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Kindergrundsicherung-Entwurf verschobenDoch mehr Bürokratie

Die Kindergrundsicherung sollte den Leistungsempfang für arme Familien vereinfachen. Doch nun könnte sie doch kompliziert werden, wie sich zeigt.

Futter für das Aktenmonster: Wäre die Kindergrund­sicherung ein Kinderbuch, wäre das der Name Foto: Jochen Tack/imago

Berlin taz | Es sollte das große Sozialprojekt der Grünen werden und Anfang 2025 kommen. Jetzt aber zeigt sich, dass die Erstellung eines Gesetzentwurfs zur Kindergrundsicherung, der auch umsetzbar sein muss, auf große Widerstände von Behörden und Be­trof­fe­nen­ver­tre­te­r:in­nen stößt. „Die Kindergrundsicherung bedeutet für Familien, die heute im Bezug von Bürgergeld sind, leider nicht weniger, sondern mehr Bürokratie“, sagt Moritz Duncker, Vorsitzender der Personalräte der Jobcenter, der taz.

Der Gesetzentwurf sollte eigentlich am Mittwoch ins Kabinett, dies wurde jedoch verschoben. Juristische und technische Details seien noch zu klären, sagte Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) dem Newsportal T-Online. Es sei aber zu schaffen, dass der Entwurf noch im September ins Kabinett eingebracht werde, so Paus.

Bayerns Sozialministerin Ulrike Scharf (CSU) geißelte den bisher vorliegenden Referentenentwurf als „Bürokratieungeheuer“. In einer nicht öffentlichen Stellungnahme an das Familienministerium warnte auch die Bundesagentur für Arbeit, „die durch die gesetzliche Ausgestaltung neu geschaffenen Schnittstellen und Zuständigkeiten dürfen nicht zu zusätzlichen Aufwänden bei den betroffenen Familien und Kindern führen“.

Zur Bundesagentur gehören die Familienkassen, die das Kindergeld auszahlen. Künftig sollen die Familienkassen in „Familienservicestellen“ umbenannt werden. Diese Servicestellen sollen dann das bisherige Kindergeld und den Kinderzusatzbetrag, das heißt das bisherige Bürgergeld für Kinder beziehungsweise den Kinderzuschlag, auszahlen.

Kompetenzen verlagern sich

Damit gehen Kompetenzen der Jobcenter an die Familienservicestellen über. Aber eben nicht alle: Die Bundesagentur weist in ihrer Stellungnahme daraufhin, dass die Leistungen der Kindergrundsicherung „nicht in allen Lebenslagen sämtliche Bedarfe der Berechtigten“, also der Kinder, „abdecken“.

Es bestehen zum Beispiel „Mehrbedarfe“ im Falle von besonderer Ernährung oder für die Anschaffung digitaler Endgeräte im Schulunterricht. Der Gesetzentwurf sieht vor, dass ungedeckte Mehrbedarfe der Kinder weiter durch das Bürgergeld, also die Jobcenter, erfüllt werden sollen. „Das bedeutet erheblichen Mehraufwand für die Jobcenter sowie zusätzliche Abstimmungsbedarfe zwischen Jobcenter und Familienservice“, heißt es in der Stellungnahme der Bundesagentur an das Familienministerium.

Heikel wird die Zuständigkeitsfrage auch, weil den Kindern in Familien im Bürgergeld-Bezug ein Anteil an den Unterkunfts- und Heizkosten für die Wohnung rechnerisch zugeordnet wird. Dieser ist im Kinderzusatzbetrag von der Familienservicestelle enthalten. Oftmals zahlen Jobcenter aber die Mieten direkt an die Vermieter. Damit das auch weiterhin möglich ist, überweist das Jobcenter die Gesamtmiete dann nur aus dem Bürgergeld für die Eltern an die Vermieter. Die Eltern wiederum holen sich die Summe für den Mietanteil der Kinder aus der Kindergrundsicherung zurück. „Einfacher wäre es für alle Beteiligten, wenn das Jobcenter allein die vollständige Leistung gewähren würde“, schreibt der Deutsche Landkreistag in seiner Stellungnahme zum Referentenentwurf an das Ministerium.

Warnung vor Parallelstrukturen

Der Landkreistag lehnt den Entwurf ab und warnt vor „Doppel- und Parallelstrukturen“, wenn die Familienservicestellen der Bundesagentur für Arbeit die Kindergrundsicherung umsetzten.

Ungeklärt ist auch die Frage, welche Stellen künftig für die Leistungen für Bildung und Teilhabe, das „Bildungspaket“ zuständig sind. Für die Gewährung von Zuschüssen zum Schulwessen, für Schulausflüge, Monatskarten und Nachhilfe sollen weiterhin die Länder zuständig sein, die dann wiederum die Ausführung der Leistungen für Bildung und Teilhabe „auf die Gemeinden“ übertragen können, so der Entwurf. Nach Vereinfachung für die Leis­tungs­emp­fän­ge­r:in­nen klingt das nicht.

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23 Kommentare

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  • Wenn das alles in der Kontrolle derselben Behörde bleibt, sollte es doch zu schaffen sein, einen Speicherplatz einzuführen, der dem Behördenmitarbeiter signalisiert, welche Leistungen aus der anderen Abteilung bei den Antragstellern gezahlt werden. Die Überweisung kann auch zusammengefasst erfolgen.

  • Ich dachte, die Leistungen sollen gebündelt werden, so dass auch Posten wie für "Schulessen, für Schulausflüge, Monatskarten und Nachhilfe" damit abgegolten wären?

  • Sehe jetzt schon Armuts Renter die Kinder um ein Euro bitten.

  • > Damit das auch weiterhin möglich ist, überweist das Jobcenter die Gesamtmiete dann nur aus dem Bürgergeld für die Eltern an die Vermieter. Die Eltern wiederum holen sich die Summe für den Mietanteil der Kinder aus der Kindergrundsicherung zurück.

    Das klingt nicht nach Bürokratie für die Eltern, denn das Geld bekommen sie ja aufs Konto. Wo genau gibt es Mehraufwand für Eltern? Hier ist nichts davon belegt.

    • @Arne Babenhauserheide:

      ...noch einfacher wäre es, jeder Vermieter bekommt die Miete per se vom Staat überwiesen und dieser holt es sich gegebenenfalls vom Mieter zurück...

  • Je weniger man den Leuten zahlt, um so teurer und personalaufwendiger wird es.

  • Der Entwurf ist in der Tat ein totaler bürokratischer Irrsinn, da hat der eher konservative Landkreistag diesmal ausnahmsweise leider absolut Recht.

  • Letztes Jahr hat der öffentliche Dienst die fünf-Millionen-Marke geknackt, zum ersten Mal überhaupt seit Anbeginn der Zeit. So geht's heiter weiter mit der Staatsaufblähung!

    • @Wurstprofessor:

      Fünf-Millionen in welcher Zeiteinheit?

      (dass der Absolutbetrag steigt ist übrigens noch keine sinnvolle Aussage: durch Inflation steigt der Zahlenwert auch bei gleichbleibenden Ausgaben stetig)

      • @Arne Babenhauserheide:

        ähm ... es handelt sich wohl um die Menge der Angestellten des ÖD - nicht um Beträge ...



        Und da hat unser Wurstprofessor meiner Meinung nach völlig recht : wenn es so weiter geht, wird in Deutschland nur noch Geld in der Verwaltung "verdient". Kleine Selbstständige wie ich werden qua Steuerrecht immer ärmer.

      • @Arne Babenhauserheide:

        "Beschäftigte", nicht Euro - war unklar ausgedrückt, sorry!

  • Das System ist von Grund auf darauf ausgerichtet, dass eine spezielle Stelle die Leistungsempfänger durchleuchtet, diese Daten nicht teilt, und dann die zustehenden Leistungen gewährt.



    Wollte man das ganze System vereinfachen, bräuchte es eine negative Einkommensteuer, bei der die Finanzämter alleine für die Auszahlung der bedingungslosen Grundsicherung und die anschließende Gegenrechnung der Steuerschuld zuständig wäre.



    Diese Form des Grundeinkommens ist leider derzeit nicht durchsetzbar, weil das Prinzip des Grundeinkommens ebenso auf Widerstand stößt wie eine bedingungslose Auszahlung. Ohne das Prinzip der Einzelfallprüfung aufzugeben, lässt sich aber keine Bürokratie abbauen und ohne Digitalisierung und automatischen Datenabgleich nicht einmal Parallelstrukturen verhindern.



    Der jetzige Zustand ist auch ein Bürokratiemonster, allerdings eines, das bekannt ist und Leistungen nur nach Einzelfallprüfung gewährt mit den bekannten Folgen der Kinderarmut und falschen Bescheide.

    • @Zangler:

      Du hast absolut Recht. Die vielen Kontrolleure müssten sich einen neuen Job suchen, wo sie etwas positives leisten können oder auch Leistungsempfänger werden. Aber in D herrscht eine Neidkultur, vor allem bei denen, die nicht wohlhabend sind. Man gönnt den anderen nicht einmal das schwarze unter den Fingernägeln. Die Reichen dagegen halten meist gut zusammen, wenn es um die Sicherung ihres Reichtums gegen den Staat und die Armen geht.

    • @Zangler:

      Das Bedingungslose Grundeinkommen hat ein Marketingproblem.



      Zu viele glauben, dass es sich um eine Sozialleistung handelt.



      Dabei ist es eine Steuerrückzahlung.



      Ich glaube niemand im Land hätte ein Problem mit dem Bedingungslosen Grundeinkommen, wenn man es bedingungslose Steuerrückzahlung nennen würde. Außer vielleicht denen, die bei einer bedingten Steuerrückzahlung mehr erwarten dürfen.

      • @Herma Huhn:

        Stimmt. Wenn ich keine Steuern zahle und trotzdem eine Steuerrückzahlung erhalten würde, wäre das eine super Sache :)

        • @SeppW:

          ...Frau Huhn meinte wohl eher Steuerzahlung - da aus Steuern unseres Staatshaushalt ein Bedingungsloses Grundeinkommen gewuppt werden müsste...

      • @Herma Huhn:

        Eine Steuerrückzahlung bedingt, dass man selbst Steuern gezahlt hat.

        • @Fairchild670:

          Nein. In diesem Falle eben nicht.



          Sie argumentieren etwas deutsch :-)

      • @Herma Huhn:

        ...eine Steuerrückzahlung für Bezieher eines Bedingunglisen Grundeinkommen ?

        • @Alex_der_Wunderer:

          Es gibt keine "Bezieher" beim bedingungslosen Grundeinkommen.



          Zuerst zahlen alle von ihren Einnahmen, egal ob Sold, Gehalt, Zinsen oder Miete, einen fixen Prozentsatz Steuern.



          Von diesen Steuereinnahmen zahlt der Staat einen pauschalen Betrag an jeden Bürger zurück. Es ist also eine Rückzahlung.

          • @Herma Huhn:

            ....und diese Rückzahlung würden Sie dann " Grundeinkommen " nennen wollen ?

          • @Herma Huhn:

            "Zuerst zahlen alle von ihren Einnahmen, egal ob Sold, Gehalt, Zinsen oder Miete, einen fixen Prozentsatz Steuern."

            Zum einen klingt das im Kern nach einer flächendeckenden Steuersenkung, die das Herz des ein oder anderen FDPlers höher schlagen lassen würde.

            Zum anderen würde in Ihrem Modell das Grundeinkommen zur Sozialleistung, sobald die "Rückzahlung" die geleistete Zahlung übersteigt.

            • @Fairchild670:

              ...also die Rückzahlung - von Frau Huhn - " Grundeinkommen " benannt - höher als die Einzahlung ausfallen könnte - davon steht hier nichts zur Rede...



              Es geht scheinbar um eine Art der Geldwäsche...schmunzel