Kolumne Der rote Faden: Tanzen gegen den Terror

Lassen sich Mörder mit Cellos besiegen? Ist jeder Tanz ein Tritt in die Eier des IS? Und was haben Furcht und Öl gemeinsam? Ein Wochenrückblick.

Ein Mann im weißen Hemd tanzt mit einer Frau in einem silbrigen Kleid

Auch RTL kämpft mit „Letś Dance“ schon gegen den Terror. Foto: dpa

Der Terror ist in unseren Seelen angekommen. Oder wenn Ihnen „Seele“ zu pathetisch klingt, dann neutraler: in unseren inneren Bewegungen. Seit den Anschlägen von Brüssel reden wir wieder über Angst. Darüber, dass es sie gibt, klar. Aber auch darüber, ob man überhaupt Angst haben darf. Ist jedes Zögern, vor die Tür zu gehen schon ein Sieg für den internationalen Terrorismus?

Wir reden darüber, welche Angst die richtige ist. In den sozialen Netzwerken sagen die einen, sie hätten mehr Angst vor den Folgen des Terrors als vor den Bomben selbst: neue Höchstwerte für die AfD, Totalüberwachung, noch mehr Innenminister bei Maybrit Illner, die kantig kaschieren, dass sie irgendwann einen Anschlag in Deutschland nicht verhindern werden können. Die anderen schimpfen, die richtige Angst sei doch die vor abgerissenen Armen und Beinen. Und wer das nicht so sehe, verhöhne mindestens die Opfer, wenn er sie nicht gar instrumentalisiere.

Wobei die Frage ist, warum die Angst um den eigenen Körper größer sein sollte als die vor einer Gesellschaft, in der man nicht leben will. Wir reden darüber, wie man sich am Besten gegen diese Angst wehrt. Weiterfeiern, weiterlachen, wir lassen uns das Einkaufen nicht verbieten.

Ein Mann spielt Cello auf dem Brüsseler Place de la Bourse. Er spielt Bach. Wir erinnern uns: vergangener November, Paris, John Lennons „Imagine“ auf dem Klavier. In Brüssel schreiben sie mit Straßenkreide Botschaften auf den Asphalt: „Fuck Terror“. „We are one“.

Endlich hat das Sinnlose einen Sinn

Tanzen, Musizieren, Lachen – was wir schätzen, weil es keinen Sinn haben muss, wird nun mit Sinn gefüllt, einem Ziel, dem Kampf gegen das Böse. Viele finden, das sei eine intelligente Art zu zeigen, dass der Terror hier nichts ändern werde. Die Hohe Luft, ein Magazin für Philosophie, schreibt an uns alle: „Dies ist ein Aufruf: Denken wir gemeinsam gegen den Terror, der uns alle erschüttert.“

Andere finden das naiv. Journalisten fragen Menschen aus Israel, was Europa aus den Anschlägen zu lernen hätte. Mehr Polizei auf der Straße, mehr „Zeigen sie mal Ihre Handtasche, bitte“. Ein Angriff wie der auf den Flughafen wäre dort so nicht möglich gewesen. In den Vereinigten Staaten halten uns viele wegen unserer Blauäugigkeit für verrückt, Donald Trump sagt es nur am lautesten.

Ein leeres Grab, ein verschwundener Leichnam – die Ostergeschichte ist auch ein Krimi. In der taz.am wochenende vom 26./27 März 2016 gibt es daher einen Tatort-Schwerpunkt: Wir zeigen Tatortbilder aus dem New York der zwanziger Jahre, sprechen mit einem Tatort-Forscher und gehen der Frage nach, ob man Verbrechen wirklich mit Hilfe des Gedächtnisses rekonstruieren kann. Außerdem: Eine Reportage aus dem Amtsgericht Neumünster. Und: Eine Sachkunde zum Thema Zeitumstellung. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Demokratische Staaten haben verschiedene Möglichkeiten gefunden, mit der Angst vor dem Terror umzugehen. Mehr staatliche Kontrolle in Tel Aviv, Überwachung plus Selbstbewaffnung in den USA. Welche finden wir? Die absolute Mobilmachung des Banalen? Jeder Longdrink ein Schlag in die Fresse der Taliban, jeder Witz ein Tritt in die Eier von Abu Bakr al-Bagdadi. Gibt es überhaupt ein Wir? Gerade im Streiten um Ängste, werden uns andere furchtbar fremd. Wie kann die das jetzt sagen! Da hätte ich aber mehr Vernunft erwartet. Dieser Typ wieder, was schreibt der da für einen Scheiß! Weiß der nicht, dass er damit den Faschisten, den Linken, Horst Seehofer in die Hände spielt?

Lieben Sie sich selbst, sagt der Therapeut

Wenn jemand mit Angst zum Therapeuten geht, hört er das Mantra der Psychotherapie: Integration, Integration, Integration. Akzeptieren Sie ihre Angst, die gehört zu Ihnen. Versuchen Sie zu lieben, was sie sind, aber gehen Sie so damit um, dass Sie ihr Leben angenehmer führen können. Nein, spalten Sie das nicht ab. Hassen Sie sich nicht dafür. TherapeutInnen können das, weil sie von diesen Ängsten nicht direkt betroffen sind oder sich nicht betreffen lassen, wenn sie ihren Job verstehen. Im öffentlichen Gespräch über die Terrorangst reden wir aber mit Menschen, die genau so viel Furcht haben wie wir selbst.

Angst ist ein elementares Gefühl, mit zwei entgegengesetzten Reaktionen: Angriff oder Flucht. Wir rufen laut, um die anderen zu überzeugen, dass unsere Richtung die richtige ist. Wer versucht ruhig zu bleiben, wird dafür angeschrien, nicht richtig mitzufühlen. Ist Furcht ein Rohstoff wie Öl und haben wir mit Brüssel den Peak Angst überschritten, auf dass wir künftig vernünftiger reagieren und alles besser machen?

Je öfter es Anschläge gibt, desto mehr wird das Unbefriedigende und Regelhafte an den Versuchen das Danach zu bearbeiten deutlich. Es folgen Diskurs- und Medienkritik, die ebenfalls unbefriedigend und regelhaft sind. In Paris haben die Öffentlich-Rechtlichen zu zögerlich berichtet, in Brüssel Spiegel Online zu getrieben und zu explizit. Irgendwie müssen wir aus dem Kreislauf raus. Müssen wir? Vielleicht verlangt uns das zu viel ab.

Weil wir glauben, einen Sieg erringen zu müssen, gegen Gegner, die längst tot sind, soll wenigstens die Angst, die sie hinterlassen haben, richtig bewältigt werden. Es ist schwer, einzugestehen, dass es gerade nicht anders geht.

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Redakteur im Ressort Reportage und Recherche. Autor von "Wir waren wie Brüder" (Hanser Berlin 2022) und "Ich höre keine Sirenen mehr. Krieg und Alltag in der Ukraine" (Siedler 2023). Reporterpreis 2018, Theodor-Wolff-Preis 2019, Auszeichnung zum Team des Jahres 2019 zusammen mit den besten Kolleg:innen der Welt für die Recherchen zum Hannibal-Komplex.

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