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Reformen beim BürgergeldWas die Veggiewurst mit der neuen Grundsicherung zu tun hat

Symbolpolitik steht derzeit hoch im Kurs. In der Sozialpolitik in Berlin, wie auch bei der Schweinelobby in Brüssel.

Wer sich qualifizieren will, statt einen Job als Wurstverkäufer anzunehmen, kann das wohl weiterhin Foto: Norbert Schmidt/imago

D iese Woche konnte man beobachten, dass niemand die Disziplin „identitätspolitischer Kulturkampf“ so beherrscht wie Konservative. Der Glaube, dass man einer Sache nur einen neuen Namen geben muss, damit sie sich in ihrem Kern ändert, ist keineswegs eine Spezialdisziplin der Linken. Besonders wirkmächtig ist dieses magische Denken, wenn es von rechts kommt.

Da war zunächst die Entscheidung, dass Veggiewürste nicht mehr Würste heißen dürfen. Nichts ahnende Konsumenten sollen so vor einem Tofuschock bewahrt werden. Es war ein Erfolg für die Schweinelobby, die verpflichtende Kennzeichnungen, die Konsumenten tatsächlich helfen würden, sonst verhindert. Wenn es nach dem EU-Parlament geht, dürfen Würste weiterhin ungesund und krebserregend sein und für ihre Herstellung Tiere gequält werden – Hauptsache, sie sind nicht aus Tofu. Die Wurstfinger von Markus Söder klatschen schon.

Eine Sache umbenannt, um einen symbolischen Erfolg zu erringen – das hat die Bundesregierung auch beim Bürgergeld getan. „Das Bürgergeld ist Geschichte“, sagte Wurst-Söder am Donnerstag. Die Bundesregierung will Härte zeigen gegen vermeintlich faule Arbeitslose, die, so die Unterstellung, nur mehr Sanktionen bräuchten, dann spurten sie schon.

Aber zum Glück gilt bei der Grundsicherung wie bei der Veggiewurst: Am Inhalt wird sich durch den neuen Namen womöglich wenig ändern – zumindest für die meisten Bürgergeld-, pardon: Grundsicherungsempfänger. Die Bundesregierung hat zwar härtere Sanktionen angekündigt. Aber noch ist nicht klar, wie dies in der Praxis aussehen wird. Denn auch wenn es für manche in der Regierung in ihrer Verachtung für Arbeitslose kein Halten gibt, gibt es doch ein Verfassungsgericht, das Sanktionen Grenzen gesetzt hat.

wochentaz

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Es ist Symbolpolitik zulasten von Schwächeren

Schon heute werden Menschen sanktioniert, wenn sie Termine beim Amt verpassen. In Zukunft sollen die Strafen höher ausfallen, mehr Menschen wären aber nicht automatisch betroffen. Denn auch für das Verhängen von Sanktionen gibt es Regeln: Betroffene müssen angehört werden und können Gründe für ihr Fehlen angeben.

Keine Frage, für sie machen 10 oder 30 Prozent Sanktion einen großen Unterschied, und es kann sein, dass die Zahl der Sanktionierten größer wird. Aber am Stichtag Ende Dezember 2024 waren gerade einmal 0,8 Prozent der Bürgergeldempfänger von einer oder mehreren Leistungsminderungen betroffen, übers Jahr verteilt sind es etwa 6 Prozent. Es ist Symbolpolitik, die auf Kosten einer kleinen Gruppe geht: Menschen, die teils ihre Post nicht öffnen, zu krank oder kaputt sind, um Termine wahrzunehmen. Klingt nicht nach Hängematte, sondern traurig. Fast so traurig, wie auf dem Rücken dieser Menschen Politik zu machen.

Auch bei den geplanten Totalsanktionen muss man abwarten, wie das Gesetz am Ende aussieht. Schon heute kann das Jobcenter Menschen den Regelsatz streichen, wenn sie mehrfach Arbeit ablehnen. Damit die Regelung nicht gegen die Verfassung verstößt, ist sie so kompliziert, dass sie kaum angewandt wird. Wir haben in der taz einen Experten für Totalverweigerer gefragt, ob er schon mal einen in freier Wildbahn gesehen hat: Hat er nicht. Weniger als 50 Fälle hat er gezählt. Selbst wenn die Regierung einen legalen Weg finden sollte, den Regelsatz häufiger zu streichen: Es wird die Ausnahme bleiben.

Bleibt noch ein wichtiger Punkt, in dem sich, tatsächlich, die SPD durchgesetzt hat. Der Vermittlungsvorrang aus Zeiten von Hartz IV kommt nicht einfach zurück, auch wenn der Kanzler das behauptet. Wer sich mit einem Abschluss qualifizieren will, statt einen Job als Wurstverkäufer anzunehmen, kann das wohl weiterhin. Darauf einen Bratling!

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Kersten Augustin
Ressortleiter Inland
Kersten Augustin leitet das innenpolitische Ressort der taz. Geboren 1988 in Hamburg. Er studierte in Berlin, Jerusalem und Ramallah und wurde an der Deutschen Journalistenschule (DJS) in München ausgebildet. 2015 wurde er Redakteur der taz.am wochenende. 2022 wurde er stellvertretender Ressortleiter der neu gegründeten wochentaz und leitete das Politikteam der Wochenzeitung. In der wochentaz schreibt er die Kolumne „Materie“. Seine Recherchen wurden mit dem Otto-Brenner-Preis, dem Langem Atem und dem Wächterpreis der Tagespresse ausgezeichnet.
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16 Kommentare

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  • Danke! Sehr nett und wahr geschrieben.

    Aber obacht!



    "Denn auch für das Verhängen von Sanktionen gibt es Regeln: Betroffene müssen angehört werden und können Gründe für ihr Fehlen angeben."



    Das könnte aber auch noch bald geändert werden. Wer sich immer am Verfassungsgericht festhält, dass die versuchten Verbrechen der Parteien zurückdrehen soll, könnte irgendwann auch da enttäuscht werden. Denn nichts ist in Stein gemeißelt, auch oder gerade wenn die Verbrecher sich "konservativ", also bewahrend, nennen.

  • Wurstverkäufer ist ein ehrenwerten Beruf, sogar Lehrberuf. Vor jedem der arbeitet um zu seinem Lebensunterhalt beizutragen habe ich Respekt, egal ob als Wurstverkäufer oder sonst was.



    Wer allerdings keinen Bock auf Arbeit hat, sollte sich auch nicht vom Wurstverkäufer und anderen Arbeinehmern aushalten lassen.

  • Und was hier auch immer wieder seitens der Medien vergessen wird; Termine beim Amt müssen nachgewiesen werden, soll heißen dass das Jobcenter einen Zugangsnachweis erbringen muss, wenn es sanktionieren will. Niemand ist verpflichtet die Webseite der BA zu nutzen wo er Termine übersehen kann, im Gegenteil. Das Jobcenter ist verpflichtet das Schreiben postalisch zu senden und zwar auf einem nachweisbaren Wege - per Einschreiben und mit Unterschrift. Hier im Ort gibt es eine Pension in der etliche Zugewanderte wohnen und Bürgergeld beziehen. Das ist nix anderes mehr als eine Unterkunft für diese Menschen. Wer glaubt dass die nen eigenen Briefkasten haben irrt sich gewaltig, da hängt im Erdgeschoss ein für alle zugängliches Behältnis wo jeder reingreifen kann, sogar ich wenn ich einfach ins Gebäude gehe. Somit ist ein rechtssicherer und nachweisbarer Zugang regelmäßig nicht gegeben und jegliche Sanktion wegen verpasster Termine nicht umsetzbar.

  • Das sind keine Grundsicherungsempfänger - Grundsicherung ist für Menschen im Alter und für Erwerbslose da, es ist das glatte Gegenteil vom Bürgergeld. Man muss nicht wie im Bürgergeld dafür erwerbsfähig sein, also wieso wird das dauernd verbreitet!? Es stimmt nicht!

  • Nun, "Wurstverkäufer" ist ja per se keine ehrenrührige Tätigkeit. Ich selbst war schon Wurstverkäufer, Director und Secretary der HansWurst Ltd.



    Allerdings war ich auch schon von Sanktionen beim Bezug von Leistungen nach SGB II betroffen. Meine Empfehlung: Krankschreibung. Nach meinem Schlaganfall hat es nur 6 Jahre gedauert bis ich ins SGB XII und EU-Rente abwanderte.



    Die Vermittlungsfähigkeit wird ja gerne überschätzt.

    Zur Wurst; da "Alles hat ein Ende nur die Wurst hat zwei" wohl als Tatsache gilt muss durch Kommutivität auch gelten dass alles was zwei Enden hat auch eine Wurst ist.

    Die, von Konrad Adenauer 1913 entwickelte und patentierte Kölner Wurst, auch Soja-Wurst genannt, ist demnach auch eine Wurst, ist eine Wurst, ist eine Wurst. Schade dass die Cancel-Cultur noch nicht mal vor Adenauer zurückschreckt.

    Den Verlust der Erbswurst habe ich nach langer Zeit verschmertzt.

    • @Mr.Henry:

      Vermutlich wird man sich auch für die Kackwurst noch einen anderen Namen ausdenken müssen, sonst kommen die Fingerbrecherbanden der cdsU und mischen einen auf.

  • Zur Wahrheit gehört auch, dass der wirklich nicht sehr passende Name "Bürgergeld" damals gewählt wurde, weil die Grünen ein bedingungsloses Grundeinkommen in der Ampel bei weitem nicht durchsetzen konnte. Dafür hat man dann eben etwas geschaffen, dass wenigstens so klingt, auch wenn es in der Sache etwas völlig anderes ist.



    Auch das war Symbolpolitik vom Feinsten.

    Hätte man damals einen passenderen Namen gewählt, wäre das Ganze vielleicht nicht so ein Kulturkrampf geworden, der mal wieder auf dem Rücken der Betroffenen ausgetragen wird.

  • Es ist das erste mal seit langem das ich einem Kommentar hier im Kern voll zustimme.

    Die Poltik hat und der öffentliche Disskurs über Politik hat sich von völlig von der Realität entkopplet.

    Wir "reden" nur noch über "Unsinn" und Dinge die realpolitisch belanglos sind.

    Und wenn über drängende reale Probleme gesprochen wird dann völlig post-faktisch oder sogar anti-faktisch.

    Auf Fakten basierende Diskussionen über reale und drängende Probleme finden nicht mehr statt -- ich würde so weit gehen und von einer "Selbstaufgabe" der Demokratie sprechen.

    Reden wir mal über reale Probleme:

    1.) Ca. knapp 20% aller deutschen Haushalte sind "arm" (armutsgefärdet)



    50% aller Haushalte haben nahezu kein Vermögen (unter 20-tausend €)

    2.) Die Zahl der Wohnungslosen hat sich die letzte 4 Jahre verdoppelt.

    3.) 7% aller Schüler erreichen keine Abschluss, das Ausbildungniveau an den Unis ist regelrecht "impoldiert"

    4.) Wir erreichen wenig im Klimaschutz denn wir fokusieren nicht auf die Hauptursachen.



    75% Aller Klimags-Emissionen sind Stromerzeugung, Verkehr und Industrie



    --> Wusten Sie das ein "Ersatz" aller Kohlekraftwerkte durch Erdgas mehr CO2 spart als alle Wohnungen zusammen emitieren?

    • @Jörg Heinrich:

      Man muss es mal positiv sehen. Früher haben Regierungen, wenn sie nicht weiter wussten mit den Problemen im Inneren, Kriege angefangen. Hier wird stattdessen von den Problemen halt so abgelenkt. Auch nicht schön, aber wenigstens besser als direkter Krieg. Allerdings kommt meine Bemerkung etwas ins Wanken wenn man an die Panikmache denkt, die zur Megaaufrüstung führt. Die ja auch nur von den echten Probleme ablenken soll.

  • Gibt es schon Vorschläge wie man die Geschmacksrichtung bei Veggie-Produkten in Zukunft auf der Verpackung kennlich machen will?



    Vielleicht so wie in der Welt der "sozialen" Medien :



    "X", vormals "TWITTER"



    - wie die Umbenennung in den Medien, teilweise heute noch, vermerkt wird/wurde?



    Ich jedenfalls will darüber informiert werden welche Geschmackrichtung das Veggie Produkt hat - entscheidend für meine Kaufentscheidung.

    • @javali:

      TNFKAW: The Nutrient Formerly Known As Wurst.



      Gesprochen "tenfkaw" - oder so.

  • Die Wurstfinger von Söder sind mir sympathischer als das moralinsaure Gejammer von Veganeraktivisten.

    • @Zven:

      nix moralinsauer.



      Die Posse animiert mich zu satirischen Höchstleistungen.

    • @Zven:

      "moralinsaures Gejammer" ???



      Mich animiert diese Germanistik-Pose zu satirischen Höchstleistungen .



      Ist in der Käse-Krainer kein Fleisch? Da sie nicht Käsewurst heißt, ist das leider unklar.



      Ich hätte lieber dafür plädiert, dass die Zutatenliste mehr als Schriftgröße 7 haben muss und die MDH an einer auffindbaren Stelle steht.

  • Laut der Bundesagentur für Arbeit wurden 2023 2,6% der Bürgergeldempfänger Sanktioniert. Für 2024 habe ich keine Zahlen gefunden. Also nicht ca. 6%. Es sei denn, dass sich die Zahlen innerhalb eines Jahres mehr als verdoppelt haben. Dann würde sich aber die Frage stellen warum.

  • Es ist auch nicht wirkmächtiger, aber es ärgert die anderen Parteien. Wenn die dann laut aufschreien, wird es erst richtig bekannt und hilft doppelt.