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Körperbilder und RassismusBody Positivity reicht nicht aus

Der radikale Ansatz des Fat Liberation Movements ist zur Wish-Version verwässert worden. Damit alle Körper frei sind, braucht es eine andere Welt.

Guerrilla-Fashion-Show in London: Selbstliebe ist ein Anfang, aber sie verändert noch nicht die Welt Foto: Tayfun Salci/imago images

B ody Positivity interessiert mich nicht. Im Januar, dem Motto-Monat für Diäten (oder synonym Detox bzw. Entgiftungskur), mag das nach einer gewagten Aussage klingen, schließlich werden wir zum Jahresbeginn traditionell mit Werbung für Fitnessstudios, Apps, Diäten und Nahrungsersatz bombardiert. Trotzdem: Nicht alle Feminist_innen feiern „BodyPosi“. Und zwar nicht, weil sie den Diskurs als eine „Verherrlichung von Adipositas“ betrachten, sondern weil der radikale Ansatz des Fat Liberation Movements zur Wish-Version verwässert ist.

Nicht anders als eine Fake-Prada-Tasche bringt dies Vor- und Nachteile mit sich: Dank Mainstreaming können mehr Leute erreicht werden, aber die Qualität ist wesentlich schlechter als beim Original. So schrieb die Autorin Magda Albrecht 2018 im Missy Magazine über die Doppelmoral und den Dickenhass in der Szene.

In der Tat wirkt es schräg, wenn irgendwelche cis Frauen original wie Models aussehen und ihr Œuvre trotzdem um die Akzeptanz von und Liebe zu ihrem Körper kreist. Die meisten Menschen empfinden ihrem Körper gegenüber Unbehagen, doch nicht alle, die sich hässlich oder dick fühlen, werden so wahrgenommen und behandelt. Die Abgründe, über die Da’Shaun L. Harrison in deren Buch „Belly of the Beast. The Politics of Anti-Fatness as Anti-Blackness“ schreibt, finden jenseits der liberalen Feel-Good-Mentalität statt.

Selbstliebe, schreibt Harrison, kann höchstens der Anfang der Körperrevolution sein, das Ziel sei es jedoch, die ganze Welt zu zerschmettern, denn Kapitalismus, Anti-Blackness und das Patriarchat seien nicht reformierbar. Als ich das Buch auf die Empfehlung von Übersetzer_in und politische_r Bildungsreferent_in Yezenia León Mezu in die Hand nahm, war ich geflasht. Dass 2021 ein Buch erschienen ist, das die ausgelutschten, mehrheitsfähigen Thesen über Empowerment und Akzeptanz gegen die Wand klatscht und stattdessen radikale (im Sinne von schmerzhaft, nicht frech) Analyse liefert, macht Hoffnung auf einen Paradigmenwechsel.

Stigma, Diätindustrie, Polizeigewalt

Häufig bleibt die Debatte bei Körpern stehen, die dick und weiblich sind. Harrison schaut sich hingegen jene an, die dick und Schwarz und männlich sind – und somit nicht als eklig, sondern gefährlich gelten.

Was es heißt, als „Monster“ betrachtet und durch staatliche Gewalt „gebändigt“ zu werden, konnte die Welt beispielhaft während der anti-Schwarzen Morde an George Floyd, Eric Garner oder Tamir Rice beobachten – besonders vor Gericht, wo die Opfer aufgrund ihrer Körper für das verantwortlich gemacht wurden, was ihnen und ihren Angehörigen angetan wurde. Wenn dicke Menschen früh sterben, liegt es meistens nur in zweiter Linie an ihrem Gewicht. In erster ist es das damit einhergehende Stigma, die Diätindustrie oder eben Polizeigewalt. Deshalb reicht eine bloße Kritik an Body-Shaming nicht aus. Damit alle Körper frei sind, braucht es eine andere Welt.

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Hengameh Yaghoobifarah
Mitarbeiter_in
Hengameh Yaghoobifarah studierte Medienkulturwissenschaft und Skandinavistik an der Uni Freiburg und in Linköping. Heute arbeitet Yaghoobifarah als Autor_in, Redakteur_in und Referent_in zu Queerness, Feminismus, Antirassismus, Popkultur und Medienästhetik.
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13 Kommentare

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  • Ich schlage etwas ganz anderes vor. Wir Frauen sollten endlich aufhören, uns über unseren Körper zu definieren!

    Kein, absolut kein Körper-Content in den soz. Medien mehr. Keine Berichte mehr.

    Kein Bereitstellen des Körpers mehr für jegliche sexistische Inhalte.

    Alle Frauen sollten anfangen, an wirklich gesellschaftlich relevanten Themen zu arbeiten. Dann haben wenigsten die nachfolgenden Generationen von Mädchen die Chance, von den immer um den Körper kreisenden Gedanken loszukommen.

    Einfach aufhören. Jetzt.

  • "Wenn dicke Menschen früh sterben, liegt es meistens nur in zweiter Linie an ihrem Gewicht."

    Aha. Dazu muss es doch belastbare Zahlen aus der Forschung geben. Nur zu.

  • Zwei Rückfragen:

    1.

    "Nicht anders als eine Fake-Prada-Tasche [...] die Qualität ist wesentlich schlechter als beim Original."

    Sind Fake-Prada-Taschen so viel schlechter als die Originale? Geht es den Prada-Taschen-Tragenden nicht um das Aussehen als Qualitätsmerkmal? Und das sollte bei einer gut gemachten Fälschung ähnlich sein, oder?

    2.

    "Wenn dicke Menschen früh sterben, liegt es meistens nur in zweiter Linie an ihrem Gewicht. In erster ist es das damit einhergehende Stigma, die Diätindustrie oder eben Polizeigewalt."

    Ohne Polizeigewalt verharmlosen zu wollen: Mindestens hierzulande sterben zum Glück nicht allzu viele Menschen durch Polizeigewalt. Vielleicht ein bis zwei Personen im Monat. Dem stehen 10000 bis 15000 Tote im Zusammenhang mit Übergewicht gegenüber, auch jeden Monat. Interpretiere ich die Zahlen falsch? Bin ich fake news aufgesessen?

  • Hier kenne ich mich nicht aus.



    Das Bild finde ich gut.(aussagefähig)



    en.wikipedia.org/w...allen-skulptur.jpg

    • 4G
      4813 (Profil gelöscht)
      @Ringelnatz1:

      Auch hier gilt: Extremismus ist anstrengend und ungesund. Mittelmäßige leben besser.

  • »



    Die meisten Menschen empfinden ihrem Körper gegenüber Unbehagen, doch nicht alle, die sich hässlich oder dick fühlen, werden so wahrgenommen und behandelt.



    (....).



    Selbstliebe, schreibt Harrison, kann höchstens der Anfang der Körperrevolution sein, das Ziel sei es jedoch, die ganze Welt zu zerschmettern, denn Kapitalismus, Anti-Blackness und das Patriarchat seien nicht reformierbar.



    «

    Nun, dann warte ich weiter darauf, dass dieser "Anfang" auch von allen, auch denen, die sich 'dick' wähnen, endlich unternommen wird;



    als allgemein-weltrevolutionäre Pölit-Veranstaltung sehe ich "Body Positivity", „BodyPosi“, "Körperrevolution", you name it, definitiv nicht!

    Incomplete sentence:



    »



    In der Tat wirkt es schräg, wenn irgendwelche cis Frauen original wie Models aussehen und ihr Œuvre trotzdem um die Akzeptanz von und Liebe zu ihrem Körper kreist.



    «

  • "Damit alle Körper frei sind, braucht es eine andere Welt."

    So ist es. In dieser Welt wären dann alle Menschen frei und man bräuchte über ihre Körper gar nicht mehr viel zu reden.

    Mit Fake-Prada-Taschen kenne ich mich nicht aus, aber mit Fake-Rolex und Fake-Panerai.

    Die taugen nicht viel. Kosten allerdings auch nur ein Hundertstel vom Original.

  • "Wenn dicke Menschen früh sterben, liegt es meistens nur in zweiter Linie an ihrem Gewicht. In erster ist es das damit einhergehende Stigma, die Diätindustrie oder eben Polizeigewalt."



    Quellen? Ich hege Zweifel.

    • @Nifty_Monkey:

      90 % der Diabetes-Kranken leiden



      an Übergewicht, für viele geht das



      schlecht aus. In Deutschland gibt es



      ca. 7 Mio Diabeteker.

    • @Nifty_Monkey:

      Nun seien Sie doch nicht so engstirnig. Was zählen schon solche Petitessen wie Evidenz. Es geht schließlich um die richtige Haltung - da muss man im Zweifel auch großzügig sein dürfen.

      • @O sancta simplicitas:

        Nun mal bitte zurück zum Thema. Ab wann ist man/frau dick? Tamir Rice hätte ich nicht so befunden.

    • @Nifty_Monkey:

      Seriöse Statistiken zeigen eine deutliche Korrelation zwischen BMI und Sterblichkeit. Die meisten sterben weder durch Polizei noch durch die Diätindustrie, sondern an durch das Übergewicht hervorgerufenen Herz-Kreislauferkrankungen. Aber wie so oft in diesen Tagen passen Fakten manchen Menschen nicht ins Weltbild.

  • "Wenn dicke Menschen früh sterben, liegt es meistens nur in zweiter Linie an ihrem Gewicht. In erster ist es das damit einhergehende Stigma, die Diätindustrie oder eben Polizeigewalt."



    Steile These.



    Lässt sich das kausal begründen oder gar belegen?