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Koalitionsverhandlungen in ThüringenErster Dämpfer für Wagenknecht

Sabine am Orde
Kommentar von Sabine am Orde

In Brandenburg hat sich Sahra Wagenknecht bei der Ukraine-Formel durchgesetzt, in Thüringen nicht. Erstmals zeigen sich die Grenzen ihrer Macht.

Sahra Wagenknecht zu Beginn der Sitzungswoche im Deutschen Bundestag Foto: Anna Ross/dpa

W ochenlang haben alle auf die CDU in Thüringen und Sachsen geschaut: Gelingt es dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) in den Sondierungsgesprächen, den Christdemokraten Zugeständnisse abzupressen, die den Kern ihrer Identität betreffen? Und damit die CDU zu spalten? Zwar weiß man noch nicht, wozu CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer in Sachsen so alles bereit ist, um eine Regierung mit dem BSW zu bilden. Aber nach den Präambeln, die in Thüringen und Brandenburg vorgelegt wurden, ist klar: Während CDU und SPD in Thüringen ihre Werte tapfer verteidigen, ist es die SPD in Brandenburg unter Ministerpräsident Dietmar Woidke, die vor Sahra Wagenknecht einknickt.

Mit der Formulierung, man sehe die Stationierung von Mittelstreckenraketen in Deutschland „kritisch“, stellt sich die SPD gegen den eigenen Kanzler. Und verstärkt damit die Spaltung in der SPD. Natürlich ist es generell problematisch, dass Wagenknecht CDU und SPD dazu zwingen kann, bei Sondierungsgesprächen auf Länderebene über Außenpolitik zu verhandeln – und dass tagelang an Formulierungen gefeilt wird, die mit Landes­politik gar nichts zu tun haben.

Auch muss man kritisieren, dass insbesondere Woidke und Kretschmer durch die Art ihrer Wahlkämpfe mit dazu beigetragen haben, dass das BSW überhaupt in diese Schlüsselposition bei den Regierungs­bildungen gekommen ist.

Auch kann man in Zweifel ziehen, ob man einer populistischen Kaderpartei überhaupt in Regierungsverantwortung verhelfen sollte. Aber wenn in Thüringen ansonsten AfD-Rechtsex­tremist Björn Höcke als Ministerpräsident droht, ist es richtig, eine solche Koalition zumindest zu versuchen.

Kompromisse sind möglich

All das vorausgesetzt, hat Thüringen gezeigt, dass man – auch mithilfe der pragmatischen BSW-Spitzenkandidatin Katja Wolf – einen für alle gesichtswahrenden Kompromiss finden kann. Anders als in Brandenburg wird hier lediglich eine „breite Debatte“ über die Waffenstationierung gefordert; zudem werden Unterschiede in Sachen Westbindung, Ostpolitik und Waffenlieferungen benannt.

Das bleibt deutlich hinter dem zurück, was Wagenknecht wiederholt mit viel öffentlichem Tamtam gefordert hat. Für ihr Vorhaben, als kompromisslose Kämpferin in den Bundestagswahlkampf zu ziehen, ist das ein Dämpfer. Kein Wunder, dass sie die Einigung in Brandenburg öffentlich lobt und jene in Thüringen deutlich kritisiert. Wagenknecht hat den ersten Machtkampf mit Wolf, die im Land regieren will, verloren. Die Frage, wer hier wen spaltet, ist noch nicht entschieden.

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Sabine am Orde
Innenpolitik
Jahrgang 1966, Politikwissenschaftlerin und Journalistin. Seit 1998 bei der taz - in der Berlin-Redaktion, im Inland, in der Chefredaktion, jetzt als innenpolitische Korrespondentin. Inhaltliche Schwerpunkte: Union und Kanzleramt, Rechtspopulismus und die AfD, Islamismus, Terrorismus und Innere Sicherheit, Migration und Flüchtlingspolitik.
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17 Kommentare

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  • Frau Dr. Wagenknecht ist auf jeden Fall, schon Aufgrund ihrer fachlichen Kompetenz ( die bei den überwiegenden politischen Akteuren zu wünschen lässt ) , eine Bereicherung für unsere politische Landschaft.



    Die BSW hat ihre Wählerschaft in kürzester Zeit gefunden - was Aufzeigt - als wie nötig diese neue Partei bei vielen Bürgern & Wählern empfunden wird.

  • Wo ist das Problem? Wenn Wagenknecht rumzickt, gibts halt Neuwahlen. Und das Ganze kann man bis zum St. Nimmerleinstag fortsetzen.



    Des Weiteren könnte Wagenknecht die Königsmacherin für Björn Höcke sein. Auch ne ganz "putzige" Möglichkeit.



    Da hat der Wähler im Osten offenbar eine wirklich großartige Zukunft generiert.

  • Na da wird Frau Wagenknecht aber schnell dafür sorgen, dass andere BSWler in Thüringen an die Macht kommen. Wo kämen wir denn da hin, wenn am Ende demokratische Prozesse erfolgreich sind und die Landespolitik voranbringen.

    Was sind gleich nochmal die landespolitischen Themen des BSW in Thüringen? Was möchte das BSW da gerne voranbringen?

    Günstigen Wohnraum? Funktionierende Infrastruktur? Umfassende Bildungsangebote für alle Menschen?

  • Wagenknecht wird ihr eigener Laden um die Ohren fliegen, eine Ein-Frau-Partei, die das Meinungsbild der Chefin bedingungslos in jede Verästelung herunterbricht kann nicht funktionieren, zum Glück. Sie wird irgendwann die Lust verlieren, wenn selbst die handverlesenen Mitglieder nicht mehr nur stramm stehen. Dann wird eben wieder die Talkshowtour fortgesetzt, vielleicht sogar besser für die deutsche Politik.

    • @Bambus05:

      Sie sind offenbar immer noch optimistisch bezüglich der Fähigkeiten des Wählers. Bewundernswert.

    • @Bambus05:

      Wieso kann das nicht funktionieren? Trump hat es sogar bei einer Partei geschafft, die er nicht selbst gegründet hat. Und Putin braucht nicht mal eine Partei... Das sind die Vorbilder von Frau Wagenknecht.

  • Völlig unabhängig vom Sinngehalt ihrer Forderungen, ein derartiger Dämpfer war überfällig. Das ist Demokratie, das muss sie offenbar noch besser verinnerlichen.

  • Wagenknecht kann angeblich im Alleingang Landesvorstände abgerufen, wenn ihr deren Linie nicht passt. Damit hätte sie leninsche Autorität im Sinne einer Kaderpartei. Mit so jemandem legt man sich nicht ins Bett.

  • 》Natürlich ist es generell problematisch, dass Wagenknecht CDU und SPD dazu zwingen kann, bei Sondierungsgesprächen auf Länderebene über Außenpolitik zu verhandeln – und dass tagelang an Formulierungen gefeilt wird, die mit Landes­politik gar nichts zu tun haben《, schreiben Sie.



    .



    Vielleicht lohnt ein Blick in die Verfassung?



    .



    》Durch den Bundesrat wirken die Länder bei der Gesetzgebung und Verwaltung des Bundes und in Angelegenheiten der Europäischen Union mit.《 (Artikel 50 GG, und Art. 76 setzt das Recht des Bundesrats, Gesetzesinitiativen in den Bundestag einzubringen - inwiefern soll davon Außenpolitik ausgenommen sein?



    .



    Deutschland ist als Bundesrepublik verpasst, Landesregierungschefs sind keine untergeordneten Abteilungsleiter.



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    Es kann daher auch keine Rede von 'den Christdemokraten Zugeständnisse abpressen' sein, wenn politische Forderungen, mit denen das BSW in die Wahlen gezogen ist, verhandeln will.



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    Und wenn Waffenlieferungen bzw. -stationierungen den "Kern der Identität" der Union betreffen sollen, ist das auch eine Reduktion, die mir unrealistisch vorkommt, selbst für die Grünen oder die FDP zu weit ginge.

    • @ke1ner:

      Gottlob hat der Bundesrat nichts in der Außenpolizik zu melden, sonst hätte das Saarland die Wiedervereinigung torpedieren können mit Lafontaine.

  • Tja, niemand ist all mächtig.

  • Frau Wagenknecht hat gezeigt, dass in ihrer Partei die innerparteiliche Demokratie funktioniert.



    Das ist für das BSW ein Erfolg!

  • In Brandenburg wäre ich mitrauche nicht sicher, ob die SPD Führung nicht froh war, der Formulierung zustimmen zu „müssen“.

  • "Mit der Formulierung[...]verstärkt damit die Spaltung in der SPD."

    Nein,die Spaltung der SPD wird damit abgebildet.



    Scholz und seine transatlantischen Seeheimer mögen diese Partei dominieren,aber das heißt nicht dass es dort ausschließig diese Lemminge der Funktionärsebene gäbe.



    Dass Stegner als einziger der oberen Ränge die Eier hatte am 03.10. aufzutreten,ist der traurige Befund dass auch Mützenich kein Rückgrat hat,aber ist halt so.

    "Natürlich ist es generell problematisch, dass Wagenknecht CDU und SPD dazu zwingen kann, bei Sondierungsgesprächen auf Länderebene über Außenpolitik zu verhandeln[...]die mit Landes­politik gar nichts zu tun haben."



    Wird durch ständige Wiederholung auch nicht besser,die vergangenen Förderalismusreformen haben es gezeigt,dass sich die Kompetenzen ändern können zudem hat der Bundesrat die Interessen der Länder im Gesamtstaat zu repräsentieren,deshalb auch einen Ausschuss für Außenpolitik und entsprechende Initativkompetenz für die Bundespolitik hat.



    Folglich muss man sich in Koalitionen auch über den Kurs der Landesregierung in diesen Fragen einig werden und da die Russlandsanktionen die gesamte Innenpolitik prägen,ist dies auch mehr als richtig.

  • Ich AG Wagenknecht.

    Frau Wagenknecht muss endlich begreifen, dass nach deutschen Recht eine Partei nicht einer Person privat gehört, und sie wie ein Autokrat von einem Thron diktieren kann, diktieren darf. Der interne Konflikt ist vorprogrammiert.

  • Grenzen der Macht



    Kaderpartei



    Spaltung



    Interessantes Vokabular.



    Zum Punkt 1, ja, die SPD ist eine demokratische Partei, in der es zwei Meinungen gibt, manchmal sogar mehr. Das unterscheidet sie im Führungsstil von CDU und CSU, die Ihren Vorsitzenden Nibelungentreue schwören.



    Der C Opportunismus erklärt sich daraus, dass C PolitikerInnen in erster Linie an Macht interessiert sind, Inhalte spielen keine Rolle.



    Wie sonst erklärt sich der Wandel der CDU in der Nach / Merkel Zeit?



    Ein Politabstinenzler wird Vorsitzender und Alle laufen seinen wirren Phrasen hinterher.



    Das führt zu "Kaderpartei".



    Klar trägt das BSW den Namen seiner Vorsitzenden und ich weiß noch nicht so recht, was ich von dieser neuen Partei halten soll.



    Da scheint sich gerade etwas zu entwickeln.



    Wer stellt sich denn in der CDU offen gegen Merz? Wo ist der Unterschied zur Stellung von Wagenknecht?



    Brandenburg "spaltet die SPD"?



    Es ist kein Geheimnis, dass es in der SPD unterschiedliche Meinungen zum Krieg und auch zum Frieden und dem Weg dorthin gibt.



    DemokratInnen müssen das aushalten können.



    Kompromisse sind nicht faul, sondern das Wesen der Demokratie.

  • Wagenknecht geht die Landespolitik am Arsch vorbei. Man sollte deutlich diese verflüssige Forderung als Lackmustest für das BSW zur Disposition stellen um zu schauen wie ernst es dem BSW mit der Landespolitik ist.