Kolumne Macht: Der Fall Weinstein(s)

So lange sexuelle Übergriffe und Gewalt auf Verständnis treffen – es sei denn, sie werden von Migranten verübt –, wird sich gar nichts ändern.

Harvey Weinstein, neben ihm Ambra Battilana Gzetierrez auf dem roten Teppich. Fotografen richten ihre Objektive auf die beiden

Vor ein paar Monaten in Cannes war die Welt für Filmproduzent Harvey Weinstein noch in Ordnung Foto: dpa

Macht, wie umfassend sie auch zu sein scheint, ist stets bedroht. Das Leben des einst einflussreichsten Filmproduzenten von Hollywood hat sich binnen weniger Tage in ein Trümmerfeld verwandelt. Die von Harvey Weinstein selbst gegründete Produktionsfirma hat ihn gefeuert, seine Ehefrau hat ihn verlassen, seine Anwältin ihr Mandat niedergelegt. Wer ihm noch gestern huldigte, kann sich jetzt nicht schnell genug von ihm distanzieren. Freunde scheint der Mann nicht zu haben.

Die Zahl der Frauen, die ein Verhaltensmuster von Weinstein beschreiben, das in sexuelle Übergriffe, Nötigung und sogar Vergewaltigung mündete, ist hoch. Allzu hoch, als dass der gesunde Menschenverstand noch Zweifel am Prinzip erlaubte, selbst wenn der Beschuldigte nicht – wie geschehen – zumindest eine Teilschuld eingeräumt hätte.

Es ist wahr: Die Unschuldsvermutung hat bis zum Beweis des Gegenteils zu gelten, selbstverständlich auch für den Hollywood-Mogul. Aber entgegen einer weit verbreiteten Annahme sind es eben nicht nur Gerichte, die über die Plausibilität von Vorwürfen zu entscheiden haben.

Es geht ja gar nicht immer um strafrechtlich relevante Tatbestände. Leider. Theoretisch ist es möglich, dass Harvey Weinstein angeklagt und verurteilt wird, allerdings wird dies beim gegenwärtigen Stand der Dinge von Fachleuten für eher unwahrscheinlich gehalten. Was ein grelles Licht auf die geringe Bedeutung wirft, die in den USA – und bekanntlich nicht nur dort – sexuellen Übergriffen und Gewalt gegen Frauen beigemessen wird.

Wenn Mächtige fallen

Wenn Mächtige fallen, dann ist das fast immer mit der Verheißung auf neue, bessere Zeiten verbunden. Nun ist also zu lesen, Hollywood sei aufgewacht. Die Zeiten, in denen ein Mann wie Harvey Weinstein nichts zu befürchten gehabt habe, seien endgültig vorbei. Man schreibe das Jahr 2017. Letzteres ist unbestreitbar zutreffend, alles andere eher unwahrscheinlich.

Dieser Text stammt aus der taz.am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und rund um die Uhr bei Facebook und Twitter.

„Alle wußten, was Harvey tat, und niemand hat etwas dagegen unternommen“, schreibt die französische Filmschauspielerin Léa Seydoux, die berichtet, dass sie selbst sich mit Gewalt gegen Weinstein habe zur Wehr setzen müssen. Andere Frauen schildern, wie sie sich mit Selbstvorwürfen quälten und sich mitschuldig fühlten. Vielleicht hätten sie sich nicht genug gewehrt, vielleicht habe ihr Peiniger wirklich angenommen, sie seien mit seinem Vorgehen einverstanden gewesen. Eine klassische Reaktion von Opfern sexueller Gewalt. Glaubt irgend jemand wirklich, damit werde es nun ein Ende haben? Träumt weiter.

Offensichtlich hat Harvey Weinstein schon vor den Enthüllungen an Einfluss in der Filmindustrie verloren und Gegner gehabt, die ihrerseits mächtig waren. Er war angezählt. Aber viele derjenigen, die sich jetzt von ihm abwenden, finden es zugleich falsch und ungerecht, dass Star-Regisseur Roman Polanski nicht in die USA einreisen kann, weil ihm dort ein Prozeß wegen der Vergewaltigung Minderjähriger droht. Seltsam widersprüchliche Moral. Und Donald Trump ist zum Präsidenten der USA gewählt worden, obwohl ein Tonbandmitschnitt schon vor der Wahl zeigte, dass er ein ähnliches Verhalten für normal und angemessen hielt wie der Filmproduzent.

Das zum Onlineriesen Amazon gehörende Filmstudio suspendierte seinen Chef Roy Price. Zuvor hatte die US-Schauspielerin Rose McGowan (44, „Death Proof – Todsicher“) Amazon-Chef Jeff Bezos auf Twitter öffentlich angegriffen: Sie habe Price „wieder und wieder“ gesagt, dass „HW“ sie vergewaltigt habe, ohne dass dieser reagiert habe. Price selbst wird vorgeworfen, eine Mitarbeiterin der Amazon Studios mit sexuellen Bemerkungen bloßgestellt zu haben. (dpa)

Übrigens haben ihm auch und gerade republikanische Frauen das nicht übel genommen. „So sind Männer halt“ – es gibt wohl niemanden, der diesen Satz, begleitet von einem wohlwollend-nachsichtigen Lächeln, noch nie gehört hat. Ja, manche sind offenbar so. Aber sie dürfen nicht so sein.

So lange sexuelle Übergriffe und Gewalt auf augenzwinkerndes Verständnis treffen – es sei denn, sie werden von Migranten verübt -, so lange wird sich gar nichts ändern. Weder in Hollywood noch sonstwo. Aber ein bißchen nachhelfen lässt sich. Gesetzesänderungen, die eine strafrechtliche Verfolgung von Männern wie Harvey Weinstein erzwingen würden, wären ein schöner Anfang.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Jahrgang 1956, ist politische Korrespondentin der taz. Von 1996 bis 1999 leitete sie das Parlamentsbüro der Zeitung, vorher war sie sechs Jahre lang deren Korrespondentin für Ost-und Zentralafrika mit Sitz in Nairobi. Bettina Gaus hat mehrere Bücher veröffentlicht, zuletzt 2011 „Der unterschätzte Kontinent – Reise zur Mittelschicht Afrikas“ (Eichborn).

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.