Kevin Kühnert über SPD-Parteitag: „Dieses Blatt wird sich wenden“
SPD-Vize Kevin Kühnert erklärt im taz-Interview, warum er die Hoffnung auf einen Stimmungsumschwung für die SPD noch nicht aufgegeben hat.
taz: Herr Kühnert, glauben Sie, dass Ihnen dieser Parteitag jenen Aufschwung geben wird, nach dem sich die SPD schon so lange vergeblich sehnt?
Kevin Kühnert: Ja, davon bin ich überzeugt. Ich bin ein positiv denkender Mensch. Und deshalb glaube ich nicht, dass wir noch weitere viereinhalb Monate erleben, in denen andere damit durchkommen, jegliche Auseinandersetzung über Politik und Zukunft zu verweigern. Mit unserem Programm und Olaf Scholz als Kanzlerkandidat haben wir als erste Partei alle Karten auf den Tisch gelegt. Gut, dass es jetzt losgeht.
Die SPD rangiert in den aktuellen Umfragen zwischen 14 und 16 Prozent, also genau auf jenem Stand vor der Nominierung von Olaf Scholz zum Kanzlerkandidaten im August vergangenen Jahres. Liegt das etwa nur an den anderen Parteien?
Ich finde es nur zu verständlich, dass Wähler:innen viele Monate vor einer Wahl anderes im Kopf haben als Wen-würden-Sie-wählen-wenn-Fragen zu beantworten und Parteiprogramme zu lesen. Noch dazu in einer Pandemie. Dieses Blatt wird sich jetzt zunehmend wenden. Unser Job ist es nun, für mehr Zuspitzung zu sorgen und nicht nur die Regierungsgeschäfte zu Ende zu bringen. Damit geht es heute los.
Aber ist es nicht verdammt großmäulig, Scholz immer noch als Kanzlerkandidaten verkaufen zu wollen? Andere kleine Parteien wie die FDP oder die Linkspartei beschränken sich doch auch auf Spitzenkandidaturen.
Für großmäulig halte ich Parteien, die nach der Bundestagswahl eine Regierung führen wollen, aber nicht mal in der Lage sind, ein Programm vorzulegen. Das ist Arbeitsverweigerung. Ich werde nicht behaupten, dass wir mit 16 Prozent zufrieden sind. Nur nehmen wir das nicht zum Anlass für Jammerei, sondern werden kämpfen. Politische Stimmungen ändern sich heute innerhalb kürzester Zeit, andere haben das jüngst erleben müssen. Für den 26. September ist weiterhin alles offen.
Die Grünen liegen in den Umfragen derzeit bei 26 Prozent und damit sogar vor der Union. Was machen die Grünen besser als Ihre Partei?
Den Grünen ist zu gratulieren, denn sie haben in den letzten Monaten handwerklich sehr vieles richtig gemacht, das kann doch niemand ernsthaft bestreiten. Und klar: Aus der Opposition heraus wirkt vieles erst mal entschlossener, dynamischer und manchmal auch fröhlicher. Im Wahlkampf wird es aber auch um die Frage gehen, wer aus schmissigen Forderungen tatsächliche Politik machen kann und was den Parteien wirklich wichtig ist – insbesondere wenn sie in Koalitionen Kompromisse eingehen müssen. Die grüne Realität in einigen Landesregierungen ist da deutlich trauriger als die sympathischen Auftritte von Annalena Baerbock.
Jahrgang 1989, ist mit 15 Jahren in die SPD eingetreten, war Bundesvorsitzender der Jusos und ist seit Dezember 2021 Generalsekretär der SPD.
Aber müssen Sie nicht befürchten, dass die SPD im Wahlkampf wie in Baden-Württemberg zwischen Union und Grünen zerrieben wird?
Am gleichen Tag hat Malu Dreyer übrigens furios in Rheinland-Pfalz gewonnen. Aber lassen Sie uns genauer hinsehen, was im Ländle passiert ist. Wie bei den meisten Wahlen der letzten Jahre ging es auch in Baden-Württemberg um das Vertrauen in Personen. Im Ring standen ein beliebter Ministerpräsident und eine unglückliche Bildungsministerin, andere nicht. Das war quasi ein Elfmeter ohne Torwart. Bei der Bundestagswahl wird es auch um Vertrauen in Personen gehen. Nur stehen sich hier mit Scholz, Baerbock und Laschet drei Kandidierende gegenüber – und keine Amtsinhaberin. Alle Umfragen zeigen, dass dieses Rennen komplett offen ist.
Noch eine inhaltliche Frage: Der Parteitag hat sich mit großer Mehrheit dagegen ausgesprochen, ins Wahlprogramm die Forderung aufzunehmen, die Möglichkeit eines regionalen Mietendeckels im Bundesrecht zu verankern. Hat die SPD damit nicht die Chance verpasst, ein starkes Zeichen für soziale Gerechtigkeit zu setzen?
Keine, wirklich keine Partei ist bei der Wohnungspolitik entschlossener und konkreter als die SPD. Wir sprechen uns für einen fünfjährigen Mietenstopp in allen angespannten Wohnlagen aus, für die Entfristung der Mietpreisbremse, eine am Gemeinwohl orientierte Bodenpolitik und für mindestens 100.000 preisgebundene neue Wohnungen – jedes Jahr. Und darüber hinaus werden wir nun noch rechtlich prüfen, wie nach regionalen Kriterien auch in Kommunen gedeckelt werden kann. Nur bei uns gibt es den Dreiklang aus Boden sichern, bauen und regulieren. Findet eines davon nicht statt, haben wir alle ein Problem.
Ein weiterer inhaltlicher Punkt: Im SPD-Wahlprogramm wurde das Klimakapitel kurzfristig überarbeitet. Im Ursprungsentwurf hieß es noch, Deutschland solle bis spätestens 2050 klimaneutral werden. Nun steht da das Jahr 2045. Warum brauchte es dafür erst ein Verfassungsgerichtsurteil?
Als Mitglied der Antragskommission kann ich Ihnen versichern, dass die allermeisten Überarbeitungen bereits vor dem Urteil aus Karlsruhe vereinbart waren. Also aus Überzeugung und nicht, weil uns jemand dazu gezwungen hätte. Eines unserer Hauptversprechen als gewählte Parteispitze war vor anderthalb Jahren, dass die SPD wieder deutlicher macht, was sie bei fortschrittlicheren Mehrheiten in Parlament und Regierung anders machen würde. Deshalb ist das Klimakapitel unseres Programms deutlich ambitionierter als die Kompromisse mit den Bremsern von der Union.
Meinen Sie nicht, dass die SPD und speziell Olaf Scholz in der Klimapolitik ein Glaubwürdigkeitsproblem haben?
Wir mussten sicherlich aufholen, aber im Gegensatz zu anderen haben wir eben auch aufgeholt. Die Realität des menschengemachten Klimawandels, die klaren Analysen der Wissenschaft, der Druck der Straße und einer neuen Generation SPD-Mitglieder – das alles hat die Programmatik der SPD zum Besseren verändert. Es gibt aber bei der Klimapolitik nicht nur die Gefahr eines Glaubwürdigkeitsproblems von Parteien. Es gibt auch die Gefahr fehlenden Vertrauens in das Versprechen eines sozial gerechten Klimaschutzes. Das Heizen über den CO2-Preis zu verteuern, ohne einen Warmmietenstopp vorzusehen, verlagert beispielsweise gesellschaftliche Kosten auf Haushalte, die den Status quo gar nicht ändern können. So sieht kein langfristig demokratiefester Klimaschutz aus, weil uns viele Leute einen Vogel zeigen werden. Und genau hier beginnt die Aufgabe der SPD.
Und was folgt daraus für Ihre Partei?
Wir wollen und müssen ambitionierten Klimaschutz für diejenigen leistbar machen, die weder alle Dokus von Harald Lesch gesehen haben noch in jahrelanger Askese leben können, weil ihr Budget nämlich eh schon schmal genug ist. Vermeintliche Widersprüche in Fortschritt auflösen, das ist der Job einer sozialdemokratischen Partei.
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