauerfeier zusammenkam, als in Dresden der Prozess wegen des Messerangriffs in Chemnitz und des Todes von Daniel H. im August 2018 begann, mag Zufall sein. Thomas Haller hätte es vermutlich gefallen.

Denn der damalige Aufmarsch der rechten Szene in Chemnitz, der zur Jagd auf Ausländer in der Stadt führte, war unter anderem dem Aufruf der Kaotic Chemnitz, einer verbotenen Fangruppierung des Chemnitzer FC, geschuldet. Einer Szene, der Thomas Haller bis zuletzt sehr nahe stand. Auf der Beerdigung am Montag wurden ihm blau-weiße Kränze nachgetragen. Es sind die Vereinsfarben des Chemnitzer FC. Im Stadion huldigte man ihm dagegen mit einer schwarz-weiß-roten Pyroshow – mit den Farben der Rechtsextremen. Mal als Fußballfan, mal als Nazi. Trennen kann man beides nicht.

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Jahrgang 1971, bis Ende März 2014 frei journalistisch tätig. Seither fest mit dem Leibesübungen-Ressort verbunden.

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