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Klima im KoalitionsvertragNicht auf dem 1,5-Grad-Pfad

Lalon Sander
Kommentar von Lalon Sander

Um die Erderhitzung auf 1,5 Grad zu beschränken, ist ein drastischer gesellschaftlicher Umbau in kurzer Zeit notwendig. Dafür ist der Vertrag zu brav.

Zu brav für einen radikalen Umbau: Klima im Koalitionsvertrag Foto: Charlie Riedel/ap

Wir sind auf dem 1,5-Grad-Pfad“, sagte Grünen-Politiker Robert Habeck am Mittwoch zur Vorstellung des Ampel-Koalitionsvertrages. Das ist – sehr wahrscheinlich – falsch.

Es stehen viele wichtige Schritte im Koalitionsvertrag, vor allem sind sie anspruchsvoller als die Klimaschutzpolitik der Großen Koalition. Doch das falsche Etikett verwässert, was eine konsequente +1,5-Grad-Politik bedeuten würde. Um das anspruchsvollere Ziel des Pariser Abkommens zu erreichen, ist ein drastischerer Umbau nötig, als der Koalitionsvertrag verspricht.

Der Sachverständigenrat für Umweltfragen der Bundesregierung hat 2020 das verbleibende CO2-Budget, um die 1,5-Grad-Grenze einzuhalten, für Deutschland auf 4,2 Milliarden Tonnen beziffert – eine Zahl, die auch mit den Berechnungen im neuesten IPCC-Bericht im Einklang steht. Dieses Budget ist allerdings die Untergrenze für +1,5-Grad-Politik und berücksichtigt noch nicht, dass Deutschland historisch mehr emittiert hat und deshalb noch früher klimaneutral sein müsste.

4,2 Milliarden Tonnen seit Beginn 2020. Das Wuppertal-Institut gab Deutschland damit Zeit bis 2035 – wenn im Jahr 2020 lediglich 700 Millionen Tonnen emittiert und die Emissionen danach linear sinken würden. Aber 2020 wurden 739 Millionen Tonnen emittiert. Und 2021 soll diese Zahl wieder steigen. Wenn die neue Bundesregierung die Arbeit aufnimmt, werden wahrscheinlich nur noch 2,7 Milliarden Tonnen verbleiben, die beim aktuellen Ausstoß keine dreieinhalb Jahre halten werden.

Selbst wenn Deutschland sofort beginnt, die Emissionen linear zu senken, blieben dann noch rund sieben Jahre bis zur notwendigen Klimaneutralität, also bis 2028. Ein Kohleausstieg „idealerweise“ bis 2030 und eine E-Auto-Pflicht zwischen 2030 und 2035, wie im Koalitionsvertrag steht, reichen dafür nicht. 80 Prozent Strom aus erneuerbaren Quellen und 50 Prozent klimaneutral erzeugte Wärme bis 2030 auch nicht.

Zeit zu gewinnen und in diesen Bereichen noch nicht klimaneutral zu sein, würde heißen: In den anderen Bereichen müssten anteilig mehr Emissionen eingespart werden. Doch diese Pläne fehlen im Vertrag.

Robert Habeck hat sicher Recht, dass die Ziele der bisherigen Bundesregierung bei der Reduktion der CO2-Emissionen übertroffen werden. Gut möglich ist aber auch, dass Deutschland bis zur nächsten Bundestagswahl das Emissionsbudget für die +1,5-Grad-Grenze aufgebraucht haben wird.

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Lalon Sander
Datenjournalist
Lalon Sander ist Datenjournalist. Sein Schwerpunkt liegt in der Aufbereitung von Datensätzen zum Klimawandel.
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12 Kommentare

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  • Diese Einschätzung des Koalitionsvertrags finde zu freundlich, dort fehlen Maßnahmen wietgehend.







    Artikel: „Robert Habeck hat sicher Recht, dass die Ziele der bisherigen Bundesregierung bei der Reduktion der CO2-Emissionen übertroffen werden.“



    Der Koalitionsvertrag sieht keine Anpassung der Ziele der bisherigen Bundesregierung vor, die im Klimaschutzgesetz formuliert sind. Daher ist kein Übertreffen zu erwarten. Das Klimaschutzgesetz sieht das Überschießen der Emissionen im Jahr 2021 und 2022 über den knapp erreichten, alten Zielwert für 2020 ausdrücklich vor.



    Ich weiß nicht, ob Habeck das wirklich so gesagt hat, oder ob er nur eine Einhaltung der unveränderten Ziele in Aussicht stellt, für die die GroKo wenig getan hatte; es wird aber derzeit vieles gesagt und geschrieben, was in der Vereinbarung nicht drinnen steht.

    „Gut möglich ist aber auch, dass Deutschland bis zur nächsten Bundestagswahl das Emissionsbudget für die +1,5-Grad-Grenze aufgebraucht haben wird.“



    Für des 1,5 Grad-Budget gibt es meines Wissens neue, etwas höhere Schätzwerte als diejenigen, auf denen die 4,2 Mio. t des SRU beruhen. Daher sollte es gerade so ausreichen. Allerdings sind die Folgen von 1,5 Grad nach denneuen Berichten schlimmer als bisher gedacht.

    Das „Aufbrauchen des Budgets“ ist wohlgemerkt kein Budget für diese vier Jahre, sondern das Gesamtbudget für dieses Jahrhundert. Es bliebe streng genommen nicht einmal mehr ein Budget, mit dem der Anlagenbau von Wind- und Solarparks bewerkstelligt werden kann, dies benötigt nämlich auch Energie, auch wenn die Anlagen später weitaus mehr Energie erzeugen und die „zweite Generation“ dann kohlenstoffneutral gebaut werden kann.

    Die Erwähnung des 1,5-Grad-Pfads in den Koalitionsvereinbarung ist allerdings ohne Wert, weil die FDP auch höhere Emissionen für 1,5-Grad-kompatibel hält, die man dann irgendwie anderen Ländern wegnehmen will. Oder mit teuren negativen Emissionen ausgleichen, das zahlt dann die nächte Generation.

    • @meerwind7:

      Korrektur:



      Die Einschätzung des Koalitionsvertrags im Artikel finde zu freundlich, denn in diesem fehlen weitgehend Festlegungen, mit welchen gesetzlichen Maßnahmen Handlungen für mehr Klimaschutz bewirkt werden sollen.

      Stattdessen werden wesentliche Maßnahmen mit Breitenwirkung ausgeschlossen (z.B. wirkungsvoller CO2-Preis für Heizungen und im Verkehr). Subventionen gibt es vor alem für die Autoindustrie, Finanzmittel für staatliche Zuschüsse für Umweltinvestitionen sind nch angegeben.

  • Zu Fuß gehen ist gut für den Fußabdruck.

  • Der Denkfehler ist, sich ausschließlich auf Deutschland zu fokussieren. Die Klimapolitik ist hierzulande speziell verkorkst worden und hat keine Relevanz mehr für andere Länder, dient nur noch als schlechtes Beispiel.

  • Für eine Klimawende brauchen wir 180 Grad, hab ich ausgerechnet.

    • @kommentomat:

      Endlich eine gut nachvollziehbare Rechnung!

  • Die Politik glaubt halt, dass sie innerhalb von vier Jahren die 1,5 Grad geschafft haben müssen. Oder sie meinen, sie können noch unter 5,1 Grad bleiben, und ihnen ist ein Zahlendreher passiert.

    Und freilich wird es einen Lebenswandel in der Bevölkerung geben müssen, sonst wird das eh nix. Ich glaube ja, es wird viel passieren, sobald wir alle 2 Monate eine Katastrophe a la Ahrtal haben werden und eine Million Klimaflüchtlinge im Jahr. Das Grundproblem ist: Die Politik will der Bevölkerung nichts zumuten (sonst wird sie nicht wiedergewählt). Daher handelt sie stets erst, wenn es zu spät ist. Man beginnt jetzt zögerlich mit den Sachen, von dem man vor 40 Jahren schon wusste, dass man sie tun muss. Man wartet immer, bis aus dem kleinen Rinnsal eine großer Strom geworden ist, bis es wirklich schwer zu händeln ist, und dann überlegt man noch lange, was soll man tun.



    Und dann versucht man, mit dem Klima zu verhandeln. (A la: Wir brauchen nur mehr Industrie, dann wird der Klimawandel schon einknicken. Und fällt dann schon was ein. (Klimaschutzanzüge für Temperaturen über 50° z.B.).



    Letztlich ist das Vorgehen bei der Corona-Krise ähnlich.

  • Na und? Das 1,5 Grad Ziel ist willkürlich politisch festgelegt und nicht wissenschaftlich begründet. Ohne radikalen gesellschaftlichen Umbau geht es nicht. Das stimmt.



    Was Politiker und Journalisten, die so etwas fordern, verschweigen ist: das bedeutet radikale Wohlstandsverluste für die breite Bevölkerung, nicht nur für die "Reichen".



    Muss man einfach durchrechnen und statt Politikwissenschaften/Soziologie was von Wirtschaft verstehen.



    Übrigens auch radikale Freiheitsverluste, es geht nicht ohne massive Eingriffe in mehrere Grundrechte.



    Da hoff ich doch lieber darauf, dass wir nicht nur fähig sind, binnen eines Jahres einen wirksamen Corona-Impfstoff zu entwickeln, sondern auch zu intelligenten Lösungen im Klimabereich. Und nein, alles auf erneuerbare Energien umzustellen, ist nicht intelligent.

    • @u62:

      Die "intelligenten Lösungen im Klimabereich" gibt es schon längst.

      "Und nein, alles auf erneuerbare Energien umzustellen, ist nicht intelligent", sondern Reduzierung des Energieverbrauchs (ein Drittel bis die Hälfte weniger geht leicht) und Deckung des verbleibenden Bedarfs mit erneuerbaren.

    • @u62:

      "Das 1,5 Grad Ziel ist willkürlich politisch festgelegt"



      Nun ist es aber nunmal die Aufgabe von Politik und nicht der Wissenschaft solche Entscheidungen zu treffen, andernfalls könnte man den ganzen Aufwand um Wahlen und Parlamente bleiben lassen und einfach umsetzen was so in den verschiedenen Journals veröffentlicht wird.



      Wissenschaftlich fundiert ist die 2°-Grenze weil in diesem Bereich gemäß wissenschaftlicher Ergebnisse die Grenze der Anpassungsmöglichkeiten gesehen wird. Die Einigung auf die 1,5°-Grenze folgte der nicht ganz abwegigen Überlegung, dass etwas Sicherheitsabstand von der in letzter Konsequenz absoluten Grenze der Anpassungsfähigkeiten nicht das verkehrteste wäre.



      Einen Weg ohne "radikale Wohlstandsverluste für die breite Bevölkerung" gibt es längst nicht mehr. Natürlich kann man jetzt auch nochmal ein paar Jahre wie gewohnt weiter machen, das allerdings führt zwangsläufig dazu, dass die zukünftigen Freiheits- und Wohlstandsverluste um so extremer ausfallen werden.



      "sondern auch zu intelligenten Lösungen im Klimabereich"



      Bei einem derart existentiellen Problem voll darauf zu setzen, dass wir da schon noch eine 'intelligente Lösung' entwickeln, scheint mir eher nicht besonders intelligent zu sein. Wenn der geniale Einfall dann nämlich doch nicht fährt das Klima um so heftiger gegen die Wand und jenseits der 2° endet wie gesagt die Möglichkeit zur Anpassung und dann war´s das mit der menschlichen Zivilisation. Man täte also besser daran erstmal ganz auf Lösungen zu setzen die bereits verfügbar sind, wenn man dann doch noch die Fusion zum Laufen bringt um so besser.

  • "...das verbleibende CO2-Budget..."

    Das Budget ist aber keine politische Größe, weder in Berlin noch in Paris oder Glasgow.



    Dementsprechend kann man auch über dessen Historie nicht politisch streiten (sonst hätte es wohl auch keine Konferenzabschlüsse gegeben).

    Da das 1,5 Grad Ziel obsolet ist (egal was Habeck sacht), blieben der Welt noch 1000 Gigatonnen für 1,8 Grad (laut den Berechnung der Sachverständigen ab 2018).

    Es ist illusorisch, dass D davon nur 4 GT in Anspruch nimmt. Es wird nicht funktionieren.

    • @fly:

      Nach 1,5 Grad käme als nächstens 1,6 Grad.

      Ziele sind nur insoweit obsolet, als keine ausreichenden Anstrengungen zu erkennen sind. Mit (gar nicht so hohen) Anstrengungen wäre das 1,5 Grad-Ziel auf jeden Fall erreichbar.