Kolumne Schlagloch: Zeit für Sheroes
Die Quote ist nicht die Lösung, damit mehr Frauen in die Politik gehen. Wir brauchen eine Streitkultur, die zulässt, dass Frauen ihren eigenen Weg gehen.
S ahra Wagenknecht ist eine der wenigen Frauen im Land, die fast zu viel auf einmal kann: Politik messerscharf analysieren, ihre Gedanken klar artikulieren, bravourös Talkshows in roten Kleidern meisten und interne wie externe Machtkämpfe gewinnen. Sie kann für ökonomische Schwächere reden, obwohl sie selbst das Edle liebt. Jetzt kann sie erst einmal nicht mehr Fraktionsvorsitz. Zu viel Kampf, zu viel Stress.
Es sind Zeiten, in denen sich immer weniger Frauen in die Politik wagen. Zeiten, in denen so manche Männer sich wünschen, dieses „Gender-Gaga“ bliebe ihnen erspart. Im Kampf gegen den Backlash und die Rückkehr der Autoritären wird jetzt gern die Quote gefordert, vermutlich, weil sie kaum umsetzbar ist. Deutschland liebt unrealistische Forderungen, da lässt es sich schön lang ergebnislos an derselben Sache entlang debattieren.
Quoten führen noch lange nicht zum Ziel: Starke, eigensinnige Frauen, die unsere Gesellschaft mitgestalten, werden es damit nicht leichter haben. Wichtiger als Quoten, die vor allem harmonisch vernetzte und privilegierte Frauen in Machtpositionen bringen würden, sind neue Bilder von mächtigen Frauen, die keiner erwartet hat, wie sie uns derzeit das US-Repräsentantenhaus liefert.
Gäbe es dort eine Frauenquote, wären es wohl eher die privilegierten weißen Frauen geworden, die Tea-Partys in ihren feinen Wohnzimmern schmeißen. Doch Alexandria Ocasio-Cortez und viele andere Neue im Kongress, die Trump von nun an das Leben schwermachen, sind Vertreterinnen von Minderheiten. Nicht quotiert, sondern Teil eines Umbruchs.
Ich nenne solche Frauen Sheroes. Sie gehen nicht gegen Männer vor, sie gehen vor allem ihren Weg. Und weisen so Machtmänner in ihre Schranken. Sie knöpfen sich jene vor, die gerne die Zeit zurückdrehen würden – und setzen sich gleichzeitig für soziale Gerechtigkeit ein: Weil es oft Männer sind, deren Körper der Kapitalismus auszubeuten weiß. Alte weiße Männer wie Trump oder Bezos sind auch deshalb reich und mächtig, weil andere alte weiße Männer ihre Arbeitskraft zu billig verkaufen mussten. Sheroes sehen diese komplexen Zusammenhänge, sie machen es sich nicht leicht mit ihren Feindbildern. Schwarz-weiß ist nicht die Farbe der neuen Frauenbewegungen.
Eine Kultur der neuen Rollenbilder
Wir brauchen auch in Deutschland diese Kultur der neuen Rollenbilder. Mehr Bilder von Frauen, die ihren Weg auch in der Öffentlichkeit gegangen sind – so wie unsere Schweige-Queen Angela Merkel. Sie wollte nie über Feminismus reden, über ihre speziellen Herausforderungen und Kompetenzen als Frau. Doch als Trophäe können Feministinnen sie gut gebrauchen.
Sahra Wagenknecht war auch so eine Trophäe. Ihr Rückzug wird in vielen deutschen Frauen ein noch größeres Misstrauen gegen den Politikbetrieb wecken. Denn Quoten zu fordern, solange gleichzeitig eine politische Unkultur des Parteiendauerzanks gepflegt wird, die selbst eine Sahra Wagenknecht vom Platz jagt, wird Frauen nicht helfen.
Der ausgeschlachtete Machtkampf zwischen Wagenknecht und Katja Kipping zeigt zudem: Nach wie vor wird die Frau der Frau zum Wolf. Man redet gerne über weibliche Solidarität, doch heimlich stellt man noch immer die Schneewittchen-Frage: Wer ist die Schönste im ganzen Land? Im echten wie im übertragenen Sinn ist dies der Schwachpunkt der Feministinnen.
Was läuft falsch in diesem Politikbetrieb und dem öffentlichen Diskurs, dass Frauen sich nicht in die Arena begeben wollen? Warum geht nach all den Jahren Frauenbewegung und trotz #MeToo die Zahl der Frauen, die sich in die Politik begeben, zurück?
Warum gerät eine Verteidigungsministerin ins Kreuzfeuer der Kritik für Beraterverträge, deren Kosten nur einen Bruchteil dessen ausmachen, was unser Heimatminister Horst Seehofer dafür ausgibt? Ursula von der Leyen hat sogar das geringste Auftragsvolumen in Sachen Beraterverträgen: 1,2 Millionen im Vergleich zu Seehofers 533 Millionen. Aber eine Frau als Verteidigungsministerin geht man natürlich anders an als noch einen Mann an der Macht.
Ein fatales Signal
Wagenknechts Rückzug, ob aus gesundheitlichen Gründen oder als Niederlage in einem Machtkampf, ist ein fatales Signal. Der Politikbetrieb hat einen schlechten Ruf für Menschen mit Eigensinn. Wer mit klugen Köpfen spricht, der hört schnell: Diese Machtkämpfe in Parteien gebe ich mir nicht. Fraktionszwang und Konformität tue ich mir nicht an. Aber Politik braucht Querköpfe, sie braucht die Denkräume und Debattenkultur. Sie braucht eine Konfliktkultur, die weniger biblisch ist – gerade die junge Generation hat für diese Form der Hierarchie nichts mehr übrig.
In der Politik fehlen sowohl Frauen als auch junge Menschen. Die jahrzehntealte Männerdominanz der Händeschüttler hat die Aura der Politik mittelmäßig und für viele langweilig gemacht. Timothy Garton Ash provozierte einmal sinngemäß: In Deutschland haben die Menschen wenig Chancen auf Top-Politiker, weil sich kein wirklich kluger Kopf das Händeschütteln und die Ochsentouren antun will. Er geht woanders sein Geld verdienen, jenseits der Hysterie, die beim kleinsten Nonkonformismus sofort hervorbricht.
Die deutsche Politik hat ein Problem in Sachen Gleichstellung. Angela Merkel hat es genauso wenig für die Frauen gerichtet wie Barack Obama für die schwarze Community. Der Backlash kommt. In Deutschland kommt er in vielen kleinen Schritten, auch in Frauenfragen. Eine Wagenknecht, die aufgibt. Eine AKK, die – nach Jahren Merkel’scher Öffnung hin zur Mitte – meint, eine solide Flüchtlingspolitik sowie der Einsatz für Minderheiten seien eine Bedrohung fürs Land, statt als Frau solidarisch zu sein im Kampf für Menschenrechte.
Zeit für Sheroes. Menschen mit Mut für den Wandel, ganz gleich ob Mann oder Frau. Nur Frauen müssen es noch einige mehr sein. Parität wird nicht nur durch Gesetze hergestellt, sondern auch durch Penetranz.
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