Expertin über EU-Klage zu Stickoxiden: „Hysterie sieht für mich anders aus“

Die Stickoxid-Belastung in Deutschland gefährde tatsächlich die Gesundheit, sagt Umweltbundesamts-Expertin Wichmann-Fiebig.

Hinterteil eines Abgase ausstoßenden Autos

Stinkiges Hinterteil: Deutschland ignoriert es Foto: ap

taz: Frau Wichmann-Fiebig, die EU-Kommission will Deutschland wegen zu viel Stickstoffdioxid (NO2) in der Luft verklagen. Ist das Hysterie, wie Freunde der Autoindustrie sagen?

Marion Wichmann-Fiebig: Nein. Absolut nicht. 1999 hat die EU 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft als Grenzwert für die mittlere jährliche NO2-Konzentration festgelegt. 2010 hätten wir den Wert schon einhalten müssen. Jetzt, 8 Jahre später, ist der EU der Geduldsfaden gerissen. Hysterie sieht für mich anders aus.

Es wird behauptet, die NO2-Messungen seien nicht repräsentativ. Ist das richtig?

Ebenfalls nein. Die Messungen führen zwar die Bundesländer durch, aber ich kann sagen, dass sie das gemäß der EU-Richtlinie zur Luftreinhaltung machen. Und die besagt, dass dort gemessen werden muss, wo Menschen sich dauerhaft aufhalten – gerade an dem Punkt mit der höchsten Belastung. Schließlich leben dort Menschen. Messungen wie am Stuttgarter Neckartor sind deshalb sinnvoll, auch wenn einem das nicht gefällt. Von denjenigen, denen die Konsequenzen nicht passen, wird zunehmend alles in Frage gestellt, was die Richtlinie fordert.

Wie gefährlich sind die Grenzwertüberschreitungen für die Menschen überhaupt?

Wir reden von jährlich rund 10.000 vorzeitigen Todesfällen durch die Überschreitung des NO2-Grenzwertes in Deutschland. Studien zeigen Zusammenhänge mit Lungen-, Herz-Kreislauf- und Diabeteserkrankungen. Die Folgen für die Gesundheit sind somit sehr weitgehend.

Marion Wichmann-Fiebig, 58 Jahre, ist Abteilungsleiterin im Umweltbundesamt und dort zuständig für Themen der Luftreinhaltung.

Was sind konkrete Schritte, die zur Senkung der NO2-Werte getan werden sollten?

Wir müssen sehen, dass wir schnell eine Verbesserung erreichen. Natürlich müssen sich die Mobilitätskonzepte in den Innenstädten ändern. Aber das geht nicht innerhalb kurzer Zeit. Das Umweltbundesamt ist deshalb für Hardware-Nachrüstungen von Dieselmotoren. Aber nicht erst, nachdem wir weitere drei Jahre darüber geredet haben. Software-Updates reichen nicht.

Wie könnte entschieden werden, wer nachrüsten muss?

Hier wäre eine Blaue Plakette hilfreich. So könnten solche Fahrzeuge nach bewährtem Muster gekennzeichnet werden, die einem strengen Emissionsstandard entsprechen und die deshalb auch in hoch belasteten Innenstädten zugelassen sind. Nachrüsten müsste dann nur derjenige, der auch in diese „blauen Umweltzonen“ einfahren will. Dann reden wir von ganz anderen Zahlen bei der Nachrüstung. Das ist aus der Sicht des Umweltbundesamt der beste und schnellste Weg zur Einhaltung des Grenzwertes.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.