Klimagipfel in Glasgow: Mit Gewalt das Klima retten
Was tun, wenn sich der friedliche Übergang zur postfossilen Welt als illusorisch entpuppt. Sollten nicht die, die die Natur zerstören, dafür bezahlen?
W ie hängen Hoffnung und Widerstand zusammen? Das habe ich mich gefragt, als ich die Berichte aus Glasgow von COP26 verfolgt habe. Wo sind hier Zeichen der Hoffnung? Und wenn sie enttäuscht werden, wenn nur weiter versprochen wird – gibt es, neben der Pflicht zur Hoffnung, von der Kant spricht, auch eine Pflicht zum Widerstand?
Es war Jamila Raqib, die mich hier auf die Spur brachte. Ich war mit ihr vor ein paar Tagen zum Interview verabredet. Sie ist die Direktorin der Albert Einstein Institution in Boston und Nachfolgerin des legendären Gründers Gene Sharp, der von Gandhi gelernt hatte, wie gewaltloser Widerstand geht.
„Die Zeit der Eskalation ist da“, sagte sie mit Blick auf den Klimawandel. Ich hatte das nicht erwartet. Natürlich gibt es schon länger Stimmen, die sagen, dass es nicht reicht, was Fridays for Future tun, demonstrieren, so wichtig das ist, Aufmerksamkeit schaffen, friedlich bleiben. Und auch Extinction Rebellion, die etwas weiter gehen in ihren Mitteln, haben sich von Gewalt im eigentlichen Sinn ferngehalten.
Ein Denker, der diese Frage – der Eskalation, des Widerstands, der Gewalt – schon seit einiger Zeit thematisiert, ist Andreas Malm, schwedischer Historiker und Autor eines Standardwerks über den „fossilen Kapitalismus“. Zuletzt veröffentlichte er in dichter Reihenfolge drei Bücher, die aufeinander aufbauend ein Konzept formulieren und die nächsten Schritte beschreiben, falls Veränderung, wie Greta Thunberg in Glasgow wieder sagte, nicht mit den gleichen Mitteln erwirkt werden kann und dem gleichen Denken, das die Probleme erst geschaffen hat.
ist Chefredakteur von „The New Institute“. Zuletzt erschien von ihm das Buch „Blogdown. Notizen zur Krise“ im Frohmann Verlag.
Zeit für Widerstand
In „Klima/x“, „Wie man eine Pipeline in die Luft jagt: Kämpfen lernen in einer Welt in Flammen“ und „White Skin, Black Fuel: On the Danger of Fossil Fascism“ (gemeinsam mit dem Zetkin Collective) entwirft er das Programm eines „ökologischen Leninismus“, wie er es nennt, in Anlehnung an die Idee des Kriegskommunismus, mit dem Russland nach der Revolution und dem Ende des Ersten Weltkrieges radikal regiert wurde – durch Planwirtschaft und losgelöst von der Logik der Märkte.
Ich glaube, es ist gut, diese Gedanken ernst zu nehmen, die Verweise auf Faschismus, Krieg, Kommunismus, um die Dringlichkeit der Situation deutlich zu machen. Auch im umfassenden und konstruktiven Transformationskonzept des Green New Deal spielt die Referenz zum Zweiten Weltkrieg eine Rolle – damals konzipierte Roosevelt seinen New Deal und stellte die Wirtschaft radikal um, eine Art kapitalistische Planwirtschaft, wie sie auch heute von jungen Ökonom*innen vorgeschlagen wird.
Immer noch scheint es nicht angekommen zu sein, auch in der deutschen medialen Nichtbegleitung der Klimaverhandlungen von COP26 gerade in Glasgow, in was für ein Epochenereignis wir da längst hineinsteuern – und die Besprechung von Malms Werk durch den immer anregenden Historiker Adam Tooze in der London Review of Books sollte deshalb unbedingte Leseempfehlung sein, wie wir auf Twitter sagen, ein must read auch für die Ampel-Koalitionäre.
Denn was genau, fragt Tooze, wäre etwa eine „sozialdemokratische Politik des Notstands“? Was also, außer dem üblichen Weiter-so und Wird-schon, kann die etablierte Politik anbieten? Wer den „ökologischen Leninismus“ zurückweist, so Tooze weiter, müsse selbst erklären, was die Logik des Handelns angesichts der Katastrophe ist. „Was sind die politischen Optionen, wenn wir allen Grund zur Annahme haben, dass wir nur noch sehr wenig Zeit haben?“
Freier Blick für neue Protestformen
Tooze, der das zentrale Buch über die Wirtschafts- und Finanzkrise geschrieben hat, „Crashed“, und gerade seine Bilanz der Corona-Weltwirtschaft veröffentlicht hat, „Shutdown“, weiß natürlich, dass es politische Optionen gibt, die einen friedlichen Übergang zur postfossilen und möglicherweise postkapitalistischen Welt ermöglichen – sein Anliegen, wie auch das von Malm, ist daher ein taktisches: Indem die Gewaltfrage gestellt wird, wird der Blick freier für die Widersprüche der gegenwärtigen Verhältnisse und auch Protestformen.
Die Gewalt, von der Malm spricht, ist ja tief verbunden mit dem Wesen unserer gegenwärtigen politischen und vor allem ökonomischen Ordnung – die Zerstörung von Natur und Lebensgrundlagen, die Ausbeutung der Länder im sogenannten Globalen Süden, die wiederum den Folgen des Klimawandels am drastischsten ausgesetzt sind, aber auch die Härte des Rechts gegen Klimaproteste, während die, die die Zerstörung der Umwelt verantworten, oft nicht nur geschützt, sondern subventioniert werden.
Was also, fragt Andreas Malm, können wir lernen von anderen Zeiten des Protestes – und hier schließt sich der Kreis zu Jamila Raqib und auch Mahatma Gandhi, denn die antikolonialen und Befreiungsbewegung des 20. Jahrhunderts sind mit ihren Taktiken des zivilen Ungehorsams ein Beispiel für wirkliche Veränderung. Malm würde die Gewaltfrage offener fassen, Blockaden oder eben die Zerstörung von Infrastruktur sind für ihn ein Mittel, in dem Notstand, in dem wir leben, aktiv und damit moralisch wirksam zu werden.
Dass sich die Frage von Gewalt nicht löst, indem man sie ignoriert, das weiß auch Jamila Raqib, die aus Afghanistan stammt. Gewalt war immer Teil ihres Lebens und eine Möglichkeit, eine Notwendigkeit, sich selbst und andere zu schützen. Sie beschreibt es als glückliche Erfahrung, dass sie die Praxis des gewaltfreien Widerstands kennenlernte.
Sie empfiehlt den gegenwärtigen Protestbewegungen, dass sie genau analysieren sollten, was die zerstörerischen Praktiken ermöglicht – und dann zu überlegen, wie diese Praktiken so teuer wie möglich werden für die, die davon profitieren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind