Kolumne Liebeserklärung: Wenigstens die EU macht Druck
Die Bundesregierung verweigert im Dieselskandal weiterhin die Arbeit. Gut, dass Brüssel sich das nicht bieten lässt.
D en Glauben an die Vernunft in der Politik zu behalten fällt wirklich nicht leicht, wenn man die deutsche Debatte über den Diesel-Skandal betrachtet. Auch zweieinhalb Jahre nach Bekanntwerden des Betrugs der Autohersteller, durch den Millionen Menschen überhöhte Stickoxid-Konzentrationen einatmen müssen, ist hierzulande praktisch nichts passiert.
Keinerlei Strafen für die betroffenen Konzerne. Keine wirksamen Maßnahmen gegen die giftige Luft. Dafür jede Menge warme Worte.
Wenn es nach Angela Merkel ginge, würde sich an dieser Strategie des Aussitzens und Beschwichtigens auch in Zukunft nichts ändern. Sie habe nicht die Absicht, die Autoindustrie durch politische Maßnahmen zu „schwächen“, sagte die Kanzlerin am Dienstag im Bundestag.
Die einzig wirksame Lösung für das Problem der schlechten Luft, die verpflichtende Nachrüstung aller Diesel mit überhöhtem Stickoxid-Ausstoß, lehnen Merkel und ihr CSU-Verkehrsminister Andreas Scheuer weiterhin strikt ab – obwohl Gutachten im Auftrag der Regierung belegen, dass dies technisch möglich und bezahlbar ist.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Leere Versprechen
Auf eine ähnliche Strategie setzte die Bundesregierung, als die EU-Kommission wegen der schlechten Luft in vielen deutschen Städten mit einer Klage drohte. Das Problem werde schon irgendwie verschwinden, beteuerten Merkel und Scheuer in Brüssel – und verwiesen auf Pläne für kostenlosen ÖPNV (den keine einzige Kommune umzusetzen plant), auf E-Busse (die bisher nur in geringem Umfang lieferbar sind) und neue Software für alte Dieselfahrzeuge (die deren Stickoxidwerte nur geringfügig verbessert).
Erfreulicherweise gibt sich die EU mit diesen leeren Versprechen trotz massivem Druck aus Berlin nicht zufrieden: Am Donnerstag kündigte sie an, Deutschland und fünf weitere Staaten vor dem Europäischen Gerichtshof zu verklagen, weil diese „keine geeigneten Maßnahmen ergriffen“ hätten, um die seit Jahren bekannte Überschreitung der EU-Grenzwerte zu beenden.
Die gern als bürgerfern kritisierte EU-Kommission zeigt sich hier von ihrer besten Seite: als Anwalt der Menschen, deren Interessen die Bundesregierung mit Rücksicht auf die Autokonzerne seit Jahren beharrlich ignoriert.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Thüringen
Das hat Erpresserpotenzial
Friedenspreis für Anne Applebaum
Für den Frieden, aber nicht bedingungslos
BSW in Sachsen und Thüringen
Wagenknecht grätscht Landesverbänden rein
Rückkehr zur Atomkraft
Italien will erstes AKW seit 40 Jahren bauen
Klimaschädliche Dienstwagen
Andersrum umverteilen
Tech-Investor Peter Thiel
Der Auszug der Milliardäre aus der Verantwortung