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Kolumne Der rote FadenDie Militanz der Zufriedenen

Daniel Schulz
Kolumne
von Daniel Schulz

Kann vielleicht mal ein wenig Aufregung aufkommen? Nö. Deutschland ist ein Paradies, daran ändern auch Hacker, Flüchtlinge und Polen nichts.

Deutschland (Symbolbild) Foto: dpa

U nter Militanten werden in Deutschland meist Menschen in schwarzen Kapuzenpullovern verstanden, die sich irgendetwas über ihr Gesicht gezogen haben. Beim G-7-Gipfel gab es ein paar von denen, nicht genug allerdings, um wirklich aufzufallen. Unbemerkt von der Öffentlichkeit macht sich unterdessen eine neue Art der Militanz breit: die der Zufriedenen.

Zum Beispiel im Bundestag. Irgendwer hat dessen Computernetzwerk gehackt, die USA, Russland, China, keiner weiß es, oder wenn es jemand weiß, dann sagt es niemand öffentlich. 20.000 Geräte soll das betreffen, keine Ahnung, wo die alle stehen, bei etwa 8.000 Mitarbeitern, aber gut. Am Donnerstag forderte das Bundesamt für Informationssicherheit, das gesamte System müsse neu aufgebaut werden. Rechner und Server löschen, neue Software drauf. Die Administratoren des Bundestages haben keine Kontrolle mehr. Menschen, die sich mit so etwas auskennen, empfehlen, das Ganze abzuschalten.

Könnte schon mal ein Fitzelchen Aufregung aufkommen, oder? Nö. Weitermachen wie bisher, empfiehlt Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) und schreibt in einer Mail, die Kolleginnen und Kollegen sollten da jetzt mal ganz ruhig bleiben, man arbeite „mit Hochdruck an einer Lösung“, „Gegenmaßnahmen“ seien ergriffen, Datenabflüsse „bisher nicht nachweisbar“.

Das ist die Fortsetzung der hiesigen Scheißegal-Haltung zum Abhören der Geheimdienste mit parlamentarischen Mitteln. Eine Mehrheit der Deutschen findet den US-Amerikaner zwar arrogant und machthungrig, aber solange seine Agenten die Bärtigen des Islamischen Staats fernhalten, reißt man die Klappe lieber nicht allzu weit auf.

taz am wochenende vom 13./14. Juni 2015

Hitlers Landschaftsplaner begrünten das Vernichtungslager in Auschwitz und den Westwall, die gigantische Verteidigungsanlage gen Westen. Und einige von ihnen machten als Naturschützer später auch in der Bundesrepublik Karriere. In der taz.am wochenende vom 13./14. Juni 2015 erzählen wir, warum sich der deutsche Naturschutz mit seiner braunen Vergangenheit beschäftigen sollte. Außerdem: Sind kleine Höfe wirklich besser? Ein Blick auf einen Agrarriesen und einen Biohof, als Reportage und Grafik. Und: Eine Foto-Reportage aus einer kleinen Bar in Tokio, in der die Menschen nichts auf Traditionen geben. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Am Feuer ist es schön warm

Solange sie es gemütlich haben, sind die Deutschen gelassen bis zur Schmerzgrenze. Es geht ihnen gut, Wolfgang Schäuble weiß gar nicht, wohin mit den Steuereinnahmen, während in Griechenland und Spanien die Hütte brennt. Uns egal, am Feuer ist es schön warm.

Polen verteidigen? Oder Litauen? Nö, auch darauf haben die Deutschen keinen Bock. Das Pew Research Center in Washington hat Menschen in acht Nato-Staaten und in Russland und der Ukraine zu ihrer Haltung zur Nato, zum Krieg im Donbass und zu Wladimir Putin gefragt. 58 Prozent der befragten Deutschen möchten einem verbündeten Land lieber nicht militärisch helfen, wenn dieses in einen „ernsthaften militärischen Konflikt“ mit Russland gerät. Das ist absoluter Spitzenwert. Zugleich gehen die Deutschen, natürlich, davon aus, dass die USA in einem solchen Fall militärisch eingreifen würden, um den Nato-Partner zu beschützen.

Ist das noch Komfortbewusstsein oder schon Erbärmlichkeit?

Die Deutschen seien nun einmal nicht mehr empfänglich für preußischen Militarismus, so deutet das der linke Publizist Jakob Augstein auf Spiegel Online. Das möchte man gerne glauben, es sieht nur leider so aus, als wären die Deutschen nicht mehr empfänglich für alles, was sie in ihrer Ruhe stören könnte.

Die Regungen der militant Zufriedenen

„Das klingt eigenartig, aber ich dachte in dem Moment, ich tue etwas Gutes.“ Sagte ein 39-jähriger Finanzbeamter und Vater vor ein paar Wochen im Amtsgericht Lübeck. Er saß dort, weil er eine unbewohnte Flüchtlingsunterkunft angezündet hatte. Sechs Männer sollten dort einziehen. Sechs. Das war dem Mann und, den Vernehmungen der Zeugen nach, auch seinen Nachbarn viel zu viel.

Zufriedenheit – das ist der Zustand, an den gegebenenVerhältnissen nichts auszusetzen zu haben, nichts anderes zu verlangen als das, was man hat. Ausgeglichenheit. Militant wird diese Zufriedenheit dann, wenn man sie mit Ignoranz und Gewalt verteidigt.

Der Libanon hat eine Million syrische Flüchtlinge aufgenommen. Das ist jeder vierte Einwohner. Nicht dass dort alles gut laufen würde, es gibt Hunger, Gewalt, Ausgrenzung. Aber offenbar auch so etwas wie Solidarität.

Um Solidarität zu zeigen, muss niemand eine Waffe in die Hand nehmen, die Nato toll finden oder auch nur reisen.

In der Ukraine, zum Beispiel, gibt es Menschen, die zerstörte Schulen wiederaufbauen. Künstlerinnen und Journalisten, die den Zweifel zu bewahren suchen gegen die Propaganda ukrainischer und russischer Politiker. Die würden es schon als Zeichen von Interesse und Empathie begreifen, wenn deutsche Städte sich häufiger um Partnerschaften mit Städten in der Ukraine bemühten.

Aber militante Zufriedene sind für solche Regungen eher unempfindlich.

40 Prozent der für die Pew-Studie befragten Ostdeutschen mögen Putin, im Westen sind es immer noch 19 Prozent. Die einen zünden das, wovon sie sich belästigt fühlen, selbst an. Die anderen wünschen sich jemand, der das für sie erledigt.

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Daniel Schulz
Reportage und Recherche
Redakteur im Ressort Reportage und Recherche. Autor von "Wir waren wie Brüder" (Hanser Berlin 2022) und "Ich höre keine Sirenen mehr. Krieg und Alltag in der Ukraine" (Siedler 2023). Reporterpreis 2018, Theodor-Wolff-Preis 2019, Auszeichnung zum Team des Jahres 2019 zusammen mit den besten Kolleg:innen der Welt für die Recherchen zum Hannibal-Komplex.
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21 Kommentare

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  • Wo ist das Problem? Mutti hat doch alles im Griff!

     

    Solange die ruhig und gelassen bleibt, warum sollten da die Bürger in Aufregung geraten?

  • Die Kommunikation von Bundestagsabgeordneten sollte grundsätzlich von allen Bürgern offen einsehbar sein. Ich wüsste nicht, warum die etwas von uns zu verbergen haben sollten.

    Und die Verteidigung von Staaten, die ähnliche Gesetze zur Homosexualität wie die russische Förderation haben, ist wirklich nicht in meinem Interesse. Je früher die wieder aus der EU sind, umso besser.

     

    Der Autor möge entschuldigen, dass ich bislang noch keine Angriffe auf das Netz des Bundestages unternommen habe, um die Daten der Abgeordneten öffentlich zu machen oder in Polen oder Litauen einmarschiert bin, um dort humane Verhältnisse per Besatzung einzurichten.

    Das, was er "Zufiredenheit" nennt, ist wohl eher die Unmöglichkeit, etwas an diesen Zuständen verändern zu können.

  • 7G
    76530 (Profil gelöscht)

    Erst beim wiederholten Durchlesen des Artikels ist mir der tatsächliche, bislang verdeckte Skandal aufgefallen: was haben 20.000 Computer im Bundestag zu suchen, wenn dort, wie Daniel Schulz schreibt, lediglich 8.000 Menschen arbeiten?

     

    Müssen diese Menschen "stereo" arbeiten (selbst dann wären es noch 4.000 PCs zuviel) oder dürfen sie für politikferne Tätigkeiten einen privat behalten?

     

    Der Fall Edathy erscheint mir plötzlich in einem ganz anderen Licht.

  • Warum sollte man sich über Hackerangriffe auf deie Regierung aufregen? Regt sich die Regierung etwa über die Ausspionierung der Bürger auf?

  • 7G
    7964 (Profil gelöscht)

    Ja, genau, in der BRD wir sich erst etwas regen, wenn man der Bevölkerung die Autos, die Fernseher oder die Händis wegnimmt. ;-)

    • @7964 (Profil gelöscht):

      Oder den Leberkäs.

  • Polen ? Litauen ?

    Länder mit unserem Leben verteidigen, die zwar CIA-Geheimgefängnisse aber keine Flüchtlinge bei sich tolerieren ?

    Nö !

    • @jhwh:

      Wohl wahr!

  • Ich finde es arrogant, Menschen, die sich nicht politisch engagieren, pauschal als zufrieden zu bezeichnen. Viele von ihnen sind einfach desillusioniert, haben nicht den Eindruck, dass Engagement etwas bringt. Sie sagen eben gerade nicht, Mutti Merkel macht das schon alles richtig, sondern eher, die Mächtigen machen doch eh, was sie wollen. Was kann ich da schon ausrichten? Diese Einstellung beruht in der Regel auf der Erfahrung vieler Rechtsverletzungen, und ebensovieler erfolgloser eigener Anstrengungen.

     

    Margaret Mead sagte: "Zweifele nie, dass eine kleine Gruppe engagierter Menschen die Welt verändern kann. De facto sind sie die Einzigen, denen das jemals gelungen ist."

     

    Es ist immer nur das Engagement einiger weniger, das zum Erfolg führt. Die breite Masse ist in der Regel indifferent. Das bedeutet jedoch keineswegs, dass das Engagement ins Leere läuft, auch wenn es sich ohne Zweifel vielfach so anfühlt.

    • @Smaragd:

      Wenn dich "zufrieden" stört, können wir diese Menschen genauso gut als ignorant, tatenlos oder feige bezeichnen. Wer überhaupt nichts mehr tut, weil er nicht sofort seinen Willen bekommen hat, den kann man wohl auch als kindisch oder dumm bezeichnen. Ich fürchte das hört sich auch nicht netter an, aber die Realität ist meisten nicht nett.

      • @tazzy:

        es hört sich nur nicht nicht nett an, es ist schlicht & einfach absolut überheblich. Können Sie sich eigentlich vortsllen, daß viele Menschen im Lande erkannten, daß sie meist für Zwecke missbraucht werden, für die sie niemals auf die Straße gegangen wären? Und wenn sich Menschen doch einmal erheben und am Montag Abend spazieren gehen, dann erleben diese eine politische und mediale Schmutzkampagne ohne gleichen. Wenn sich nur für eine Meinungs engagiert werden darf, keine andere Meinung mehr erlaubt ist, dann lässt mans halt.

  • 7G
    76530 (Profil gelöscht)

    Ein kluger Artikel, der das deutsche Elend für jene, die noch nicht komplett sediert sind, schmerzlich zutreffend beschreibt. Bedauerlicherweise wird er kaum einen der "militant Zufriedenen" erreichen, da diese - wenn überhaupt - andere Zeitungen als die taz lesen. Weil, wie Daniel Schulz so treffend schreibt, es sie ansonsten in ihrer Ruhe stören könnte. Ich könnte pausenlos schreien.

  • "Eine Mehrheit der Deutschen findet den US-Amerikaner zwar arrogant und machthungrig, aber solange seine Agenten die Bärtigen des Islamischen Staats fernhalten, reißt man die Klappe lieber nicht allzu weit auf."

    Dabei waren es ja die US-Amerikaner, die:

    - einen Osama Bin Laden finanziell hochgepusht hatten, bevor dieser den Spieß dann umdrehte

    - die einen völkerrechtswidrigen Krieg gegen den Irak vom Zaun brachen aufgrund von platten Lügen

    - die durch den Irakkrieg dem IS erst zum Durchbruch und zur Bewaffnung verhalfen

    und wenn mir jetzt ein 'Daniel Schulz' bei der taz hier unterschieben will, dass US-Agenten "die Bärtigen des Islamischen Staates fernhalten" würden, dann ist bei mir hier endgültig Schluß mit lustig.

    • @Rainer B.:

      Will er doch garnicht unterschieben, oder sehe ich Ironie wo keine ist?

       

      Natürlich war OBL schon in dne Balkankonflikten ein gern gesehener "Mitarbeiter", der den Serben mit eigener Fremdenlegion schaden konnte.

       

      Kein Mensch behauptet doch ernstfhaft die US-Adminsitration würde sich ernsthaft um einen Kampf gegen religiös motivierten Extremismus bemühen. Die helfen den Lokalgrößen mitunter ein bischen beim "Kurzschnitt" und pflegen so ihre Eingriffsmöglichkeiten in der Region. Aber das damit Oma Müller und Erna Meier vor "Terrorismus"TM geschützt werden sollen, glauben doch nur noch SPD, Grün und CDU-Wähler?

      • @KarlM:

        Seine Aussage ist:

        Die Mehrheit der Deutschen verkneifen sich ihre Kritik an den US-Amerikanern aus Angst, diese würden sonst die Bärtigen des Islamischen Staats nicht mehr fernhalten.

         

        Auch wenn sein Satz ironisch gemeint gewesen sein sollte, schiebt er den Lesern damit mindestens Eines unter:

        US-Amerikaner halten den IS fern.

         

        Tatsächlich haben die ihn aber erst möglich gemacht und befördert.

    • @Rainer B.:

      Is ja schön und gut, aber das eine schließt doch das andere doch nicht aus.

      • @haganah:

        Das eine hat doch erst das andere notwendig gemacht. Wer solche Zusammenhänge einfach unterschlägt, fällt bei mir durch.

        • 7G
          76530 (Profil gelöscht)
          @Rainer B.:

          Wie war das mit der Unfehlbarkeit?

          • @76530 (Profil gelöscht):

            Dafür bin ich nicht zuständig. Fragen Sie doch mal bei der römisch-katholischen Kirche nach.

            • 7G
              76530 (Profil gelöscht)
              @Rainer B.:

              Habe ich schon gemacht. Die behauptet, sie kenne Sie nicht. Hier geht es um Ihre vermeintliche Unfehlbarkeit, oder sollten wir besser sagen: Selbstgerechtigkeit?

              • @76530 (Profil gelöscht):

                Und woraus soll sich solches Ihrer Meinung nach ergeben? Ich habe nie behauptet, unfehlbar zu sein. Sie müssen schon konkret auf meinen Kommentar eingehen und erläutern, was Sie hier überhaupt meinen.