Kolumne Fremd und befremdlich: Bedrückender Wandel
Im Harz wird es auf längere Zeit sehr viel trockener werden. Wir müssen Verantwortung übernehmen. Wir brauchen andere Gesetze.
W ir waren im Herbst in Wernigerode. Ich fahre gerne im Herbst in den Harz, weil das einer der schönsten Orte ist, wo man im Herbst sein kann. Man muss natürlich wandern. In diesem Urlaub also, es war im Oktober, fiel uns auf, dass es in den Wäldern sehr trocken war. Besonders fiel es uns auf, als wir um die Zilliertalsperre wanderten, denn man konnte deutlich sehen, wie das Wasser zurückgegangen war, wie es das Becken nur noch halb ausfüllte. „Es kommt uns ganz trocken vor“, sagten wir zu einer Frau in einem hübschen, alten Museum zwischen alten Bildern. Sie schüttelte verzweifelt den Kopf. „Es vertrocknet alles“, sagte sie, „seit Himmelfahrt hat es nicht mehr geregnet.“
Vielleicht freut es die meisten, wenn es während ihres Urlaubes nicht regnet, aber wir stiefelten etwas verzweifelt durch die vertrockneten Wälder. Und da bekam ich das erste Mal eine ganz unmittelbare Vorstellung davon, was es bedeutet, wenn unsere Umwelt sich radikal ändert. Wenn die tröstliche Natur zu etwas Bedrückendem wird, der Aufenthalt im Wald zu etwas Düsterem, Traurigem. Kein Regen.
Es bedrückte die Menschen der Region enorm, das bekamen wir mit. Meine Mutter wohnt in Brandenburg an einem See, einem See sogar mit einer Fähre, und dieser See trocknet derzeit rasend schnell aus. Es gibt eine Bürgerinitiative, die versucht, diesen See zu retten, denn was ist eine Stadt an einem ausgetrockneten See?
Alles ändert sich, was man auch tut, es ändert sich zwangsläufig, das lernt man irgendwann im Leben, dass nichts bleibt, wie es war. Und das ist normal, das ist das Leben. Aber was sich jetzt gerade ändert, im Großen, das ist beängstigend. Aus diesem Grund wollen viele Menschen davon nichts wissen. Sie schließen die Augen und singen: „Lalalalala“, wie die kleinen Kinder, die denken, mit geschlossenen Augen kann ihnen nichts geschehen. Sie hassen diejenigen, die ihnen Angst machen, mit ihren Studien und Prognosen, anstatt diejenigen, die verantwortlich sind für diese Entwicklung, anstatt selbst Verantwortung zu übernehmen.
Katrin Seddig ist Schriftstellerin in Hamburg mit einem besonderen Interesse am Fremden im Eigenen. Ihr jüngster Roman „Das Dorf“ ist bei Rowohlt Berlin erschienen.
Es gibt aktuell eine neue Studie, die nicht Umweltverbände, sondern die Harzwasserwerke in Auftrag gegeben haben. Und aus dieser Studie ergibt sich eine Prognose für den Harz, die erschreckend ist. Der Klimawandel soll sich im Harz stärker auswirken, als bisher angenommen. Was wir beobachteten, was die Menschen dort längst beobachtet haben, das ist auch so. Es gibt weniger Regen. Es wird auf längere Zeit sehr viel trockener werden.
Die Harzwasserwerke sind Niedersachsens größter Trinkwasserversorger. Und sie müssen sich natürlich Gedanken über solche Dinge machen. Wird das Wasser reichen? Aber ich mache mir Gedanken um das große Ganze. Es ist so bedrückend. Es scheint so zu sein, als ließe sich die Katastrophe nicht mehr aufhalten. Und ich beobachte, wie die Kinder auf den Straßen demonstrieren, ich beobachte, wie Menschen den Braunkohletagebau stürmen, wie sie sich mit all ihrer Kraft gegen jemanden stemmen, der erwiesenermaßen als einer der größten Verantwortlichen für diese Dinge gilt.
Ich habe am Wochenende die Ende-Gelände-Aktionen nur über die sozialen Medien verfolgt. Was bleibt uns anderes übrig, als beim nächsten Mal dabei zu sein? Wie kann man noch Gesetzen gehorchen, die Firmen in ihrem Betrieb schützen, die uns die Luft nehmen, das Wasser, die unsere Lebensgrundlage langsam aber sicher zerstören? Um welches Recht geht es?
1940 hatte Adolf Hitler Recht. Was bedeutet das im Nachhinein? Hatte Erich Honecker Recht, als er die Leute einsperrte und das eigene Volk bespitzeln ließ? Hatte er Recht, weil die Gesetze so waren? Wir brauchen andere Gesetze, Gesetze, die uns schützen, die unsere Kinder schützen und deren Kinder, Gesetze, die das Zerstören unserer Umwelt zum Verbrechen erklären, und nicht das Aufmerksammachen auf diese Zerstörung. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen. Ich bin gerade emotional.
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