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Knuddeln in der PandemieHugbefehl

Statt sich eng zu umschlingen und fest zuzudrücken, definierte sich der Alman-Hug über weit ausgestreckte Arme. Für wen lässt man diese Lücke?

Schön feste, kein lascher Alman-Hug Foto: Bonninstudio/Westend61/imago

I m Jahre 2020 hittet der 3. Dezember anders. Erklärung: In den USA findet heute seit 1986 der Let’s Hug Day statt. Die wenigsten von uns haben das auf dem Schirm, weil wir auf einem anderen Kontinent leben. In Zeiten von Corona über Umarmungen nachzudenken, wühlt dennoch auf. Ich vermisse es, meine Freund:innen zu umarmen beziehungsweise eine unlimitierte Anzahl an Leuten umarmen zu können. Damals ging ich mit meinen Aerosolen kommunistischer um, ich verteilte sie gönnerhaft an alle, die wollten oder in der Nähe standen, heute bin ich sparsam mit Umarmungen, als wären sie teure Macarons, die nicht auf schnelle Welle verschlungen werden. Nicht aus Geiz, sondern aus Fürsorge.

Gleichzeitig überdenke ich mein Verhältnis zu körperlicher Nähe. Als ich in Wien lebte, war ich zunächst erstaunt darüber, dass man sich dort mit einem Bussi rechts und links begrüßte. Ich fand es schön, aber mein innerer Alman hatte es sich angewöhnt, Menschen ein wenig reservierter zu begegnen. Das hatte sich spätestens in der 8. Klasse beim Frankreich-Austausch eingebürgert, damals hielten meine Mit­schü­ler:in­nen die Bisous-Begrüßung im Land der Macarons für suspekt.

Ich nickte nur beschämt, schwieg darüber, dass meine Verwandten zur Begrüßung nicht nur zwei, sondern sogar drei Küsschen austauschten. Zugegebenermaßen fand ich es als Kind eher lästig, meine von der Hitze klebrige Haut an die Wangen älterer, mir kaum bekannter Frauen zu halten. Reichte es nicht, einfach in die Runde zu winken? In Deutschland klopft man doch auch einfach nur zweimal auf den Tisch und begrüßt so den ganzen Raum.

Ende der Mittelstufe wurde aber klar: Körperliche Nähe zu den engen Freund:innen zeugte von Selbstbewusstsein und Erwachsensein. Die Coolsten gingen sogar samstags in die Fuß­gän­ger:in­nen­zone der benachbarten Großstadt und boten Free Hugs an. Wow, dachte ich, wie freigeistig und lässig ist das denn! Damals assoziierte ich Hippietum nicht mit Antisemitismus, Sekten und Coronaleugnen. Nur mit Liebe, Körperbehaarung und Gras.

Die lasche Alman-Umarmung

Die Welt war noch in Ordnung. Was meine Freund:innen von meinen Verwandten unterschied, war ihr Weißsein. Die Selbstverständlichkeit für die körperliche Nähe zu (fast) Fremden ließ die einen auf mich modern wirken und die anderen aufdringlich. Als ich zu studieren begann und weiße Deutsche irgendwie doof fand, machten meine Freund:innen und ich uns über die Alman-Umarmung lustig.

Statt sich eng zu umschlingen und fest zuzudrücken, definierte sich dieser Hug über weit ausgestreckte Arme, laschen Druck (als kuschelte man mit einer Handvoll Joghurt) und dem leeren Raum zwischen den Körpern. Für wen ließ man diese Lücke? Für Jesus? Für Bockwurst? Für die verliehenen 20 Cent? Und heute so: Klar, das Knuffeln meiner Freund:innen fehlt mir, aber irgendwie möchte ich auch nach Corona nur diejenigen drücken, die ich wirklich umarmen möchte. Und dann aber richtig fest und lang.

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Hengameh Yaghoobifarah
Mitarbeiter_in
Hengameh Yaghoobifarah studierte Medienkulturwissenschaft und Skandinavistik an der Uni Freiburg und in Linköping. Heute arbeitet Yaghoobifarah als Autor_in, Redakteur_in und Referent_in zu Queerness, Feminismus, Antirassismus, Popkultur und Medienästhetik.
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20 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

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  • 0G
    08786 (Profil gelöscht)

    @"Als ich zu studieren begann und weiße Deutsche irgendwie doof fand..."

    Ist diese Position einer Art invertiertem "White Pride" gleichzusetzen? Auf angeblich "links" gedreht? Warum schreibt man hier so etwas? Wird es mit Rassismus und Fremdenfeindlichkeit besser, wenn man sich über einen ganzen Teil der Bevölkerung eines Landes lustig macht wegen der Hautfarbe und angeblichen Stereotyoen im Verhalten?

  • aber irgendwie möchte ich auch nach Corona nur diejenigen drücken, die ich wirklich umarmen möchte.

    ja, und genau nur das wollte ich vorher auch schon.



    Es gbt nichts Gutes an Corona, aber wirklich gut ist die Befreiung vom Umarmungszwang!

  • Auch wenn das jetzt nicht direkt mit dem Thema zu tun hat, aber die Zeile mit den Hippies... ich schäme mich. Nicht wegen Hengameh, aber weil seit den Corona-Demos ich mich zu keiner Gruppe mehr zugehörig fühle.

    Frieden, Tierschutz, Kampf gegen den Kapitalismus, freie Liebe, Gras, Abschaffung von Grenzen, gemeinsames Miteinander... alles für die Katz, weil heutzutage Hippies für Querdenken und Esoterik stehen. Sehr schade, und leider ohne nennenswerte Alternative. Oder weiß mensch eine Alternative, wenn ja, schreibe es ruhig hinein, Hengameh. ;3

  • Wäre die Umarmung durch Almans weniger lasch, fände die schreibende Person dazu sicher eine kritische Formulierung.



    Überspitzt die schreibende Person in Kolumnen, ist es falsch, sitzt sie/er für ein Luxuskaufhaus Reklame, ist auch das falsch. Wie man es macht, ist es verkehrt.

  • Sicher - der Hug Day könnte hier nach Halloween schon der zweite Kulturimport der Nachkriegszeit aus den USA werden. Ich mach mir derzeit aber mehr Sorgen um den einstmals obligatorischen Bruderkuss unter Diktatoren. Der sollte doch jetzt bitteschön mal weltweit verbindlich eingeführt werden, zumal er ja auch sowas wie einer Umarmung bedarf.

    • @Rainer B.:

      Liggers. But!

      Leonid Iljitsch Breschnew ist tot!

      unterm—— servíce —



      images.app.goo.gl/GjT3BRftUKNdupx26 Hütchen auch! Pankow Wandlitz?



      Lieber das Orijinal - Newahr! - 🤫 -



      m.youtube.com/watch?v=W3q-X2fNr6Q - Kötschenbroda - 🎶 🎶 🎶 -

      • @Lowandorder:

        Däh&Zisch - Mailtütenfrisch - wirft ein -

        “ Ich glaube es huggt.“

        • @Lowandorder:

          Ich hätte natürlich hinzufügen müssen, dass bei mir u.a. Mafiapaten und ähnliche Zeitgenossen auch unter Diktatoren laufen. Ganz klar mein Fehler. Hugh und Howgh!

    • @Rainer B.:

      "Sicher - der Hug Day könnte hier nach Halloween schon der zweite Kulturimport der Nachkriegszeit aus den USA werden."

      Wow. Da ist ihnen aber eine ganze Menge entgangen.

      • @Jim Hawkins:

        „Eine ganze Menge“ hört sich erstmal nach viel an, ist aber konkret gar nichts.

        • @Rainer B.:

          Und woher kommen ihrer Meinung nach neue Denkrichtungen und Ansätze. Wo ist der Feminismus zuerst aufgeschlagen?

          Wer hat zuerst gegen den Vietnamkrieg demonstriert? Und woher kommen, was immer man von ihnen hält, postkoloniale Ansätze?

          Wer macht die besseren Filme? Die Coen-Brüder, Quentin Tarantino oder Till Schweiger?

          Wer hat die meisten Schwergewichte in der Literatur?

          Welche Musik, die wir seit 60 Jahren hören, hat ihren Ursprung nicht dort?

          Wer heimst regelmäßig die meisten Nobelpreise ein? Hat die weltbesten Unis?

          Fragen über die Fragen.

          • @Jim Hawkins:

            Neue Denkrichtungen und Ansätze kommen aus der ganzen Welt.

            Feminismus findet sich bereits 1837 bei Charles Fourier, einem französischen Philosophen und sozialen Utopisten.

            Demonstrationen - wogegen auch immer - sind wahrlich keine amerikanische Erfindung.

            Postkoloniale Ansätze gab es bereits lange vorher in Indien und Afrika.

            Die meisten literarischen Schwergewichte gab es vor dem Krieg in Europa, insbesondere in Frankreich, England und Deutschland.







            „Gute“ Filme gab es bereits vor dem Kriegsende nicht nur in Amerika und die Jazzmusik war auch schon hier.

            Dass die USA die Liste der Nobelpreise anführt, hängt nicht zuletzt auch damit zusammen, dass zahlreiche Wissenschaftler vor, während und nach dem Krieg dorthin emigrierten. Einen Kulturimport der Nachkriegszeit kann ich darin nicht erkennen.

            Wer die weltweit besten Unis hat, ist letztlich immer eine Frage der Ideologie in den Auswahlkriterien.

            • @Rainer B.:

              Na gut, war nur ein Versuch.

  • Wer "weiße Deutsche irgendwie doof" findet, ist der nicht latent rassistisch?

    • 4G
      4813 (Profil gelöscht)
      @JoSte:

      "Wer" ist doch weiß.



      Und mit dem Artikel hat sie Recht. Auch du mein Sohn Brutus?! falsche Umarmung braucht keiner.

  • Gegen die meisten Ost- und Südostasiaten sind "Almans" aber Knuddelmonster. Man versuche mal in Indonesien, Freunde oder gar ältere Verwandte zu umarmen. Zwar sind zumindest die Indonesier sonst gar nicht körperkontaktscheu, aber Umarmungen sind sehr ungewöhnlich und Küsse gelten nahezu ausschließlich als Sexpraktik, die ins Schlafzimmer gehört.

  • [...] Beitrag entfernt. Bitte beachten Sie die Netiquette. Vielen Dank! Die Moderation

    • @Ebenrutanem:

      [...] Beitrag entfernt. Der Kommentar auf den Sie sich beziehen, wurde bereits entfernt. Die Moderation

  • War schon immer so lasch, außer bei Oma. Das war zu hart, inkl. Bäckchenquetschen.



    Die Deutschen machen das auch nicht weil sie das wollen, sondern weil das irgendwie so global "entwickelt" wurde... thanx to the Obamas. Eher subtil am Körper und eingefrorenes Lächeln im Gesicht.

  • "...als kuschelte man mit einer Handvoll Joghurt"

    Der war gut :-)