piwik no script img

Kinder auf BäumenIst Sicherheit wichtiger als Freiheit?

Klettern gilt als wichtige Bewegungserfahrung. Doch immer weniger Kinder in Deutschland tun es. Sind die Eltern schuld?

Ungesichert, aber frei. Kinder in einem Baum am See. Foto: Imago/Contrast/Streubel

Wann sind Sie das letzte mal auf einem Baum geklettert, haben sich die Welt von einer anderen Perspektive aus angesehen? Hoch oben, wo die Vögel singen und die Äste langsam dünner werden. Knapp die Hälfte der deutschen Kinder zwischen vier und zwölf Jahren hat diese Erfahrung noch nie gemacht. Sie sind noch nie alleine auf einen Baum geklettert.

Das ergab eine Umfrage, in Auftrag gegeben von der Deutschen Wildtier-Stiftung und löste damit Erstaunen aus: Kinder klettern nicht mehr? Erstaunen gepaart mit Kulturpessimismus: Früher war alles besser, wir – die Erwachsenen – ständig draußen, auf Entdeckungsreise in der Wildnis vor der Haustür. Die Kinder heute dagegen, so ein gängiger Schluss aus der Studie, verbringen zu viel Zeit vor dem Fernseher oder Smartphone und wissen nichts mehr mit sich anzufangen, wenn sie alleine im Freien sind. Verzärtelt von ängstlichen Eltern.

Was stimmt: Klettern gilt als wichtige Bewegungserfahrung und stärkt sowohl das Körpergefühl als auch das Selbstbewusstsein eines Kindes, sagt Franziska Schmidt. Sie gibt Kurse für Eltern mit Kindern zwischen vier Monaten und drei Jahren, in denen Kinder klettern und Eltern vertrauen lernen.

Ein Kind, das schon im ersten Lebensjahr die Möglichkeit bekommt, auf Sofa, Bett, Kommode und Stuhl zu klettern und auch hin und wieder hinfällt, lernt nicht nur die eigenen Grenzen kennen, sondern auch, wie man sich abrollt, um Verletzungen zu vermeiden. Erfahrungen, die im weiteren Leben helfen und gefährliche Unfälle vorbeugen können.

Zwischen Blättern und Ästen

taz.am wochenende

Kinder klettern nicht mehr auf Bäume, ihnen mangelt es an Naturerlebnissen, heißt es. Weil sie Angst haben – oder die Eltern Angst verbreiten. Was ist los da draußen? Unser Autor ist dem nachgegangen. Auf Bäumen, bei Baumhausbauern und im Reihenhausgarten. Was er dort erlebt hat, lesen Sie in der taz.am wochenende vom 11./12. Juli 2015. Außerdem: Wer sind die Lucke-Füller? Frauke Petry ist jetzt Vorsitzende der AfD, rechts neben ihr wird es künftig kaum jemanden geben – nur so manchen Mitvorstand. Wer macht da jetzt Politik? Und: In Bad Aibling stehen riesige weiße Bälle. Es sind Spionageanlagen des BND. Daten, die dort gesammelt werden, erhält auch der US-Geheimdienst NSA. Wir haben die Menschen hinter den Bällen besucht. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

In der taz.am wochenende vom 11./12. Juli 2015 begibt sich taz.am wochenende-Autor Daniel Kastner selbst in die Höhe und klettert auf Baum, Baumhaus und im Hochseilgarten. Von dieser neuen Perspektive geht er der Frage nach, wie es dazu kam, dass der Kletterbaum kein Ziel mehr ist für Kinder. Und erkundet die Rolle der Eltern oder von Kletterbaumsubstituten.

So ein Substitut ist das Baumhaus. Inzwischen immer beliebter und gerne gebaut vom Baumhausbauexperten. So steht es in vielen Einfamilienhausgärten und auf Spielplätzen, besonders praktisch, da es ein Erlebnis mit wenig Gefahrenpotential bietet. Und wenn sich nun hin und wieder eine Spinne oder ein Marienkäfer in das Haus hoch in dem Bäumen verirrt, dann ist auch die Natur im Spiel. In kleinen, sicheren Portionen.

Die meisten Kinder finden Baumhäuser toll, weil man dort mit Freunden spielen kann, ohne immer achtsam zu sein, dass man nicht hinunter fällt. Mehr Kindermeinungen über das Klettern lesen Sie in der taz.am wochenende vom 11./12. Juli.

Aber wären echte Bäume nicht besser, macht man es den Kindern mit Baumhäusern zu leicht? Im Vergleich zu den Achtzigerjahren sind die motorischen Fähigkeiten von Kindern stark zurückgegangen. Das kann schlichtweg mit fehlender Bewegungserfahrung begründet werden.

Gesicherter Nervenkitzel

Stark zugenommen hat auch die Zahl der Kletterhallen und Hochseilgärten in Deutschland. Auch sie bieten eine Alternative zum Kletterbaum und fördern durch verschiedenen Schwierigkeitsstufen die Motorik. Die knapp 500 Hochseilgärten in Deutschland, bietet Nervenkitzel und Naturerlebnis. Auch dort können Kinder ihre Grenzen austesten und sich Herausforderungen stellen.

Allerdings sind sie dort jederzeit unter Beobachtung und durch Gurte, Helm und feste Schuhe gesichert. Schutz ist gut, doch an dieser Stelle entsteht er auf Kosten von Leichtigkeit, die man hoch oben in den Bäumen erwartet.

Es gibt unzählige Bäume in Deutschland, viel mehr als früher, als angeblich die Kinder alle noch auf Bäume kletterten. Sollte man Kinder nicht einfach selbst die Welt erkunden lassen, auch wenn sie sich dabei verletzten könnten? Ist Sicherheit wichtiger als Freiheit? Soll man sie auf Bäume schicken, damit sie die Welt mit anderen Augen sehen?

Diskutieren Sie mit!

Die Titelgeschichte „Wo geht‘s hier rauf?“ lesen Sie in der taz.am wochenende vom 11./12. Juli 2015.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

8 Kommentare

 / 
  • Wenn die Kids nich wollen, einfach selbst mal den Affen rauslassen. Macht nen rießen Spass und schult das Gibbonhirn. Kinder sind Kopisten und äffen´s dir unbedingt nach. Aber Vorsicht, für deinen Kids im Teenalter ist das einfach nur peinlich und du machst dich wirklich zum Affen !

  • also, schon mal gesagt, heute einen Baum zum KLettern zu finden ist nicht so einfach, wir haben einen verkrüppelten Baum an dem meine Kindern rumkrabbelten, aber sonst weit und breit null, ich wüsste jetzt echt nicht wo ich Kindern Klettergelegenheiten anbieten könnte!

  • "Ist Sicherheit wichtiger als Freiheit?"

     

    Hammses nichn bisken kleiner?!

    Wie schrieb grad einer:" …klettern im Kirschbaum - Opa hat'n Auge drauf…";)

    Ja - so geit dat -

    Im Zweifel aber reden wir ja von einer

    Eltern etc generation - die schon selber wenig durfte - den sniff der undefinierten Räume/Plätze etc noch in der Nase hat.

     

    Denen spielt eine sicherheitsfetischisierte Gesellschaft & dazu passende Industrie - durchdesigned bis in den letzten todschicken Kinnriemen -

    in die Hände.

    &die bravahnungslosen kids -

    wetteifern ums angesagte logo -

    der Binnendifferenz ala

    Pierre Bourdieu.

    Mehr is nich.

  • Wann endlich wird diese Art von dummen Fragen Geschichte sein?

     

    Kinder brauchen beides. Freiheit ist weder wichtiger noch unwichtiger als Sicherheit. Eine eventuelle Freiheit kann nämlich nur der nutzen, der austreichend Sicherheit hat. Und sicher ist auf Dauer auch nur der, der frei entscheiden kann. Das Dumme daran ist: Es gibt keine Grenzlinie, keine Zahl und keine Regel dafür, wo genau Sicherheit und Freiheit in einem sinnvollen Gleichgewicht stehen. Es gibt da nichts auswendig zu lernen. Als Eltern können Menschen keine Musterschüler sein. Sie müssen sich gewisse Freiheiten nehmen um sicher zu werden, und sie müssen sich eine gewisse Sicherheit erarbeiten um diese Freiheit zu gewinnen, sonst funktioniert Erziehung nicht.

     

    Wieso eigentlich sind so viele Leute außerstande, die einfachsten dialektischen Zusammenhänge zu kapieren? Liegt das an zu wenig Freiheit, an zu wenig Sicherheit, an beidem oder schlicht an zu wenig Hirn?

  • Wenn die Menschen immer mehr in Städte ziehen, wo sollen die Kinder denn auch auf Bäume klettern und/oder in der Natur spielen?

    Ferner entfernt sich die Lebensweise immer mehr weg von der Natur: die Kids hängen vorm TV, vorm Computer oder am Händie.

    Die Medien tun Ihr übriges, dass die Welt außerhalb der vier Wände als große Gefahr in die Köpfe der Muttertiere eingeimpft wird.

    Man muss schon sehr weltfremd sein, dass einen diese Entwicklung bzgl. der Freizeitgestaltung von Kindern erstaunt.

  • Wir sind eine Gesellschaft von Hosenscheissern. Mit wachsender Ohnmacht (als Gegenpol zur Allmacht) im Globalen suchen wir wenigstens das Detail unter Kontrolle zu bringen. Fahrradhelm, pyrrotechnische Gurtstraffer, Seitenairbag, Überrollbügel, private Rechtsschutzversicherung, Pollenfilter, Biomineralwasser und Rauchmelder sind ein paar Beispiele dafür. Es ist ein Kontrolltick. Ein Gotteswahn. Es darf keinen Raum geben, der sich unserer absoluten Kontrolle entzieht, denn sowas macht uns Angst.

  • Dabei geht es objektiv um mangelnde Risikokompetenz! Und dieses Unvermögen wi4rd natürlich weiter gegeben, mit desaströsen Folgen!

  • Vieles sollte man trotz gewisser Risiken erlauben, denn auch ein Überbehüten kann dadurch einem Mißhandeln gleichkommen, daß sich späterhin durch viele Versäumnisse diverse Defizite dauerhaft einnisten. Und ein Kind, daß von einem Baum fällt und sich ein Bein bricht, ist trotz des Unglücks besser dran als jemand, der ersatzweise auf S-Bahnen herumturnt und von überspringender Hochspannung verbrant wird.

     

    Doch wer nun stattdessen Kinder bewußt auf die Bäume schicken will (also von einem Extrem ins andere fallen), dem ist mit Sicherheit nicht mehr zu helfen.