Kommentar Abkommen über Idlib: Ein Tyrann hilft dem anderen
Russland und Syrien brannten darauf, die Rebellenstadt Idlib zurückzuerobern. Nun verhalf die Türkei Moskau dazu, das Gesicht zu wahren.
D er Sturm auf Idlib, die letzte Rebellenhochburg in Syrien, ist erst einmal verhindert, zumindest aufgeschoben worden. Das gab Moskaus Verteidigungsminister Sergei Schoigu noch am Rande des Treffens zwischen dem türkischen Präsidenten Recep Erdoğan und Kremlchef Wladimir Putin in Sotschi zu Protokoll. Bleibt es dabei? Nicht zuletzt hängt das von Baschar Assad ab und ob Moskau ihn zügeln will oder kann.
Eigentlich brannten beide, Damaskus und Moskau, auf die Entscheidungsschlacht. Nun sieht es gar so aus, als sei Erdoğan als Sieger aus dem Ringen hervorgegangen.
Moskau hat das Für und Wider einer nicht militärischen Initiative anscheinend noch einmal durchdekliniert und ist zu einem ungewöhnlichen Ergebnis gekommen. Langfristig möchte der Kreml das Nato-Mitglied Türkei dem Bündnis entfremden und Ankaras Beziehungen zum Westen weiter eintrüben. Mit der Türkei und China als engeren Partnern stünde der Kreml international nicht mehr so isoliert da.
Hätte Moskau stattdessen mit dem Bombardement Idlib wie Aleppo vom Erdboden getilgt, wären dies nicht nur schreckliche Bilder gewesen. Anhaltende Flüchtlingsströme in die Türkei würden belegen, wie Russlands Friedensaufbau tatsächlich aussieht. Es wäre ein Widerspruch zur russischen Propaganda gewesen, die unermüdlich vorgibt, bald könnten alle Flüchtlinge wieder in ihre Heimat zurückkehren.
Keine Offensive in Idlib heißt: auch keine weiteren Verluste für russische Militärs. Zinksärge hätten der Zustimmung für Putin keinen neuen Auftrieb verliehen. Außerdem versucht Moskau seit Längerem, im Westen Gelder für den Wiederaufbau Syriens zu erhalten. Selbst hat der Kreml nichts mehr und wäre auch nicht bereit, viel zu geben. Idlibs Ruinenhaufen wären kein Anreiz für großzügige Unterstützung. Ohnehin ist umstritten, ob einer zerstörenden Macht Aufbauhilfe zusteht.
Kurzum, der Tyrann aus Ankara verhalf dem aus Moskau dazu, das Gesicht zu wahren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Bankkarten für Geflüchtete
Bezahlkarte – rassistisch oder smart?
Nordkoreas Soldaten in Russland
Kim Jong Un liefert Kanonenfutter
Magdeburg nach dem Anschlag
Atempause und stilles Gedenken
Anschlag in Magdeburg
Der Täter hat sein Ziel erreicht: Angst verbreiten