Koalitionsvertrag in Berlin: An die Regierung geböllert

Silvester hallt nach: In der Sicherheitspolitik setzt sich die CDU auf ganzer Linie durch. Die SPD bekommt relativ viele Regierungsposten.

Franziska Giffey und Kai Wegner

SPD und CDU bekommen gleich viele Posten Foto: Annegret Hilse/reuters

Nach mehr als 20 Jahren wird Berlin in Kürze wohl wieder von der CDU regiert. Am Montag stellte Landesparteichef Kai Wegner den mit der SPD ausgearbeiteten Koalitionsvertrag vor: Das 135 Seiten starke Werk, vollmundig überschrieben mit „Das Beste für Berlin“, ist ein Sammelsurium aus Absichtserklärungen, ein paar progressiven Ansätzen und reaktionären Knallern.

Letztere beziehen sich vor allem auf die Innen- und Sicherheitspolitik. Mehr Personal für die Polizei und eine stärkere Ausrüstung obendrauf, darunter Elektroschocker und „flächendeckend“ Bodycams, drastische Ausweitung der Videoüberwachung, Staatstrojaner und die Verlängerung des Präventivgewahrsams auf fünf Tage: Das sind schon fast bayerische Verhältnisse im linken Berlin.

Kai Wegners Taktik hat damit auf ganzer Linie Erfolg. Zu Jahresanfang noch galt der 50-Jährige als aussichtsloser Kandidat. Doch in der Debatte über die Silvesterrandale in Berlin mit Angriffen auf Polizei und Feuerwehr bedienten er und die CDU rassistische Ressentiments. Das verfing bei überraschend vielen Wähler*innen. Nun kann er seine Forderungen nach mehr Überwachung und restriktiver Sicherheitspolitik umsetzen: Wegner böllert sich an die Macht. Entschuldigt hat sich der wahrscheinliche nächste Regierende Bürgermeister für diese Entgleisungen nie. Am Montag bezeichnete er sie lapidar als Wahlkampfgetöse und bekannte sich zu Berlin als „Stadt der vielen“. Das war er der SPD schuldig.

Nicht nur das: Die Sozialdemokraten haben viele eigene Punkte durchgesetzt, inhaltlich und personell – was auch nötig ist, denn die Basis muss der Koalition per Mitgliederentscheid noch zustimmen. So stellt die SPD genauso viele Regierungsmitglieder wie die CDU, trotz eines deutlich schlechteren Ergebnisses. Die Union lässt sich die ersehnte Rückkehr ins Rote Rathaus also etwas kosten.

Freie Fahrt für Autofahrer

Auch im wörtlichen Sinne. So haben beide Parteien ein 10 Milliarden Euro starkes Sondervermögen für Klimaschutz vereinbart. Damit soll die Stadt bei dem Thema bundesweit eine Vorreiterrolle einnehmen. Doch Wegner und Co. haben nicht wirklich verstanden, wie Klimaschutz funktioniert. Anreize statt Verbote sei der Ansatz. Das heißt zum Beispiel: freie Fahrt für alle Autofahrer, die sich das noch leisten können. Klimaschutz soll offenbar niemanden stören.

Während also der Staat bei Sicherheitsfragen durchgreifen soll, zieht er sich beim Klimaschutz zurück. Beides ist leider Ausdruck fehlenden ­Mutes. Doch den bräuchte es, um die Stadt nach vorne zu bringen.

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Jahrgang 1974, war bis Juni 2023 Leiter der Berlin-Redaktion der taz. Zuvor war er viele Jahre Chef vom Dienst in dieser Redaktion. Er lebt seit 1998 in Berlin und hat Politikwissenschaft an der Freien Universität studiert.

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