Vor dem SPD-Parteitag: Die stille Hoffnung der SPD
Auf ihrem Onlineparteitag wollen die Sozialdemokraten die Aufholjagd zu Grünen und Union ausrufen. Dazu müssen sie ihren Reformwillen herausstellen.
P arteitage, auf denen es nicht viel kontrovers zu besprechen gibt, sollen im Wahljahr meist Folgendes: schöne Bilder liefern, die eigenen Leute motivieren, einen PR- und Stimmungsturbo zünden. Schon damit wird es happig, wenn die SPD am Sonntag ihren Konvent abhält: Er ist digital, die Teilnehmer sitzen alleine daheim vor dem Rechner.
Die Sozialdemokratie hat einen Kanzlerkandidaten, zwei Vorsitzende, in den vergangenen eineinhalb Jahren nichts wirklich falsch gemacht und ist geschlossen wie lange nicht – und hängt in Umfragen doch bei knapp 15 Prozent fest. Bleibt es dabei, wirkt der Wahlkampf für das Publikum als Duell zwischen Union und Grünen, was sich zwangsläufig auf die Frage zuspitzt: Wer soll Kanzler*in werden – Laschet oder Baerbock?
Das hat dann zur Folge, dass unentschlossene Wählerinnen und Wähler für den Favoriten/die Favoritin stimmen werden, der oder die ihnen noch am ehesten zusagt. Um also ein Debakel zu vermeiden, muss die SPD unbedingt aus dem Zweikampf einen Dreikampf machen. Denn wenn du in der von Umfragen getriebenen Demokratie lang genug wie der Verlierer aussiehst, wirst du es auch.
Wenn die SPD noch ins Spiel kommen will, muss sie irgendwann mit ihren Konkurrenten in einem einigermaßen vergleichbaren Prozentbereich rangieren. Das ist nicht unmöglich. Aber alle strategischen Überlegungen dazu haben auch ihren Pferdefuß.
Scholz hat sich neu erfunden
Erstens: Die Sozialdemokratie ist in den vergangenen Jahren maßvoll, aber markant nach links gerückt. Sie propagiert umfangreiche öffentliche Investitionen, rückt von der schwarzen Null ab, streitet erkennbar für mehr Ordnung am Arbeitsmarkt, für Mindestlöhne und tariflich geregelte Arbeitsverhältnisse und gegen Prekarität und Hungerlöhne in Problembranchen wie der Fleischproduktion.
„Der geheime Scholz“, titelte erstaunt etwa die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung über den Kanzlerkandidaten, der sich neu erfunden hat. Olaf Scholz selbst hat sein Finanzministerium zum Thinktank eines europäischen Keynesianismus umgebaut und mit der neuen US-Administration und „Bidenomics“ jetzt auch globalen Rückenwind für einen Paradigmenwechsel in der Wirtschaftspolitik.
An die Stelle von Trickle-down-Märchen tritt eine Wirtschafts- und Sozialpolitik, die die Gesellschaft wieder von unten aufbaut. Das – ordentliche Jobs, ordentliche Löhne und dazu auch die Anerkennung und die Würde, die den arbeitenden Klassen in den vergangenen Jahrzehnten versagt war – soll auch die Botschaft an jene Teile der Bevölkerung sein, die die Sozialdemokratie am meisten brauchen. Deswegen hat Scholz „Respekt“ auch zur zentralen Botschaft seines Wahlkampfs gemacht.
Das Problem dabei ist aber zweierlei: Die Agendapolitik hängt der SPD bleischwer nach. Und Olaf Scholz hat das Problem, dass fast niemand mit ihm eine gesellschaftspolitische Semi-Revolution verbinden will. Das tat zwar vor fünf Monaten mit „Sleepy Joe“ auch niemand. Aber der hatte es aufgrund des amerikanischen Wahlsystems und seines Gegners leichter.
Vorsicht vor Hypes!
Zweitens: Armin Laschet ist ein schwacher Unions-Kandidat, dem nicht einmal seine Parteifreunde sonderlich viel zutrauen, und Annalena Baerbock hat gerade einen Hype, wird ab nun aber im Kreuzfeuer der Konkurrenz stehen. Dass Hypes ziemlich traurig enden können, weiß man noch vom entgleisten Schulz-Zug. Das ist die stille Hoffnung der SPD.
Drittens: Nach der Pandemie wird das Sicherheitsbedürfnis auch in der Mitte der Gesellschaft groß sein. Mit Scholz, der seit Menschengedenken mitregiert und Finanzminister sowie Vizekanzler ist, setzt die SPD darauf, dass die „Merkel-Wähler“ diesmal auf ihre Seite gezogen werden können. Man betont, dass die Vorsichtigen bei Scholz wüssten, dass er „Kanzler kann“. Doch noch nie hat ein progressiver Kandidat das höchste Regierungsamt neu erobert, der nur Erfahrung verkörperte und nicht auch Wandel versprach.
Man soll Umfragen nicht überbewerten, aber dass 27 Prozent der Wählerinnen und Wähler im Augenblick bekunden, die Grünen wählen zu wollen, ist immerhin ein Indiz dafür, dass viele Menschen gar keine so große Aversion gegen Experimente und Neues haben. Erwartet wird beides im Moment aber vor allem von den Grünen.
Die SPD wird ihnen diese Botschaft nicht überlassen dürfen, wenn sie erfolgreich sein will. Olaf Scholz wird sie jedoch nicht gut verkörpern können. Die Sozialdemokratie wird neue Gesichter um den Kanzlerkandidaten gruppieren müssen, die Jugend, Frische und einen neuen Stil repräsentieren. Das wird aus der Groko heraus nicht leicht zu vermitteln sein.
35 Prozent – oder nur 11?
Dahinter liegt das Grundproblem der Sozialdemokratie: Ihre Stärke war immer, dass sie eine große, aber spannungsgeladene Allianz verschiedener Milieus war: der arbeitenden Klassen, die höhere Löhne, mehr Sicherheit im Leben, Aufstieg und Respekt wollen; und der urbanen Mittelschichten, die dazu auch noch demokratische Erneuerung, gesellschaftliche Liberalität und Modernisierung wünschen.
In den ersten Segmenten steht die Sozialdemokratie nicht mehr mit der nötigen Glaubwürdigkeit da. Für die – wachsenden – urbanen Segmente gibt es mehr politische Konkurrenz. Das macht Siege nicht unmöglich, aber alles sehr volatil: Zwischen den 35 Prozent, die die SPD letzthin in Rheinland-Pfalz holte, und den 11 Prozent von Baden-Württemberg klaffen Galaxien.
Sonnenklar ist, was die SPD tun sollte: Sie muss Olaf Scholz als den Joe Biden Deutschlands positionieren, mit mehrheitsfähiger Ansprache für all jene, die nicht auf der Sonnenseite des Lebens stehen. Und um ihn herum ein paar tolle junge Leute, die das Morgen verkörpern. Ein Dreikampf um die Nummer eins wäre jedenfalls das Spannendste, was die deutsche Politik seit langer Zeit erlebt hat.
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