Karlsruhe zu Verfassungsschutz: Keine Ausnahme für Geheimdienste
Abgeordnete müssen Auskunft über Geheimdienste erhalten, entscheidet das Bundesverfassungsgericht. Der FDP Abgeordnete Konstantin Kuhle hatte geklagt.
Noch als Oppositions-Abgeordneter hatte Kuhle im Dezember 2020 den ehemaligen Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) gefragt, wieviele Mitarbeiter:innen des Bundesamts für Verfassungsschutz in den letzten fünf Jahren im Ausland aktiv waren. Er wollte dies wissen, weil der Verfassungsschutz ein Inlands-Geheimdienst ist und deshalb dem Bundesnachrichtendienst im Ausland in die Quere kommen könnte.
Doch CSU-Mann-Seehofer verweigerte die Auskunft. Man könne die Frage nicht beantworten, weil sonst das „Staatswohl“ gefährdet wäre. Das wollte sich FDP-Mann Kuhle nicht gefallen lassen und erhob beim Bundesverfassungsgericht eine Organklage gegen die Bundesregierung. Seine Abgeordnetenrechte seien verletzt.
Als es im März 2022 zur mündlichen Verhandlung kam, hätte der Streit in Harmonie und Versöhnung enden können. Denn die FDP war inzwischen Regierungspartei und Seehofer nicht mehr Innenminister.
Fragerecht verletzt
Doch seine Nachfolgerin Nancy Faeser (SPD) dachte nicht daran, den Streit beizulegen. Vielmehr eskalierte sie ihn noch. Ihr Rechtsvertreter forderte in der Verhandlung eine ausdrückliche Bereichsausnahme für den Verfassungsschutz beim Fragerecht der Abgeordneten. Schließlich könnten ausländische Geheimdienste jede noch so kleine Information nutzen, um wie bei einem Mosaik am Ende große Bilder zu erhalten. Nur den Abgeordneten des Parlamentarischen Kontrollgremiums (PKGr) wolle man zukünftig noch Auskünfte geben.
Nun entschied der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts eindeutig für den klagenden Abgeordneten. Eine Bereichsausnahme lehnten die Verfassungsrichter:innen ab. Die Regierung habe Kuhles Fragerecht verletzt, sagte die Senatsvorsitzende Doris König.
Die Einrichtung des Kontrollgremiums solle die Möglichkeiten der Abgeordneten verbessern und nicht die Rechte aller übrigen Abgeordneten beschränken, betonten die Richter:innen. Schließlich ist das Fragerecht auch ein ausdrückliches Minderheitenrecht, während im PKGr viele Kontrollmittel an einem Mehrheitsbeschluss der Abgeordneten hängen.
Auch die Mosaik-Theorie der Bundesregierung konnte die Richter:innen nicht überzeugen. Sie würde zu einem „völligen Leerlaufen“ des Fragerechts der Abgeordneten führen, weil schließlich jede Detail-Information für ausländische Geheimdienste ein wichtiger Mosaikstein sein könnte.
Es müsse ein Ausgleich zwischen dem staatlichen Geheimhaltungsbedürfnis und dem parlamentarischen Auskunftsanspruch gefunden werden. Im Ergebnis kann dieser Ausgleich aber auch dazu führen, dass der FDP-Abgeordnete Kuhle die Auskunft zwar erhält, aber nur in der Geheimschutzstelle des Bundestags und mit der Auflage, niemand davon etwas mitzuteilen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Die Wahrheit
Der erste Schnee