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Kevin Kühnert über SPD-Parteitag„Dieses Blatt wird sich wenden“

SPD-Vize Kevin Kühnert erklärt im taz-Interview, warum er die Hoffnung auf einen Stimmungsumschwung für die SPD noch nicht aufgegeben hat.

Der Online-Parteitag soll den nötigen Aufschwung für den Wahlkampf bringen Foto: Wolfgang Kumm/dpa
Pascal Beucker
Interview von Pascal Beucker

taz: Herr Kühnert, glauben Sie, dass Ihnen dieser Parteitag jenen Aufschwung geben wird, nach dem sich die SPD schon so lange vergeblich sehnt?

Kevin Kühnert: Ja, davon bin ich überzeugt. Ich bin ein positiv denkender Mensch. Und deshalb glaube ich nicht, dass wir noch weitere viereinhalb Monate erleben, in denen andere damit durchkommen, jegliche Auseinandersetzung über Politik und Zukunft zu verweigern. Mit unserem Programm und Olaf Scholz als Kanzlerkandidat haben wir als erste Partei alle Karten auf den Tisch gelegt. Gut, dass es jetzt losgeht.

Die SPD rangiert in den aktuellen Umfragen zwischen 14 und 16 Prozent, also genau auf jenem Stand vor der Nominierung von Olaf Scholz zum Kanzlerkandidaten im August vergangenen Jahres. Liegt das etwa nur an den anderen Parteien?

Ich finde es nur zu verständlich, dass Wäh­le­r:in­nen viele Monate vor einer Wahl anderes im Kopf haben als Wen-würden-Sie-wählen-wenn-Fragen zu beantworten und Parteiprogramme zu lesen. Noch dazu in einer Pandemie. Dieses Blatt wird sich jetzt zunehmend wenden. Unser Job ist es nun, für mehr Zuspitzung zu sorgen und nicht nur die Regierungsgeschäfte zu Ende zu bringen. Damit geht es heute los.

Aber ist es nicht verdammt großmäulig, Scholz immer noch als Kanzlerkandidaten verkaufen zu wollen? Andere kleine Parteien wie die FDP oder die Linkspartei beschränken sich doch auch auf Spitzenkandidaturen.

Für großmäulig halte ich Parteien, die nach der Bundestagswahl eine Regierung führen wollen, aber nicht mal in der Lage sind, ein Programm vorzulegen. Das ist Arbeitsverweigerung. Ich werde nicht behaupten, dass wir mit 16 Prozent zufrieden sind. Nur nehmen wir das nicht zum Anlass für Jammerei, sondern werden kämpfen. Politische Stimmungen ändern sich heute innerhalb kürzester Zeit, andere haben das jüngst erleben müssen. Für den 26. September ist weiterhin alles offen.

Die Grünen liegen in den Umfragen derzeit bei 26 Prozent und damit sogar vor der Union. Was machen die Grünen besser als Ihre Partei?

Den Grünen ist zu gratulieren, denn sie haben in den letzten Monaten handwerklich sehr vieles richtig gemacht, das kann doch niemand ernsthaft bestreiten. Und klar: Aus der Opposition heraus wirkt vieles erst mal entschlossener, dynamischer und manchmal auch fröhlicher. Im Wahlkampf wird es aber auch um die Frage gehen, wer aus schmissigen Forderungen tatsächliche Politik machen kann und was den Parteien wirklich wichtig ist – insbesondere wenn sie in Koalitionen Kompromisse eingehen müssen. Die grüne Realität in einigen Landesregierungen ist da deutlich trauriger als die sympathischen Auftritte von Annalena Baerbock.

Im Interview: Kevin Kühnert

Jahrgang 1989, ist mit 15 Jahren in die SPD eingetreten, war Bundesvorsitzender der Jusos und ist seit Dezember 2021 Generalsekretär der SPD.

Aber müssen Sie nicht befürchten, dass die SPD im Wahlkampf wie in Baden-Württemberg zwischen Union und Grünen zerrieben wird?

Am gleichen Tag hat Malu Dreyer übrigens furios in Rheinland-Pfalz gewonnen. Aber lassen Sie uns genauer hinsehen, was im Ländle passiert ist. Wie bei den meisten Wahlen der letzten Jahre ging es auch in Baden-Württemberg um das Vertrauen in Personen. Im Ring standen ein beliebter Ministerpräsident und eine unglückliche Bildungsministerin, andere nicht. Das war quasi ein Elfmeter ohne Torwart. Bei der Bundestagswahl wird es auch um Vertrauen in Personen gehen. Nur stehen sich hier mit Scholz, Baerbock und Laschet drei Kandidierende gegenüber – und keine Amtsinhaberin. Alle Umfragen zeigen, dass dieses Rennen komplett offen ist.

Noch eine inhaltliche Frage: Der Parteitag hat sich mit großer Mehrheit dagegen ausgesprochen, ins Wahlprogramm die Forderung aufzunehmen, die Möglichkeit eines regionalen Mietendeckels im Bundesrecht zu verankern. Hat die SPD damit nicht die Chance verpasst, ein starkes Zeichen für soziale Gerechtigkeit zu setzen?

Keine, wirklich keine Partei ist bei der Wohnungspolitik entschlossener und konkreter als die SPD. Wir sprechen uns für einen fünfjährigen Mietenstopp in allen angespannten Wohnlagen aus, für die Entfristung der Mietpreisbremse, eine am Gemeinwohl orientierte Bodenpolitik und für mindestens 100.000 preisgebundene neue Wohnungen – jedes Jahr. Und darüber hinaus werden wir nun noch rechtlich prüfen, wie nach regionalen Kriterien auch in Kommunen gedeckelt werden kann. Nur bei uns gibt es den Dreiklang aus Boden sichern, bauen und regulieren. Findet eines davon nicht statt, haben wir alle ein Problem.

Ein weiterer inhaltlicher Punkt: Im SPD-Wahlprogramm wurde das Klimakapitel kurzfristig überarbeitet. Im Ursprungsentwurf hieß es noch, Deutschland solle bis spätestens 2050 klimaneutral werden. Nun steht da das Jahr 2045. Warum brauchte es dafür erst ein Verfassungsgerichtsurteil?

Als Mitglied der Antragskommission kann ich Ihnen versichern, dass die allermeisten Überarbeitungen bereits vor dem Urteil aus Karlsruhe vereinbart waren. Also aus Überzeugung und nicht, weil uns jemand dazu gezwungen hätte. Eines unserer Hauptversprechen als gewählte Parteispitze war vor anderthalb Jahren, dass die SPD wieder deutlicher macht, was sie bei fortschrittlicheren Mehrheiten in Parlament und Regierung anders machen würde. Deshalb ist das Klimakapitel unseres Programms deutlich ambitionierter als die Kompromisse mit den Bremsern von der Union.

Meinen Sie nicht, dass die SPD und speziell Olaf Scholz in der Klimapolitik ein Glaubwürdigkeitsproblem haben?

Wir mussten sicherlich aufholen, aber im Gegensatz zu anderen haben wir eben auch aufgeholt. Die Realität des menschengemachten Klimawandels, die klaren Analysen der Wissenschaft, der Druck der Straße und einer neuen Generation SPD-Mitglieder – das alles hat die Programmatik der SPD zum Besseren verändert. Es gibt aber bei der Klimapolitik nicht nur die Gefahr eines Glaubwürdigkeitsproblems von Parteien. Es gibt auch die Gefahr fehlenden Vertrauens in das Versprechen eines sozial gerechten Klimaschutzes. Das Heizen über den CO2-Preis zu verteuern, ohne einen Warmmietenstopp vorzusehen, verlagert beispielsweise gesellschaftliche Kosten auf Haushalte, die den Status quo gar nicht ändern können. So sieht kein langfristig demokratiefester Klimaschutz aus, weil uns viele Leute einen Vogel zeigen werden. Und genau hier beginnt die Aufgabe der SPD.

Und was folgt daraus für Ihre Partei?

Wir wollen und müssen ambitionierten Klimaschutz für diejenigen leistbar machen, die weder alle Dokus von Harald Lesch gesehen haben noch in jahrelanger Askese leben können, weil ihr Budget nämlich eh schon schmal genug ist. Vermeintliche Widersprüche in Fortschritt auflösen, das ist der Job einer sozialdemokratischen Partei.

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19 Kommentare

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  • 0G
    05838 (Profil gelöscht)

    Kevin Kühnert fischt links der SPD.

    Und da sind nur noch die 7% Linke Wähler.

  • Da kann sich Kühnert Mühe geben, so viel er will und zentnerweise Kreide fressen, wird auch nichts nützen. Bei Scholz denke ich an Hartz IV, Cum-Ex und Wirecard und schon ist die SPD für mich unwählbar.

  • irgentwie ist die SPD für mich total überflüssig geworden,



    egal aus welcher Perspektive ich es sehe es gibt immer min 1 im Bundestag vertretene Partei die das überzeugender darstellt.



    Soziales Linke



    Öko Grüne



    Wirtschaftlicher Sachverstand FDP,CDU/CSU



    Selbst die AfD hat ein Alleinstellungsmerkmal nicht mal das hat die SPD.



    Am sinnvollsten wäre evtl eine Auflösung und die jeweiligen Strömungen gehen in die Linke Grüne CDU.

  • Die SPD ist fast in der Bedeutungslosigkeit verschwunden. Das Parteivorsitzduo ist den Namen nicht wert. Wer war das doch gleich? Wie heißen die zwei nochmal? Eben. Eine Trennung von Amt und Mandat ist zwar grundsätzlich zu begrüßen, jedoch zeigt sich in diesem Fall, daß Mandat ohne Amt ungefär den Stellenwert eines Postens als Frühstücksdirektor hat. Wer kein eigenes und gut präsentes Profil hat, kann auch keine Partei repräsentieren und diese zum Erfolg führen. Wobei es mit Führen allein ja schon so eine Sache bei den zwei Leuten ist...

  • Die SPD hätte für die aktuell laufende Legislatur nicht in die Regierung gehen dürfen, wenn sie ihren Zielen nur mit "fortschrittlicheren Mehrheiten" näher kommt. Man kann sich in den Sondierungs- oder Koalitionsgesprächen auch klar verweigern und damit schlichtweg der Realität des eigenen schlechten Abschneidens gerecht werden.

  • Tja, ich würde mal wieder die alte Frage stellen, wieviel Jahrzehnte die SPD Zeit hatte etwas zu verändern - aber nichts versucht, getan oder gar erreicht hat.

    Ich würde sagen: Zeit, Anderen eine reelle Chance zu geben.

  • 1G
    17900 (Profil gelöscht)

    Wir sprechen uns für einen fünfjährigen Mietenstopp in allen angespannten Wohnlagen aus....

    Ja das ist schön - konkret ist das nicht!



    Was ist eine angespannte Wohnlage????



    Ich spreche mich für den Weltfrieden aus.

    • @17900 (Profil gelöscht):

      na alles wo nicht mindestens 20 freie Wohnungen im Umkreis von 150m für maximal 6,50€(gibt auch welche die sagen max 5€) zur Verfügung stehen.

  • Ein weiterer Illusionär! Erinnern sie sich noch, wie mal ein FDP-ler sich zum Kanzlerkandidaten küren ließ und mit einem gelben 'Guidomobil' vorfuhr? So schätze ich die Chancen des skandalumwitterten Scholz ein!

  • Kevin Kühnert ist ein Träumer



    Die SPD hat nun auch wirklich alles getan um ihre Wähler zu vergraulen. Und da ist ein Träumer wie Kevin Kühnert auch keine Bereicherung. Der Köder muss dem Fisch schmecken, nicht dem Angler. Und die Köder der SPD schrecken selbst eingefleischte Sozialdemoraten ab.



    Eigentlich traurig und gefährlich, was aus der Arbeiterpartei SPD geworden ist, ein Zielloser Haufen ohne Profil und Glaubwürdigkeit.

    • 1G
      17900 (Profil gelöscht)
      @Rudi Hamm:

      Traurig und gefährlich.

      Das stimmt, gilt aber für die CDU/CSU genauso. Maskenaffäre??

      A. Nahles und S. Gabriel rauszuekeln war ein Riesenfehler. Der Scholzomat ist unbeliebt und wird es nicht packen. Er kann halt nicht aus seiner Haut - falsche Wahl!

      • @17900 (Profil gelöscht):

        A. Nahles war der letzte Sargnagel der SPD. Wer unprofessionell, albern und gedankenlos umherirrt und versucht, Politik zu machen, die fernab jeglicher Realität ist, gehört in keine Partei und schon gar nicht in irgendeine Führungposition. Der Zustand der SPD ist von A. Nahles beschleunigt worden - seit Anbeginn ihrer Mitgliedschaft in den Führungsgremien dieser Partei.

        • 1G
          17900 (Profil gelöscht)
          @Lars B.:

          OK, ich kann nicht das Gegenteil belegen. Dafür fehlt mir Insiderwissen.



          Immerhin war sie es, die den Mindestlohn tatsächlich auf den Weg gebracht hat. Erstaunlicherweise ist die gesamte Deutsche Wirtschaft nicht zusammengebrochen, entgegen der CDU und FDP-Prognosen.

          Kevin Kühner ist für mich mehr und mehr eine Enttäuschung. Ein Gezähmter, der wahrscheinlich seine Chancen für die Zukunft auslotet.



          Wen hat die SPD denn noch?



          Dreyer und Schwesig? Die ehem. MP von NRW hat sich ja still und heimlich versteckt. Über die SPD-Parteiführung braucht man erst gar nicht zu reden.



          Unser RB Müller hat sich in meinen Augen verbessert aber den möchte ich nicht als Kanzler haben.

          Wir haben offenbar einen Notstand - gute Leute fehlen - sehr gute Leute nicht in Sicht.

  • Der Kühnomat muss im Sinne des Scholzomaten funktionieren. Der in Aussicht gestellte Versorgungsposten nach der Wahl ist da zu verlockend.

  • der klang früher auch frischer und hatte immer konkrete Fakten parat- aber nach dem langen mühsamen Weg in seine Spitzenposition will auch er diese wohl ungern wieder verlieren. Deshalb nur kein falsches und faktisches Wort. Also ab sofort nur leere Worthülsen für den Wahlkampf und die Funktionäre in der SPD. Mal sehen wie sich Frau Baerbock bis zur Wahl noch entwickelt. Bei den beiden Herren Kanzlerkandidaten erwarte ich aufgrund ihrer überlangen Zugehörigkeit im Bundesbetrieb schon lange keinen "frischen Wind" mehr.

    • @Sonnenhaus:

      Joschka Fischer rief einst "ich will hier rein" und schaffte es doch nicht!So wird es auch Annalena Baerbock gehen!Mit ihrem Lächeln kann sie nun mal nicht alle begeistern.Da ist mir schon Olaf Scholz lieber,mit seinen Erfahrungen!Es war doch die SPD,die so Einiges an Soziales in die Wege geleitet haben,oft gegen den Willen der CDU!Und die Grünen????Die punkten doch nur,wenn es um Klimapolitik geht,alles Andere ist doch ziehmlich schwammig,oder?

      • @marita345:

        "Es war doch die SPD,die so Einiges an Soziales in die Wege geleitet haben,oft gegen den Willen der CDU"



        Super! Wir reden mal von Hartz4 und 1-Euro-Jobs, die der "Wirtschaft" die Taschen füllte und kleine Leute an den Abgrund des Bankrotts schob.



        Ob das gegen den Willend der CDU war, mag ich nicht diskutieren aber es war mit Sicherheit MIT dem Willen der Industriebosse...

      • @marita345:

        "Ich will hier rein", das war Gerhard Schroeder, und der hat das auch geschafft. Joschka Fischer wird sich realistischerweise nie Hoffnung auf das Kanzleramt gemacht haben. Ihre Anekdote funktioniert also nicht. Und ob der Technokrat Scholz "mit seinen Erfahrungen" letzten Endes fuer mehr soziale Gerechtigkeit steht, als die Gruenen mit Baerbock, da habe ich schon so meine Zweifel...

  • Politiker im Wahlkampfmodus.

    Der war mir mal sympathisch.