Forscherin über Body Positivity: „Den Schönheitsbegriff erweitern“

„Liebe deinen Körper“, heißt es überall. Was die Body-Positivity-Bewegung ursprünglich wollte und wie sie sich weiterdenken ließe, sagt Elisabeth Lechner.

Vier Frauen in einem Raum singen und lachen

Kein Grund zur Scham: Musikerin Lizzo 2018 vor einem Auftritt in New York Foto: Amy Lombard/NYT/Redux/laif

taz: Frau Lechner, den klassischen Neujahrsvorsatz, abzunehmen, haben laut Studien immer weniger Menschen. Stattdessen wollen viele sich gesünder ernähren, mehr Sport treiben und vor allem: fitter werden. Hat sich das Schönheitsideal gewandelt – von schlank zu fit?

Elisabeth Lechner: Ja, das beobachten wir auch in der Forschung. Die Diätindustrie hat verstanden, dass Diäten nicht mehr angesagt sind und musste sich deswegen nun neue Wege suchen, um ihre Produkte zu verkaufen. Dass sich mittlerweile das Wissen durchsetzt, dass Diäten nicht funktionieren, ist ein Erfolg der Body-Positivity-Bewegung. Doch die Diätindustrie will natürlich nicht auf Profite verzichten, und setzt jetzt eben auf Detox, Wellness und Fitness. Eine wirklich positive Veränderung ist das nicht. Vielmehr ein Etikettenschwindel – schließlich geht es auch hier nur um Selbstoptimierung und der Druck bleibt.

Body Positivity ist vielen vermutlich als Hashtag bei Instagram bekannt. Woher aber stammt die Bewegung?

Entstanden ist sie in den 60er und 70er Jahren parallel zur zweiten Feminismuswelle. Damals hatten dicke oder auch Schwarze Frauen Probleme, Räume für sich zu finden – auch in feministischen Kreisen. Im US-amerikanischen Kontext war damals Gloria Steinem Aushängeschild der Bewegung. Eine Frau, so normschön, dass sie einen Monat undercover gehen konnte beim Playboy. Damals ging es um den Kampf gegen strukturelle Diskriminierung in allen Lebensbereichen, nicht um 24/7 Selbstliebe. Fat discrimination sollte endlich ein Ende finden.

Wie zeigt sich diese fat discrimination im Alltag?

Wenn ich als dicke Person ins Krankenhaus fahre und sage, ich habe starke Bauchschmerzen, dann kann es passieren, dass meine Blinddarmentzündung nicht diagnostiziert wird – weil mir ohne Untersuchung gesagt wird, ich solle doch erst einmal 20 Kilo abnehmen. Aber auch auf dem Wohnungs- und Jobmarkt oder beim Dating gibt es einen starken Bias gegen dicke Menschen. Die Body-Positivity-Bewegung kämpfte also ums Überleben von Menschen. Doch übrig geblieben sind davon heute hauptsächlich Self-Care-Tipps von norm-schönen Menschen bei Instagram.

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Die Bewegung steht heute also nicht mehr gut da?

Es zeigt sich ein sehr ambivalentes Bild. Diese Frage lässt sich nicht beantworten, ohne in diesem Zusammenhang auch über Plattform-Kapitalismus sprechen. Facebook und Co haben nicht im Sinn, die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Sie wollen, dass wir möglichst viel Zeit in ihren Apps verbringen, damit sie uns möglichst viel zielgruppengerechte Werbung einspielen können. Und Produkte verkaufen sich immer noch besser mit normschönen Körpern, deswegen werden Fotos und Videos von diesen bevorzugt angezeigt. Trotz allem sind diese Plattformen der Ort, an dem die Body-Positivity-Bewegung hauptsächlich stattfindet. Das heißt, wir müssen mit dem arbeiten, was wir haben und gleichzeitig darauf aufmerksam machen, wie Algorithmen die marginalisierten Menschen, die die Bewegung eigentlich gegründet haben, an den Rand drängen.

Facebook und Co werden nicht nur dafür kritisiert, wem sie Sichtbarkeit schenken. For­sche­r:in­nen kritisieren immer wieder, dass Instagram Essstörungen befördere.

Da ist sicherlich etwas dran. Doch viele haben falsche Vorstellungen davon, wie das passiert. Nämlich: Ich ­scrolle drei Stunden am Tag und zack, habe ich eine Essstörung. Aber so einfach ist das nicht. Ich kann mich dem, was ich sehe, ja auch widersetzen. Kann also gleichzeitig mit Werbung für sinnlose Produkte bombardiert werden und auf Instagram lernen, wie Ausgrenzungsstukturen funktionieren. Mir fehlt einfach häufig eine differenzierte Darstellung in dieser Frage. Und die wichtige aktivistische Arbeit, die bei Instagram stattfindet, wird häufig übersehen.

Diese nimmt aber zwischen all den Bikinifotos in normschönen Körpern auch nur einen kleinen Teil ein, oder?

Wir sind sicherlich nicht drei Tage von der Schönheitsrevolution entfernt. Es ist noch viel zu tun, doch seit dem ich Teenagerin war, hat sich auch schon viel zum Positiven gewandelt.

Was zum Beispiel?

In der letzten Staffel „Germany’s Next Topmodel“ gab es mit Dascha ein Curvy Model, das bis ins Finale gekommen ist. Und obwohl ich diese Sendung furchtbar finde, erreicht sie eben ein Publikum außerhalb jener Bubble, die sich eh mit Schönheitsnormen auseinandersetzt. Dass „GNTM“ unter so einem Druck steht, auch nicht dünne Models zu zeigen, ist auch ein Erfolg der Body-Positivity-Bewegung. Gleichzeitig hat sich in der Sendung auch gezeigt, dass es nicht reicht, einfach eine nicht dünne Frau als Teilnehmerin zu haben. Es gab beispielsweise ein Nacktshooting, bei dem die Models ihre Brüste mit den Händen verdecken sollten. Doch Daschas Brüste waren zu groß für diese Pose und damit waren dann erst einmal alle überfordert.

ist Kulturwissenschaftlerin und hat zu ‚ekligen‘ weiblichen Körpern und Body Positivity an der Universität Wien promoviert. Ihr Buch heißt „Riot don't diet – Aufstand der widerspenstigen Körper“. Kremayr & Scheriau, Wien 2021, 240 Seiten, 22 Euro

Sicherlich auch keine einfache Erfahrung für Dascha, die ganze Zeit als „die Dicke“ gekennzeichnet zu werden.

Total. Das zeigt auch gut, dass die Logik von Sichtbarkeit eine zweischneidige Sache ist. Sichtbarkeit für Marginalisierte ist enorm wichtig, weil wir vielfältige Vorbilder brauchen. Doch gleichzeitig erfahren Marginalisierte, die Sichtbarkeit bekommen, in der Regel erst mal noch mehr Ausgrenzung.

Und das sogar „aus den eigenen Reihen“. Vergangenes Jahr hat die Sängerin Lizzo einen Shitstorm bekommen, weil sie eine Saftkur gemacht hat. Ähnliches passierte Adele, nachdem sie abgenommen hatte. Trotz Body Positivity werden Frauen also weiterhin auf ihren Körper reduziert und jetzt eben dafür kritisiert, wenn sie abnehmen.

Ja, und da ist dann vielleicht Body Neutrality die Antwort. Ein Konzept, das in Abgrenzung zu Body Positivity etabliert wurde und sagt: Wir sind mehr als unsere Körper. Ich habe das damals auch bei mir selbst gemerkt, dass mich Lizzos Bilder zu ihrer Saftkur irritiert haben. Kein Wunder auch, das war schon ein krasser Bruch in ihrem öffentlichen Auftreten, mit dem sie ihren dicken Körper feiert, dass die Vorher-nachher-Bilder stark an klassische Diätbilder erinnerten. Dann habe ich mir aber gleich im nächsten Schritt gedacht: Wer bin ich, darüber zu urteilen, was eine dicke Schwarze Frau mit ihrem Körper macht?

Sollte das Konzept Body Neutrality also Body Positivity ersetzen?

Solange wir in einer zutiefst lookistischen Gesellschaft leben – in der also Menschen, die als schön gelten, leichter einen Job, eine Wohnung oder ein höheres Gehalt bekommen und dicke Menschen ausgegrenzt werden –, braucht es unbedingt Body Positivity. Denn die Bewegung kämpft darum, den Schönheitsbegriff zu erweitern. Die Bewegung sagt ja: Alle Körper sind schön, wie sie sind. Und das kann für marginalisierte Menschen nicht nur bedeuten, dass sie als schön gelten, sondern dass sie wirklich weniger Gewalt und Ausgrenzung erfahren, weil sie als Menschen angesehen werden und nicht als Ekelobjekte. Aber ultimativ brauchen wir eine Vision, die darüber hinausgeht. Nämlich, dass wir an einen Punkt kommen, wo wir den Körper als Wahrnehmungsmaschine ansehen, der es einem ermöglicht, Sinneseindrücke zu verarbeiten und mit anderen Menschen in Kommunikation zu treten und dass das viel wichtiger ist, als wie er aussieht.

Um dahin zu kommen, rufen Sie in Ihrem Buch zur Schönheitsrevolution auf. Wie kann die denn aussehen?

Wir müssen von dem Selbsthass, der strukturell benachteiligte dicke, haarige, behinderte oder Schwarze Menschen oft ganz besonders belastet, irgendwie auf Systemgrant switchen. Also eine Form von Zorn oder Widerstand gegen das System entwickeln. So könnten wir den Schönheitsbegriff erweitern, gegen Ausgrenzungserfahrungen kämpfen und damit zurück zu den Wurzeln der Body-Positivity Bewegung kommen. Denn dieses individuelle sich dauernd Selbst-lieben, darum ging es nie. Sondern um die Freiheit, man selbst sein zu können.

Und wie kommen wir da hin?

Dafür braucht es die Arbeit von Individuen, von Medien, Bildungsinstitutionen und der Politik. Als erstes kann man bei sich selbst anfangen und an der Bereitschaft, andere Lebensrealitäten zu sehen, arbeiten. Es geht also darum, marginalisierten Menschen zuzuhören, ihre Realitäten anzuerkennen, und dann Räume für Vielfalt zu schaffen. Und am Schluss steht dann natürlich Solidarität und ein kollektives feministisches Auftreten gegen diese Strukturen. Das können Boykotts von sinnlosen Erfindungen der Schönheitsindustrie sein oder Proteste vor Unternehmen. Gleichzeitig müssen Lehrpläne verändert und Medienkompetenz stärker vermittelt werden. Und vor allem muss sich die Erkenntnis durchsetzen, dass nicht unsere Körper falsch sind sondern Patriarchat, Kapitalismus und weiterhin bestehende koloniale Strukturen.

Das komplette Gespräch ist in der aktuellen Folge „Couchreport“ zu hören – dem taz-Podcast über Gesellschaft, Popkultur und Medien. Den gibt es einmal pro Monat auf taz.de, Spotify, Deezer und iTunes.

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