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Keine Klage gegen Linken-AbgeordnetenBlamage für den Hamburger Verfassungsschutz

Kommentar von

Robert Matthies

Das Landesamt für Verfassungsschutz zieht seine Klage gegen den Linken-Abgeordneten Deniz Çelik zurück. Er hatte die Behörde scharf kritisiert.

Rettung durch Rückzieher nach peinlichem Vorstoß: Hamburgs Verfassungsschutz-Chef Torsten Voss Foto: Marcus Brandt/dpa

D as Ende ist so abrupt wie peinlich: Die Hamburger Innenbehörde hat ihren Antrag auf eine einstweilige Verfügung gegen den Linken-Abgeordneten Deniz Çelik zurückgezogen. Denn die zuständige Kammer des Hamburger Landgerichts habe signalisiert, dass sie die Kritik Çeliks am Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) als zulässiges Werturteil und nicht als unzulässige Tatsachenbehauptung einstufen würde, so ein Sprecher.

Der Innenbehörde schreibt das Gericht ins Stammbuch, was jeder vorher hätte wissen können: Nach Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts „sei juristischen Personen des öffentlichen Rechts zivilrechtlicher Rechtsschutz gegen herabsetzende Äußerungen lediglich in eingeschränktem Umfang eröffnet“.

Im Oktober hatte Çelik das LfV in einer Pressemitteilung der Fraktion zur geplanten Regelabfrage der Stadt beim Verfassungsschutz das LfV scharf kritisiert: „Wer künftig im öffentlichen Dienst arbeiten will, soll erst durch das Nadelöhr des Verfassungsschutzes – eines Inlandsgeheimdienstes, der sich demokratischer Kontrolle weitgehend entzieht und durch Vertuschung, V-Leute-Skandale und immer wieder auch durch den Schutz rechter Netzwerke aufgefallen ist.“

Die Innenbehörde sah in der Formulierung über den „Schutz rechter Netzwerke“ eine unzulässige Tatsachenbehauptung, forderte eine Unterlassungserklärung und zog schließlich, als Çelik diese verweigerte, vor Gericht.

Eine souveräne Behörde wäre in den inhaltlichen Dialog getreten oder hätte die Kritik als Teil der demokratischen Auseinandersetzung hingenommen

Der Fall ist nicht nur eine juristische Fußnote, sondern eine schallende Ohrfeige für Innensenator Andy Grote (SPD) und seine Behörde – und ein wichtiger Sieg für die Redefreiheit des Parlaments.

Denn Çeliks Aussage zielte ja auf historisch belegte und immer wiederkehrende Defizite des Geheimdienstes: die Verstrickungen im NSU-Komplex, die Rolle von V-Leuten in der rechten Szene und die mangelnde Transparenz. Çelik hat scharf formuliert – aber auf der Grundlage einer durch zahlreiche Untersuchungsausschüsse bestätigten Realität.

Dass die Innenbehörde sofort die juristische Keule geschwungen hat, ist bezeichnend. Man hat versucht, einen kritischen Parlamentarier, der in seiner Funktion zur Kontrolle der Exekutive ja verpflichtet ist, durch die Androhung von Gerichtsverfahren und Gerichtskosten zum Schweigen zu bringen.

Die Linke hat vollkommen recht: Wenn eine Behörde Kritik an sich selbst so für „unzulässig“ erklärt, ist das ein autoritärer Reflex. Er zeugt von einem tiefen Missverständnis demokratischer Spielregeln: Parlamente kontrollieren Regierungen – nicht umgekehrt.

Muster behördlicher Abwehrhaltung

Der Rückzieher vor Gericht ist dabei nur die Spitze des Eisbergs. Es geht um die Kultur der Kontrolle und Transparenz im Umgang mit dem Verfassungsschutz. Geheimdienste neigen naturgemäß dazu, sich der Kontrolle zu entziehen. Gerade in Hamburg, wo das LfV seit Jahren durch einen restriktiven Umgang mit der Presse und seine Nähe zur Regierung auffällt, muss die Kontrolle durch die Bürgerschaft deshalb besonders scharf sein.

Senator Grote hat sich in der Vergangenheit mehrfach als vehementer Verteidiger seines Apparats positioniert, wenn der in die Kritik geriet. Die gescheiterte Klage gegen Çelik reiht sich ein in ein Muster behördlicher Abwehrhaltung, die darauf abzielt, kritische Debatten zu unterbinden, statt sie zu führen.

Tatsächlich hat sich das Hamburger LfV in den vergangenen Jahren vor allem damit hervorgetan, dass es unbescholtene Bür­ge­r:in­nen öffentlich an den Pranger stellte, weil die ihr Grundrecht auf Versammlungsfreiheit wahrgenommen und eine Demonstration angemeldet hatten. In seinem Jahresbericht, aber auch immer wieder in aktuellen, anlassbezogenen Pressemitteilungen nannte es Ak­ti­vis­t:in­nen namentlich und unterstellte ihnen Extremismus.

Versuch, den politischen Raum einzuengen

Wenn die Behörde beispielsweise die Volksinitiative „Hamburg enteignet“ und ihre Anmelder in die Nähe linksextremistischer Bestrebungen rückt – oft mit dem Vorwurf, es würden „harmlose Themen“ wie Mieten oder Umweltschutz „instrumentalisiert“ – dann arbeitet das LfV nicht gegen Verfassungsfeinde, sondern versucht, legale zivilgesellschaftliche Forderungen zu delegitimieren, linke Proteste zu diskreditieren und damit den politischen Raum einzuengen.

Solche Aktionen senden ein deutliches Zeichen der Einschüchterung in die Zivilgesellschaft. Die Einschätzung des Gerichts ist deshalb ein wichtiges Signal: Die politische Meinungsäußerung, erst recht die eines Abgeordneten, genießt hohen Schutz. Die Kritik Çeliks am Amt war keine justiziable falsche Tatsachenbehauptung, sondern eine zulässige politische Bewertung der Rolle des Verfassungsschutzes.

Und auch diesmal will sich die Behörde nicht korrigieren. Sie beharrt darauf, dass Çelik inhaltlich Unrecht habe, die Bekämpfung des Rechtsextremismus gehöre zur DNA des Landesamts. Aber: „Die dem entgegenstehende unzutreffende Äußerung von Deniz Celik (sic!) wird das LfV Hamburg aus Respekt vor der juristischen Wertung nicht weiter abwehren.“

Vertrauen weiter beschädigt

Die Innenbehörde hat nun nicht nur eine Blamage erlitten, sondern auch Steuergelder für einen aussichtslosen Rechtsstreit verschwendet. Sie hat das Vertrauen in die Hamburger Sicherheitsbehörden weiter beschädigt. Und sie hat Çelik damit im Nachhinein – natürlich nicht ausdrücklich – im Fall der Regelabfrage recht gegeben: Soll solch ein Verfassungsschutz darüber entscheiden, wer künftig im öffentlichen Dienst arbeiten darf?

Grote muss sich fragen lassen, wer dieses juristische Vorgehen genehmigt hat und welche Konsequenzen er daraus zieht. Eine souveräne Behörde wäre in den inhaltlichen Dialog getreten oder hätte die Kritik als Teil der demokratischen Auseinandersetzung hingenommen.

Der nun blamabel gescheiterte Versuch, einen Abgeordneten zu verklagen, ist eine Bankrotterklärung an die eigene Souveränität. Demokratie lebt vom Dissens. Wer Kritik durch staatliche Klagen unterdrücken will, macht sie kaputt.

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Redakteur taz nord
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