Klimawandel in Ägypten: Mit App und Solarpumpe
Im Dorf El-Boghdadi haben die Bauern noch nie von Greta Thunberg gehört. Die Folgen des Klimawandels bekommen sie dennoch zu spüren.
G espannt schaut das Publikum auf den geizigen Bauern, der partout seine Bewässerungsanlagen nicht erneuern will. Der Uneinsichtige steht auf der mit Teppichen ausgelegten Bühne im Hof des Gemeindezentrums, hinter dem Schauspieler ist ein breites Banner mit einem goldenen Weizenfeld aufgespannt.
Für die Männer, Frauen und Kinder im Dorf ist das Theaterstück eine willkommene Unterbrechung ihres Alltags. Für die Vorstellung haben die Männer ihre Feierabend-Gallabeyas angelegt, die für die ägyptischen Bauern üblichen Beinkleider. Die Frauen tragen die für das südliche Ägypten typischen bunten Kleider.
Doch die Komödie, die die Bewohner von al-Boghdadi an diesem Abend sichtlich genießen, hat einen ernsten Hintergrund: den Klimawandel, der auch ihre Heimat trifft. In dem Stück erfahren die Bauern, wie dieser sich auf Ägypten und ihre tägliche Arbeit auswirkt. Sie hören, dass die extremen Hitzewellen, die das Land im vergangenen Jahr erlebt hat, kein Zufall sind und dass sie als Bauern klug mit dem immer knapper werdenden Wasser umgehen müssen.
In dem Theaterstück weigert sich der geizige Bauer zunächst, die Bewässerungsrinnen auf seinem Feld zu erneuern und mit Ziegeln und Zement auszukleiden. Er wird vermeintlich tot nach Hause gebracht, weil er in seiner alten Erd-Bewässerungsrinne von einer Schlange gebissen wurde. Vor seinem leblosen Körper spotten die anderen über seine Torheit, sich den Neuerungen verschlossen zu haben, als er überraschend aufwacht und sich geläutert zeigt. Mit Musik und einem Fest feiern die Laienschauspieler die Entscheidung. Am Ende tanzt auch das Publikum mit.
Das kleine ägyptische Dorf al-Boghdadi liegt gerade einmal eine Viertelstunde mit dem Auto von den berühmten altägyptischen Tempeln in Luxor und Karnak entfernt. Aber hierher verirrt sich kein Tourist. Die meisten von ihnen lassen das Dorf einfach links liegen, wenn sie über die einzige Nilbrücke zum Tal der Könige auf dem Westufer fahren oder weiter in den Süden nach Assuan. Es ist ein typisches südägyptisches Dorf zwischen Zuckerohr-, Weizenfeldern und Bananenhainen.
Das Dorfleben spielt sich abends rund um die Moschee und das daran angeschlossene Gemeinschaftszentrum ab. An diesem Abend kommen die Leute nach dem Abendgebet hier zusammen, um dem Stück der Theatertruppe beizuwohnen, die in der Provinz Luxor von Dorf zu Dorf zieht. Und es kommt gut an.
Zum Beispiel bei Bauer Ramadan Mohamed: „Ich habe mit anderen Bauern schon oft versucht, über das Thema Klimaveränderung zu reden, bin aber auf taube Ohren gestoßen. Das Theaterstück hat jetzt alle aufhorchen lassen“, sagt er nach der Vorstellung. Und die Laienschauspelerin Angham Muhammad pflichtet bei: „Wir haben jetzt November und es ist immer noch heiß. Eigentlich sollte es schon kühler sein. Das sind die Klimaveränderungen, von denen wir im Theaterstück sprechen.“
Für Osman al-Scheich ist das von ihm vor sechs Jahren ins Leben gerufene Theaterprojekt die Möglichkeit, „dass eine ganze Dorfgemeinschaft zusammenkommt und auf unterhaltsame Weise nicht nur den Klimawandel als Konzept kennenlernt, sondern auch Lösungen präsentiert bekommt“. Osman leitet ein vom UN-Welternährungsprogramm WFP finanziertes Projekt zum Klimawandel und zu dessen Auswirkung auf die Bauern. Er will Kleinbauern ermutigen, neue Bewässerungsmethoden anzuwenden.
Schon jetzt, erklärt er, haben die Ägypter pro Kopf nur 700 Kubikmeter Wasser im Jahr zur Verfügung. Die offizielle Wasserarmuts-Grenze liege bei 1.000 Kubikmetern. Und die Klimawandel-Modelle für den Nil verheißen wenig Gutes, erläutert er. Die meisten sagen eine Verringerung der Regenfälle im äthiopischen Hochland voraus. Das pessimistischste Szenario geht gar davon aus, dass der Nil bis 2050 bis zur Hälfte seines Wassers verlieren könnte, während die Temperaturen zunehmen. Laut dem Welternährungsprogramm droht Ägypten bis 2050 ein Rückgang seiner landwirtschaftlichen Produktion von mindestens einem Drittel.
Auch der Bauer Gaber Aballah hat das Theaterstück schon mehrmals gesehen, als wir ihn am nächsten Tag auf den Feldern treffen. „Wir verstehen nicht, wenn irgendwelche Berater und Ingenieure kommen und mit uns über den Klimawandel reden. Aber dieses Theaterstück bringt einfachen Bauern wie uns das Thema näher“, sagt er. Er will zeigen, wie die Bauern hier das Ganze schon umgesetzt haben. Zunächst führt er entlang der alten Bewässerungsrinnen neben einem Bananenhain. Wie schon zu pharaonischen Zeiten läuft das Wasser entlang einer Erdrinne. Eine Gruppe von Reihern sucht in der fast vollkommen zugewachsenen Rinne nach Essbarem. Ein großer Teil des Wassers versickert bereits, bevor es bei der Feldfrucht ankommt.
Wir kommen schließlich an den Ort, an dem eine Gruppe von Bauern gerade eine neue Bewässerungsrinne baut. Sie legen entlang des Feldes einen Meter breit Ziegel auf und ziehen an den Seiten Wände hoch. Gemächlich kommt ein Eselskarren mit Reiter den Feldweg entlangkutschiert. Er bringt den frisch gemischten Zement, mit dem das ganze Bauwerk dann verkleidet wird.
Der Kampf gegen die Folgen des Klimawandels ist hier kein Hightech-Projekt. Aber es ist effektiv, beschreibt Gabr Abdallah: „Mit der Modernisierung der Bewässerungskanäle sparen wir bis zu 25 Prozent Wasser. Dazu kommt neues Saatgut, das weniger Wasser braucht. Insgesamt sparen wir bis zu 40 Prozent Wasser“, erzählt er. Wenn man bedenkt, dass die Landwirtschaft 80 Prozent des Wassers in Ägypten verbraucht, versprechen solche einfachen Projekte enorme Einsparungspotenziale. Mit weniger Wasser können die Bauern ihre Erträge sogar steigern.
Ein paar Schritte weiter ist eine neue Rinne bereits fertiggestellt. Das Wasser fließt in einer Art großen Regenrinne aus Ziegel und Zement. Früher brauchte das Wasser von der zwei Kilometer entfernten Pumpe mehr als eine Stunde, um sich den Weg im Erdreich zu bahnen, nun ist es bereits in 10 Minuten da, erzählt einer der Bauern begeistert. Die Pumpe ist das Herzstück der Bewässerung.
Sie pumpt das Wasser vom großen Bewässerungskanal, der vom Nil kommt, in die neuen Bewässerungsrinnen. Auch die Pumpe selbst ist ein Novum. Angetrieben ist sie von einer Gruppe von Solarmodulen, die neben dem großen Bewässerungskanal aufgestellt sind, ganz ohne CO2-Ausstoß und für die Bauern besonders wichtig: Sie sparen den teuren Diesel.
Osman El-Scheich, Projekttleiter
Es hat eine Weile gedauert, die Bauern von den Vorzügen der Modernisierung zu überzeugen. Rohre wären, wegen der Verdunstung, eigentlich besser gewesen als die Rinnen, die jetzt gebaut werden. „Aber die ägyptischen Bauern müssen mit den eigenen Augen sehen, wie das Wasser ihre Felder entlangfließt, alles andere akzeptieren sie zunächst nicht“, meint der Projektleiter Osman und erzählt von den anfänglichen Widerständen.
„Manche Bauern hatten eingewendet, dass das Klima doch von Gott geschaffen sei und dass man daran nichts ändern könne. Ich habe ihnen geantwortet, ihr zieht euch doch auch warm an, wenn es kalt ist, oder benutzt einen Ventilator, wenn es heiß ist, und trotzdem seid ihr gläubig.“
Das Theaterstück war die Initialzündung. Es sei nicht so einfach gewesen, Freiwillige zu finden. „Ihre kleinen Felder sind alles, was sie haben, um das Überleben ihrer Familien zu sichern. Daher sind die Kleinbauern wenig experimentierfreudig“, erklärt Osman El-Scheich deren zögerliches Verhalten. Die ersten eingefassten Bewässerungsrinnen wurden noch voll finanziert, erzählt er. Als die Bauern dann gesehen haben, wie gut es funktioniert, kam sofort die zweite Gruppe und wollte auch solche Rinnen bauen.
Die mussten bereits die Hälfte aus der eigenen Tasche bezahlen. Inzwischen legen die Bauern ihr Geld zusammen und finanzieren das neue Bewässerungssystem ganz aus ihren eigenen Taschen. Das Projekt leistet nur noch technische Hilfe. Ein ähnliches Schema wird nun auch für die Solarenergie-Pumpen angewendet, für die die Bauern sich zu „Wassergemeinschaften“ zusammentun müssen.
Doch das ist nicht genug der Neuerungen. Osman zückt sein Smartphone aus seiner Tasche und stellt eine neu entwickelte arabische App vor. „Lieber Bauer, um zu verhindern, dass Wetterveränderungen deiner Ernte schaden, trage folgende Informationen ein und folge den Instruktionen“, heißt es dort. Dann kann man eintragen, welche Feldfrucht wann und an welchem Ort im südlichen Ägypten zwischen Luxor und Assuan angebaut wird. Die App ist mit einem offiziellen detaillierten Wetterbericht verbunden und gibt Tipps zur Bewässerung, Schädlingsbekämpfung und vorgeschlagenen Erntezeit und zur richtigen Pflege während der Hitzewellen.
Der Einwand, dass viele Bauern kein Smartphone besitzen und manche von ihnen nicht lesen und schreiben können, ringt Osman ein Lächeln ab. Er verweist auf Scheich Ahmad, der im Dorf al-Boghdadi der Kontaktmann des Projektes ist, um zu zeigen, wie kreativ sie dieses Problem lösen.
Sie streiken: Die Temperaturen steigen. Der Meeresspiegel auch. „Fridays for Future“ ruft am 29.11. zum Klimastreik. Samstag protestiert „Ende Gelände“ gegen den Braunkohleabbau. Und am 2.12. beginnt die UN-Klimakonferenz.
Wir schreiben: Für die taz Anlass genug, um noch intensiver über Klimakrise, Proteste und Lösungsansätze zu berichten. Alle Texte unter taz.de/klimawandel.
Sie lesen: Das taz Klima-Abo. 5 Wochen die digitale taz plus 5 Ausgaben der gedruckten taz am Wochenende. Inklusive Spende an ein atmosfair-Klimaprojekt in Ruanda.
Scheich Ahmad führt kurzerhand in die Dorfmoschee, hustet ein paar Mal zum Soundcheck ins Mikrofon, mit dem der Muezzin normalerweise fünfmal am Tag zum Gebet ruft, und liest, in der Gebetsnische stehend, von der App auf seinem Smartphone die neusten Tipps des Tages vor. Das Dorf steht kurz vor der Ernte des Zuckerrohrs, das im März angepflanzt wurde.
„Kontrolliert noch einmal auf Schädlinge und hört etwa 15–25 Tage vor der Ernte auf, das Zuckerrohr zu bewässern, je nach Zuckerrohr und Standort“, liest er vor, während seine Worte über den Lautsprecher des Minaretts durchs Dorf hallen. Kurz drauf kommt auch schon ein Bauer in den Gebetsraum, um noch nähere Details zu erfragen. In dem kleinen ägyptischen Dorf al-Boghdadi wissen sie nicht, was im Pariser Klimaabkommen steht, haben niemals Klimastudien gelesen, noch haben sie hier jemals von der schwedischen Aktivistin Greta Thunberg gehört.
Dennoch spüren die Dorfbewohner: Die Folgen des Klimawandels sind auch in ihrer kleinen ägyptischen Dorfmoschee angekommen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Christian Lindner
Die libertären Posterboys
Außenministerin zu Besuch in China
Auf unmöglicher Mission in Peking
Olaf Scholz’ erfolglose Ukrainepolitik
Friedenskanzler? Wäre schön gewesen!
Comeback der K-Gruppen
Ein Heilsversprechen für junge Kader
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP