Klimastreik in Sachsen: Dem rechten Mainstream trotzen
Etwa 50 Menschen sind in Freiberg dem Aufruf von Fridays for Future gefolgt. In der Stadt zeigt sich, wie schwer Klimaschutz ist, wenn die Mehrheit von dem Thema nichts wissen will.
![Mehrere Menschen auf einem winterlichen Stadtplatz, einer hält ein Plakat hoch auf dem steht: Support your local planet Mehrere Menschen auf einem winterlichen Stadtplatz, einer hält ein Plakat hoch auf dem steht: Support your local planet](https://taz.de/picture/7532044/14/Plakat-Freiberg-1.jpeg)
Wie in mehr als 150 anderen Städten hat Fridays for Future an diesem Freitag in der Stadt mitten in Sachsen einen Klimastreik angemeldet. Mit der Aktion wollen die Aktivist:innen eine Woche vor der Bundestagswahl auf ein Problem aufmerksam machen, das im Wahlkampf kaum eine Rolle spielt: die Klimakrise.
50 Teilnehmer:innen, das sei in Freiberg ein Erfolg, findet Börner. Kurz zuvor hatte sie im Gespräch mit der taz gesagt, dass sie mit etwa zwanzig rechne. In der Stadt wählten viele eher rechts, „die sind für Klimaschutz einfach gar nicht offen“, sagt Borner. Auch in der Schule führe die Zehntklässlerin ständig Diskussionen. Da heiße es dann: „Wir lassen uns nicht irgendwie da jetzt beeinflussen von so was.“
Rechts, das fänden Jugendliche in Freiberg irgendwie cool, ob AfD oder Hakenkreuzschmierereien. Für linke Personen sei es nicht einfach, berichtet Börner. „Man denkt, man ist alleine, weil die anderen so übel laut sind.“ Im Stadtrat haben die Rechtsextremen von AfD und Freien Sachsen bei der Kommunalwahl 2024 fast ein Drittel der Sitze gewonnen.
Weniger Klimastreiks in Sachsen
Von den ursprünglich Aktiven bei Fridays for Future seien nur noch wenige in Freiberg. Die meisten studierten mittlerweile in größeren Städten, sagt Börner. Das habe die Kapazitäten der Ortsgruppe geschwächt. Wichtig sei es trotzdem, in Freiberg zu protestieren, „weil wir auch im Hinterland irgendwie stabil bleiben müssen“. Sie zeigt auf das Rathaus, „da drin tagt der Stadtrat, wir müssen hier Präsenz zeigen.“
Bundesweit nehmen immer weniger Menschen an Klimastreiks teil. Beim ersten Globalen Klimastreik 2019 waren es in Deutschland 1,4 Millionen. An diesem Freitag hingegen etwa 130.000. Das zeigt sich auch in den Metropolen. In Hamburg sank die Zahl von 70.000 Teilnehmer:innen beim Streik 2019 auf 7.500 in diesem Jahr laut Veranstalter:innen. Die Polizei hat der Deutschen Presse-Agentur zufolge nur 4.500 gezählt.
Auch in Sachsen ist die Zahl der Städte mit Klimastreiks in den vergangenen Jahren zurückgegangen. 2023 waren zum Globalen Klimastreik außerhalb der Großstädte Dresden, Leipzig und Chemnitz Versammlungen in Görlitz, Zittau, Zwickau und Freiberg angemeldet. Im März 2024 waren Riesa und Döbeln dabei. An diesem Freitag gibt es in Sachsen nur drei Klimastreiks: in Leipzig, in Chemnitz und in Freiberg. Die Demo in Dresden verlegte die örtliche Gruppe von Friday for Future um eine Woche nach vorne. In der Landeshauptstadt sind in dieser Woche noch andere große Demonstrationen angemeldet – zum 80. Jahrestag der Bombardierung durch die Alliierten mobilisieren Neonazis zu einem „Gedenkmarsch“, und Antifaschist:innen rufen dazu auf, diesen zu blockieren.
Doch warum gibt es immer weniger Klimastreiks? Der bekannte Klimaaktivist und Autor Jakob Springfeld aus Zwickau glaubt, „viele dachten, man muss erstmal die Demokratie schützen, bevor man sich um das Klima-Thema kümmern kann“. Das halte er für eine Fehlannahme, erklärt er der taz, Klimaschutz sei auch Demokratieschutz. Durch die Anfeindungen von Rechten motiviert, hätten sich Klimaaktivist:innen eher auf Gegendemonstrationen für Brandmauern engagiert, statt weiterhin die eigenen Themen vorn anzustellen.
Auf Social-Media-Plattformen warb Friday for Future ebenfalls damit, beim Klimastreik „für unsere Demokratie und für bessere Klimapolitik“ auf die Straße zu gehen.
Klimaschutz und Demokratie
In Freiberg zeigt ein Projekt sehr deutlich, wie der Zusammenhang von Klimaschutz und Demokratie im Lokalen bislang aussieht. Auf Initiative örtlicher Gruppen beauftragte der Stadtrat Ende Januar 2021 mit 21 von 30 Stimmen die Erarbeitung eines Klimaschutzkonzepts. Das kostete mehrere zehntausend Euro.
Eigentlich sollte der Stadtrat mittlerweile darüber abgestimmt haben, ob er die Zahlen des Berichts bestätigt und die vorgeschlagenen Maßnahmen – Photovoltaikanlagen, mehr Stadtgrün, Personal für den Klimaschutz – zur Kenntnis nimmt. Doch drei Jahre später, im April 2024, hat der Stadtrat auf Antrag der CDU die Vorlage des Klimaschutzkonzepts auf die Zeit nach der Neuwahl des Stadtrats verschoben, mit 18 von 31 Stimmen. Seitdem wurde das Thema im Rat nicht wieder aufgegriffen.
Beim Klimastreik am Freitag ist auch Christian Mädler unter den Redner:innen vor dem Rathaus. Er gehört zum Bündnis „Freiberg klimaneutral“, das versucht, das Klimakonzept im Stadtrat voranzutreiben. Dass es überhaupt mal eine Mehrheit gab, sei ein Erfolg gewesen. „Aber man muss dran bleiben. Und das ist für Ehrenamtliche schwer“, sagt er der taz. Manche hörten deshalb frustriert auf. Für das Klimaschutzkonzept hätten sie mit allen geredet, sogar mit der AfD, sagt Mädler. Nur ein Gespräch mit der CDU sei nicht zustande gekommen.
Auf Anfrage erklärte der Fraktionsvorsitzende der CDU im Freiberger Stadtrat, Steve Ittershagen: „Aus unserer Sicht bedarf es seitens der Stadt Freiberg kein eigenes Klimaschutzkonzept.“ Die Fragen dazu könne ein Konzept für die Stadtentwicklung beantworten. „Klimaschutz ist in erster Linie ein globales Thema und muss zuallererst dort gelöst werden“, argumentiert Ittershagen. Außerdem tue die Kommune bereits vieles: Straßenbegleitgrün, energieeffiziente Leuchten oder der Ausbau von Radwegen. Das sei „greifbarer“ Klimaschutz.
Der Grünenpolitiker Johannes Brink, der ebenfalls im Stadtrat sitzt, glaubt, das Klimakonzept hätte ein positives Beispiel für Klimapolitik sein können, auch wegen der Bürgerbeteiligung. Zwar könne es aktuell immer noch in den Stadtrat kommen, „aber bei einem neuen Anlauf würde es angesichts der Mehrheitsverhältnisse nicht einfacher“, sagt Brink.
Auf dem Klimastreik greift Clara Börner den Konflikt in ihrer Rede auf: „Mehrheiten für den Klimaschutz sind mit jeder Stimme für Parteien wie AfD oder CDU schwerer zu finden.“ Sie meint damit die Bundestagswahl. Doch während es im Bundestag zuletzt große Diskussionen gab, als die CDU mit der AfD einen Beschluss durchsetzte, sei das „in unserem Stadtrat zum Beispiel schon längst Daily Business“, erzählt sie später.
Nach etwa einer Dreiviertelstunde ist der Klimastreik in Freiberg beendet und die 50 Teilnehmer:innen verschwinden vom kalten Platz wieder ins Warme. Börner lächelt, sie wirkt zufrieden mit der Kundgebung. Was das Klimaschutzkonzept angeht, habe sie die Hoffnung nicht aufgegeben, dass der Stadtrat es noch zur Kenntnis nimmt. Vielleicht spricht da der frische Mut aus ihr.
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