Katastrophe im Mittelmeer: Das Sterben geht weiter
Erneut sind Hunderte Migrant*innen bei der Überfahrt von Libyen im Mittelmeer ertrunken. Das Rettungsschiff „Ocean Viking“ hatte keine Chance.
Wie die meisten der nur mit Luftkammern versehenen Boote war auch das am Mittwochmorgen in Seenot geratene Boot mit 130 Menschen beladen worden, berichtete der Hilferufende der AlarmPhone-Zentrale.
Sofort machte sich das rund 10 Stunden entfernte private Rettungsschiff „Ocean Viking“ auf den Weg zu der mutmaßlichen Unglücksstelle. Es war das dritte in Seenot geratene Boot binnen 48 Stunden, auf das AlarmPhone die in internationalen Gewässern fahrenden Schiffe aufmerksam machte. Wegen der 6 Meter hohen Wellen und der fehlenden Koordinierung der Rettungsleitstellen in Libyen, Malta oder Italien hatte die „Ocean Viking“ keine Chance.
Die Besatzung eines von drei Handelsschiffen, die sich der Suche der „Ocean Viking“ anschlossen, entdeckte drei Tote in der Nähe der vermuteten Koordinaten. Ein Flugzeug der Frontex-Mission überflog schließlich am Donnerstag mehr als 70 Kilometer von der libyschen Hauptstadt entfernt ein gekentertes Boot.
Allein vor Tripolis mindestens 350 Tote in diesem Jahr
Auch am Freitag kreuzte die „Ocean Viking“ in dem Seegebiet auf der Suche nach den anderen beiden vermissten Booten, darunter ein Fischerboot mit geschätzten 40 Menschen an Bord. Auf Überlebende stießen sie bisher nicht.
Erst am Tag zuvor hatte die Internationale Organisation für Migration (IOM) den Tod eines Kleinkinds und einer Frau gemeldet, die bei einer Rettungsaktion der libyschen Küstenwachenpatrouille starben. Laut der Hilfsorganisation SOS MEDITERRANEE kamen allein im Seegebiet vor Tripolis in diesem Jahr 350 Migrant*innen ums Leben. Die Katastrophe vom Mittwoch zeigt, was libysche Menschenrechtsaktivist*innen schon lange vermuten. Viele Schlauchboote gehen vor der libyschen Küste unentdeckt unter.
Die Menschenhändler bereiten zwar mindestens einen Freiwilligen an Bord auf die Navigation und die Bedienung des Außenborders vor. Doch nach Ankunft in den staatlichen oder privaten Gefängnissen müssen die Migrant*innen ihre Telefone abgeben. Selbst wenn ein aufgeladenes Telefon an Bord ist, haben die Besatzungen schon innerhalb der libyschen Rettungszone oft keinen Mobilfunknetzempfang mehr.
Augenzeugen des unsichtbaren Massakers auf dem Mittelmeer sind Fischer aus dem tunesischen Zarzis. Seit Beginn der Migrationsroute 1999 treibt die Meeresströmung Bootswracks und Leichen in ihre Netze. „In einigen Frühjahren mussten wir vor lauter Leichenfunden mit dem Fischen aufhören oder weiter rausfahren“, sagte der Chef der Fischerkooperation der taz im letzten Dezember.
Anders als für die meisten Libyer*innen hat das Ende des Krieges um Tripolis für viele Migrant*innen keine Verbesserung ihrer Situation gebracht. Nachdem mehrere Gefängnisse im letzten Jahr von Granaten oder Raketen getroffen worden waren, schloss der ehemalige Innenminister Fathi Bashaga nach internationalem Druck vorübergehend die Migrant*innengefängnisse.
Mitte März zählte IOM aber erneut über 5.000 einsitzende Migrant*innen, auch die gerade auf dem Mittelmeer Geretteten wurden wegen „illegaler Migration“ wie Verbrecher eingesperrt. Wer von Verwandten aus der Heimat Geld an die Bewacher zahlt oder Zwangsarbeit leistet, kann gehen. Für viele führt der Weg allerdings direkt in die seeuntauglichen Boote der mit den Milizen verbündeten Schmuggler.
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