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Koalition in ThüringenRot-rot-grüne Irritationen

Das Bündnis von Regierungschef Ramelow gerät in der Flüchtlingspolitik unter Druck. In der Kommunikation von Koalition und Regierung hakt es.

Er schlägt vor, die Schulpflicht für Flüchtlingskinder auszusetzen – und irritiert damit: Andreas Bausewein von der SPD Foto: dpa

Dresden taz | Wird die Flüchtlingspolitik zu einer Belastungsprobe für die junge links geführte rot-rot-grüne Musterkoalition in Thüringen?

Vor zwei Wochen rieb man sich bundesweit verwundert die Augen über einen offenen Brief des Erfurter Oberbürgermeisters und SPD-Landesvorsitzenden Andreas Bausewein an Kanzlerin Merkel und den eigenen Regierungschef Bodo Ramelow (Linke). Während kommunale Sorgen noch Verständnis fanden, erntete vor allem Bauseweins Forderung, die Schulpflicht für Flüchtlingskinder bis zur Klärung ihres Aufenthaltsstatus auszusetzen, breiten Widerspruch. Flüchtlinge, die keine Chance auf Asylgewährung haben, sollten in Schnellverfahren abgeschoben werden.

Kurz zuvor ließ auf dem Jahresempfang der Union in Erfurt das Lob von Oppositionsführer Mike Mohring für SPD-Innenminister Holger Poppenhäger aufhorchen. Der Justizminister der vorigen CDU-SPD-Koalition hatte den Winterabschiebestopp infrage gestellt. Jüngst wurden weitere Kommunikationsdefizite zwischen Bausewein und Ramelow offenkundig, als es um eine Gemeinschaftsunterkunft in einer ehemaligen Erfurter Zahnklinik ging.

In dieser Frage sprechen auch Koalition und Regierung nicht mit einer Stimme. Ramelow will ein solches Massenquartier einrichten, für Familien und für Flüchtlinge aus den Westbalkanstaaten. Grüne und auch Linke-Landes- und Fraktionschefin Susanne Hennig-Wellsow lehnen eine solche Gemeinschaftsunterkunft ab. Knirscht es also nach einem Dreivierteljahr in der bundesweit ersten Koalition mit einem linken Ministerpräsidenten?

Bemühen um Deeskalation

Die SPD steht unter dem stärksten Druck. In Umfragen blieb sie zuletzt hinter den 12,6 Prozent bei der Landtagswahl im vorigen September zurück. Doch nur wenige Tage nach dem Bausewein-Brief verabschiedete der Landesvorstand ein moderates Grundsatzpapier zur Thüringer Flüchtlingspolitik, das sich an der Bundespartei orientiert. Die heißen Kartoffeln aus dem Bausewein-Brief fehlen darin, Abschiebung und Abschiebestopp finden sich stark abgekühlt wieder.

Linken-Vorsitzende Hennig-Wellsow ist ebenfalls um Deeskalation bemüht. Es handele sich zunächst nur um einen „Meinungsbildungsprozess in den Parteien“, der aber für das parlamentarische Geschehen nicht relevant sei, sagte sie der taz. Bausewein habe auch viel Richtiges aufgeschrieben.

Dennoch erinnert die Fraktionschefin den Partner an den Koalitionsvertrag. Der spricht von einer „menschenrechtsorientierten Flüchtlings- und Integrationspolitik“. Mit dieser Haltung habe Thüringen etwa im Vergleich zu Sachsen auch einen „kulturell neuen Weg“ eingeschlagen, der sich in besserer Akzeptanz von Flüchtlingen in der Bevölkerung niederschlage.

Eine Gefahr für die Einstimmenmehrheit der Koalition sieht Hennig-Wellsow nicht. Die CDU registriert solche Differenzen dankbar. Fraktionschef Mohring lässt keine Gelegenheit aus, von einer „Viererkoalition“ der drei Parteien mit Ministerpräsident Ramelow zu sprechen. Zu einer echten Zerreißprobe könnte sich die Aufstellung des Doppelhaushalts 2016/17 entwickeln. Darin droht wegen der Flüchtlingskosten ein Defizit von mehr als einer Milliarde Euro.

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8 Kommentare

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  • 2G
    24636 (Profil gelöscht)

    "Die CDU registriert solche Differenzen dankbar."

     

    Die taz doch auch.

     

    Ich halte es für journalistisches Versagen und Missverständnis über das Wesen demokratischer Strukturen, wenn das Austragen und Diskutieren politischer Differenzen als Mangel der Fassade wahrgenommen wird. Genau darin sollte meiner Ansicht nach ein Merkmal des Politikwandels und linker Politiken liegen. Und linke Medien, die sich weniger für Symbolpolitiken und Politmarketing interessieren, könnten dann analysieren und kritisieren, dass und wie man noch daran arbeiten müsse, diese Transparenz von Differenzen und möglicher Strategien zu ihrer Überwindung auszugestalten.

    • @24636 (Profil gelöscht):

      Guter Punkt, hätte ich auch lieber so! Leider funktioniert die Öffentlichkeit nicht so, und damit ist erst zuletzt die taz gemeint. Wenn es Mohring und der CDU gelingt, die Regierungskoalition als uneinheitlich darzustellen, gewinnt er.

      • 2G
        24636 (Profil gelöscht)
        @Spin:

        Dann hat die CDU bereits gewonnen.

         

        Linke Politiken werden - insofern sie es nicht nur sein wollen, sondern sind - nie nach dem Format der Symbolpolitiken funktionieren. Das kann und muss man offensiv nach außen vertreten. Und im Hintergrund des Diskurses über die Mosaik-Linke ist das auch geteilte Position. In dieser Koalition scheint das aber noch nicht angekommen. Es gibt einen Trend bei den Bürger selbst und (wie kritisiert) auch im Journalismus, die Selbstentmündigung einzufordern. Das ist bequem und qua Politmarketing auch gewollt, aber es ist die falsche Strategie für jede Form linker Systemkritik. Gegenmacht muss politische Institutionen ersetzen und Prozesse reformieren. Wer davor kneift, hat schon verloren.

        • @24636 (Profil gelöscht):

          Ich finde völlig falsch, nach einem Pauschalersatz politischer Institutionen (welcher denn genau? Regierungen oder Parlamente, die gewählt werden? - und durch was genau?) zu rufen. Wer Bürgerentscheide für emanzipatorischer hält, wird schnell von Rechtpopulisten eines Schlechteren belehrt.

           

          Ich finde auch nicht, dass Einheitlichkeit per se schlimm ist: Linke sollten sich halt auf gemeinsame Projekte und Strategien einigen und diese gegen Rechte durchsetzen. Im Moment geht es darum, die Rechte möglichst vieler Geflüchteter gegen CSU, NPD und Bausewein durchzusetzen. Und generell die Rechte Diskriminierter gegen Privilegierte (also: Armenrechte gegen die Reichen, Homorechte gegen Rückwärtsgewandte usw.) Gemeinsam, mit starker und Lauter Stimme (und das heißt: geschlossen)!

  • Es ist eine vergleichsweise moderne Unsitte, politische "Meinungsbildungsprozess[e]" über die Medien auszutragen. Eine Unsitte, der die Medien nur all zu gerne Vorschub leisten. Sie sind schon alle miteinander ganz schön eitel, wie es scheint.

     

    Wenn der Erfurter OB glaubt, noch vor dem persönlichen Gespräch mit dem amtierenden Ministerpräsidenten mit einem "offenen Brief" an die Kanzlerin seine Position stärken zu müssen, zeigt das im Grunde nur seine Angst davor, nicht genug plausible Argumente in der Hand zu haben. Er glaubt wohl einfach nicht, dass er Bodo Ramelow überzeugen kann, und will deshalb genügend externen "Druck" aufbauen. So hofft er offenbar, seine Meinung trotzdem durchzusetzen. Unter echten Demokraten habe ich mir Meinungsbildung etwas anders vorgestellt.

     

    Die Bestätigung bzw. Sicherung der eigenen Alphaposition scheint Bausewein wichtiger zu sein als jede politische Zusammenarbeit und selbst als jede menschlich-moralische Erwägung. Ich hoffe sehr, dass dieser Mann über den Posten eines Oberbürgermeisters nie hinauskommt. Schon damit scheint er heillos überfordert zu sein, wenn ich seine Flüchtlings-Phobie richtig interpretiere. Für den Oppositionsführer Mike Mohring gilt das Gesagte im Übrigen analog.

    • @mowgli:

      Ausnahmsweise war Maybrit Illner getsern mal ganz gut. Und das lag an der Kommunalpolitikerin aus Neukölln. Sie hat die echten Probleme angesprochen, mal raus aus dem "humanistisch-philosophischen Elfenbeinturm" vieler Linker and auch fern von einfachen Parolen von Rechtpopulisten. Die Message war: wir haben in den Kommunen die Kontrolle in jeder Hinsicht verloren. (wir können Pritsche and Pritsche reihen, aber was dann? ) Ich denke wenn linke Politik (Ramelow) sich weiter nicht bereit erklärt jetzt auch harte Massnahmen durchzuführen (Bsp. kein Winterabschiebestopp) wird die Politik nicht mehr lange den Luxux haben, zu bestimmen wie es weitergeht. Und das nicht wegen den Rechten, sondern weil die Menschen in den Zelten und Turnhallen schlichtweg durchdrehen. Und sie sagte es klar: was diese Menschen sich vorstellen ist schlichtweg nicht möglich. Mit dem besten Willen der Welt können sie keine Arbeitsplätze vergeben, die nicht da sind, keine Wohnungen, die nicht gebaut sind. oder nach Clausewitz: der der versucht alles zu verteidigen wird am Ende alles verlieren.

      • @Links-Stratege:

        Was die Flüchtlinge verloren haben, wird hier keiner verlieren, nämlich alles !

        Was wir zu verlieren haben, ist lediglich die Unteilbarkeit unserer Habe.

      • @Links-Stratege:

        Das "Ausnahmsweise" nehme ich Ihnen nicht ab. Sie sind ein Fan.

         

        Übrigens, weder Clausewitz noch sein Zitat passen hier. Aber interessant, daß Sie soziale Fragen mit Kriegsstrategien beantworten.