Kolumne Press-Schlag: Becker für Bares
Boris Becker gab einem nicht ganz unsymphatischen Nachkriegsdeutschland ein Gesicht. Jetzt blamiert er sich. Sein Absturz ist eine gesellschaftliche Zäsur.
A m mittlerweile historischen 7. Juli 1985 gewann der Mann, der danach noch länger als ein Jahrzehnt der „17-jährige Leimener“ war, erstmals das Tennisturnier von Wimbledon. Im Jahr 2017 ist Boris Becker 50 Jahre alt geworden, und aktuell ist über ihn zu lesen, dass er bei „Bares für Rares“, eine Sendung, in der üblicherweise der „Fernsehkoch“ Horst Lichter für 20 Euro löchrige Zinkwannen verscherbelt, den Schläger, mit dem Becker 1999 sein letztes Wimbledon-Spiel absolvierte, per Auktion für 10.000 Euro losschlug. Kleiner Nachteil der ohnehin tragischen Geschichte: Becker war, wie er nun einräumen musste, nicht mit dem Originalschläger in die Sendung gekommen.
Becker ganz unten. Meldungen über eine Insolvenz des einstigen Weltstars und über seine Versuche, bei Pokerturnieren in Tschechien irgendwie an Geld zu kommen, gehörten mit zum Jahr 2017. Dabei zählt Boris Becker – wie auch Franz Beckenbauer oder Lothar Matthäus – ganz unmittelbar dazu, wenn es darum geht, die Erfolgsgeschichte der alten Bundesrepublik zu beschreiben.
Becker machte aus dem elitären weißen Tennis einen Volkssport, den plötzlich viele betrieben und alle schauten. Für die Übertragung eines Becker’schen Vorrundenspiels bei einem ATP-Turnier verschob die ARD sogar die „Tagesschau“. Beckers Unwille, in der Bundeswehr zu dienen, war Ausdruck einer Zivilisierung der bundesdeutschen Nachkriegsgesellschaft. Und die Frauen, mit denen sich der – wie selbstverständlich im Ausland lebende – Becker umgab, entsprachen nicht dem üblicherweise mit Häme gezeichneten Bild einer Spielerbraut, die dumm und möglichst stumm sei. Beckers erste Ehefrau war Barbara Feltus, Schauspielerin, Tochter eines schwarzen US-Fotografen, und den Rassismen, denen Boris und Barbara Becker ausgesetzt waren, begegnete das Paar selbstbewusst.
Doch dieser Befund, dass nämlich der Weltstar Becker einem nicht ganz unsympathischen Nachkriegsdeutschland sein Gesicht gab, war nie ganz eindeutig. „Bum-Bum“ war nicht nur in der englischen Boulevardpresse sein Spitzname. Das wurde auch hierzulande gerne aufgegriffen, um eine angebliche Schlichtheit Beckers auszudrücken.
Kein Ausdruck eines zivilisierten Deutschlands mehr
Vielleicht war Becker es also nie so ganz, jetzt aber – so der traurige Befund – ist nicht nur die Person Boris Becker kein sportlicher Ausdruck eines zivilisierten Deutschlands mehr, sondern: Im Grunde ist dies derzeit auch kein anderer Athlet.
Beckers Absturz, der ihn in Insolvenz und Horst Lichters Sendung treibt und der mit unangenehm viel Häme kommentiert wird, ist eben Ausdruck einer Zäsur der Gesellschaft, die doch einst den „17-jährigen Leimener“ hervorgebracht hatte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Christian Lindner
Die libertären Posterboys
Außenministerin zu Besuch in China
Auf unmöglicher Mission in Peking
Olaf Scholz’ erfolglose Ukrainepolitik
Friedenskanzler? Wäre schön gewesen!
Rücktrittsforderungen gegen Lindner
Der FDP-Chef wünscht sich Disruption
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht