Kloster unterstützt Protestierende: Kirchenasyl mitten in Kiew

Das orthodoxe Michaelskloster bietet Demonstranten derzeit rund um die Uhr Zuflucht. Doch die Mönche fürchten die „Rache“ des Regimes.

Viele derjenigen, die ins Kloster kommen, sind in eine Nationalflagge und eine EU-Fahne eingehüllt. Bild: reuters

KIEW taz | Das Michaelskloster der ukrainisch-orthodoxen Kirche in Kiew beweist dieser Tage Mut. Seine Pforten sind jetzt rund um die Uhr für alle geöffnet. So fanden auch Demonstranten Aufnahme, die vor prügelnden Sonderpolizisten Zuflucht suchten.

Es dürfte mehrere Jahrzehnte her sein, dass die Kirche sich das letzte Mal zu einem derartigen Schritt entschlossen hatte. Und wie früher traut sich auch jetzt die Sonderpolizei nicht, das Kloster zu betreten. So bietet die Kirche sicheres Asyl für alle. Es dauerte nicht lange, dann schlossen sich auch die römisch-katholische Kirche und andere Kirchen in Kiew diesem Schritt an.

Ihren Namen wollen die Mönche des Michaelklosters nicht nennen, verstehen sie doch ihre Hilfe als gemeinsame Sache aller Mönche. Gleichwohl fürchten sie auch die Rache der Diktatur, sollte diese doch die Oberhand gewinnen.

Das Kiewer Patriarchat ist nicht anerkannt, muss mit regelmäßigen Provokationen des Moskauer Patriarchats fertig werden, das die ukrainischen Geistlichen lieber heute als morgen ihrer heiligen Stätten berauben möchte. Doch die Kirche öffnet ihre Türen für alle und fragt nicht nach den politischen Ansichten der Besucher.

Empfang mit einer Tasse Tee

Jetzt sind es vor allem die Demonstranten, die hier Hilfe suchen. Als die Sonderpolizei in der Nacht zum 11. Dezember erneut versucht hatte, gegen die Demonstranten vorzugehen, entschloss man sich im Michaelskloster, die Glocken Sturm läuten zu lassen. Um Position zu beziehen, begründen die Geistlichen ihre Entscheidung. Wenn die Schwachen geschlagen würden, seien sie zur Hilfe verpflichtet.

Seit mehreren Tagen nun schon ist das Kloster für viele Menschen Zufluchtsort, doch nur noch wenige bleiben, um hier zu übernachten. Die meisten Demonstranten schlafen inzwischen in anderen Gebäuden. Doch nach wie vor wird man im Michaelskloster mit einer Tasse Tee empfangen und kann warme Kleidung bekommen. Vor dem Kloster stehen Zelte der Protestierer. Die Demonstranten, berichten die Mönche, haben die Kirche weder beschädigt noch verunreinigt. Einige von ihnen bieten Hilfe an und halten die Räumlichkeiten instand.

Der Strom der Besucher des Klosters scheint nicht abzureißen. Viele derjenigen, die kommen, sind in eine Nationalflagge und eine Fahne mit den Sternen der Europäischen Union eingehüllt. Einige beten still vor sich hin, andere bitten Gott hörbar um Freiheit für ihr Land.

Kleidung, Lebensmittel, Geld

Zwei Männer, die sich auf dem Maidan kennengelernt haben, Ruslan und Maxim, haben eine beträchtliche Summe Geld in die Opferbüchse geworfen. „Das Kloster“, sagen Maxim und Ruslan, „braucht doch Geld.“ Schließlich müsse doch alles, auch der Tee, bezahlt werden.

Sie sind nicht die Einzigen. Andere bringen warme Kleidung, Lebensmittel oder eben auch Geld. Viele gehen auch direkt auf den Unabhängigskeitsplatz (Maidan), wo sie ihre Geschenke dem Koordinierungsstab überreichen.

Für sie sei die kirchliche Unterstützung der Revolution sehr wichtig, berichtet eine junge Frau, die mit einer Tasche in den ukrainischen Nationalfarben die Kirche aufgesucht hat. „Die Kirche verfolgt damit auch eigene Interessen. Und da steht wohl die Anerkennung des Kiewer Patriarchats auf allen Ebenen an erster Stelle, sollten die revolutionären Kräfte einen Sieg erringen“, sagt sie. In diesem Fall, so die Frau, werde der Einfluss der Moskauer Kirche, die sich der Regierung gegenüber loyal verhält, abnehmen. Dann könne die ortsansässige Kirche die Bedeutung gewinnen, die ihr in einem unabhängigen demokratischen Staat auch zustehe.

Aus dem Russischen: Bernhard Clasen

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