Karl Lauterbach zu Krankenhausreform: „Nicht jede Klinik ist wie Harvard“
Die Krankenhausreform soll mehr Qualität bringen, aber es gibt wieder Streit mit den Ländern. Ist das Vorhaben zu kompliziert, Karl Lauterbach?
taz: Herr Lauterbach, neulich hat mir ein Mitglied aus Ihrer Regierungskommission gesagt, es gebe vielleicht ein Dutzend Menschen in Deutschland, die die geplante Krankenhausreform im Detail verstanden haben. Gehören Sie dazu?
Karl Lauterbach: (Lacht) Das hoffe ich doch, ja. Und ein paar mehr werden es schon sein…
ist seit Dezember 2021 Bundesgesundheitsminister. Die Krankenhausreform gehört zu seinen größten Reformvorhaben. Im Dezember 2022 wurde der Entwurf für ein Gesetz von einer Regierungskommission vorgestellt und seitdem mit den Bundesländern beraten.
Aktuell gibt es wieder heftige Kritik von den Bundesländern – die der Reform zustimmen müssen. Haben die es einfach nicht verstanden?
Das kann man nicht sagen. Die Ministerinnen und Minister, mit denen wir arbeiten, sind hoch spezialisiert, stark eingearbeitet und wissen genau, worüber wir reden.
In einem gemeinsamen Brief haben die Landesgesundheitsminister*innen kürzlich geschlossen gegen die Reform gewettert. Die Regeln zur Finanzierung seien überhaupt nicht nachvollziehbar.
Der Gesetzestext ist in der Tat sehr kompliziert, weil er sowohl die Rechtsanforderungen bedienen als auch die Mathematik der Berechnung abbilden muss. Vieles davon lässt sich mündlich wirklich viel besser erklären. Und dafür kommen wir ja am Donnerstag auch mit den Ländern zusammen.
Haben Sie die Krankenhausfinanzierung komplizierter gemacht als sie ohnehin schon war?
Nein. Die Reform selbst ist zwar sehr komplex. Aber das System wird dadurch einfacher.
Vorhaltepauschalen, Leistungsgruppen, Grouper - wenn das alles kaum einer begreift, woher sollen die Leute wissen, wer recht hat in dem Streit um die Details?
Das ist schnell erklärt. Ziel der Krankenhausreform ist es, dass die Ökonomisierung wieder mehr in den Hintergrund tritt und die Qualität der Medizin gefördert wird. Da sind sich alle Beteiligten – auch die Länder und die Krankenhausgesellschaft – einig. Dafür reformieren wir zum einen die Finanzierung und zum anderen machen wir in einem ersten Schritt die Qualität der Krankenhäuser für bestimmte Eingriffe transparent. Das hilft den Patienten, die Entscheidung zu treffen, welches Krankenhaus das Richtige für sie ist.
Eine Art Ranking der besten Kliniken?
Überhaupt nicht. Wir veröffentlichen Daten dazu, wie häufig konkrete Eingriffe gemacht werden, wie gut das Personal dafür qualifiziert ist und wie häufig Komplikationen auftreten. Das versteht jeder.
Einige Länder wollen das aber nicht und könnten das im Bundestag schon beschlossene Transparenzgesetz am Freitag im Bundesrat blockieren.
Manche Länder haben Sorge, dass Krankenhäuser, die da nicht so gut abschneiden und jetzt schon ökonomische Probleme haben, dann noch mehr ökonomische Probleme bekommen könnten.
Von Rufschädigung ist die Rede.
Das ist keine Rufschädigung. Das ist Transparenz. Und darauf haben die Patientinnen und Patienten ein Recht. Wenn hier klargestellt wird, dass das Krankenhaus bei der Krebsbehandlung nicht so gut ist, soll dann Ihre Mutter trotzdem dort behandelt werden, weil Sie einfach nicht wussten, dass sie in einer anderen Klinik eine doppelt so hohe Überlebenswahrscheinlichkeit hätte?
Ich glaube, vielen Menschen wird erst durch diesen Reformprozess bewusst, welche Qualitätsunterschiede es zwischen den Krankenhäusern gibt.
Das stimmt, und diese Unterschiede sind je nach Eingriff eklatant. Wir haben in Deutschland lange in der Illusion gelebt, jede Klinik wäre in der Krebsbehandlung so gut wie die Harvard Medical School.
Wenn diese Daten zur Qualität transparent gemacht werden: Gehen dann die Leute nicht eh nur noch in die entsprechend gut ausgestatteten Krankenhäuser? Brauchen wir dann überhaupt noch eine Krankenhausfinanzierungsreform?
Qualität allein zu benennen, reicht nicht. Wir müssen auch die Bezahlung danach ausrichten. Wir brauchen eine Krankenhausfinanzierungsreform, die Qualität belohnt und den ökonomischen Druck rausnimmt.
Auf Eckpunkte dafür hatten Sie sich mit den Ländern im Juli geeinigt und nun gibt es wieder so viel Streit.
Vor allem die Übergangszeit ist ein Problem. Bevor die Länder ihre Krankenhausplanung an die Reform angepasst haben, zum ersten Mal das Geld anders verteilt und die Kliniken entlastet werden, vergeht viel Zeit.
2027 soll die neue Finanzierung wirksam werden. Angesichts der Schieflage vieler Kliniken wird bis dahin ein massives Krankenhaussterben befürchtet.
Zumindest für 2024 haben wir mit dem Gesetz einen Lösungsvorschlag auf dem Tisch liegen. Mit dem Transparenzgesetz bringen wir kurzfristig erhebliche Mittel in die Kliniken: Neben Energiehilfen in Milliardenhöhe bringen wir zusätzlich 6 Milliarden Euro für bessere Bezahlung der Pflege in die Krankenhäuser.
Und dieses Geld ist auch nach dem Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts sicher?
Die 6 Milliarden sind nicht von der Haushaltssperre betroffen. Aber wenn die Länder jetzt am Freitag den Vermittlungsausschuss anrufen, dann müsste der Bundestag noch einmal über das Gesetz abstimmen. Angesichts der Haushaltslage rechne ich nicht automatisch mit Zustimmung. Dann gäbe es auch die zusätzlichen 6 Milliarden für die Pflege möglicherweise nicht.
Das heißt, Sie haben zusätzliches Geld für die Kliniken mit dem Transparenzgesetz verknüpft, um die Länder zu ködern?
Nein. Die Mittel sind notwendig. Wir sitzen doch alle im gleichen Boot. Ich hoffe, dass die Länder sehen und auch anerkennen, dass es sehr schwer war, diese 6 Milliarden Euro für die höhere Vergütung der Pflege im nächsten Jahr zu beschaffen.
Nordrhein-Westfalen hat gerade erst eine entsprechende Bundesratsinitiative initiiert, in der mehr Geld für die Kliniken gefordert wird.
Darüber werden wir auch am Donnerstag in der Bund-Länder-Runde sprechen. Unsere Position ist klar.
Sie sind als Minister mit dem Versprechen angetreten, die Gesundheitspolitik werde sich nicht länger an der Macht der Lobbyisten, sondern an Erkenntnissen der Wissenschaft ausrichten.
(Nickt.) Ja. So ist es.
Die Expert*innenkommission hatte vorgeschlagen, dass die Finanzierung der Krankenhausleistungen an Mindestanforderungen in 128 Leistungsgruppen geknüpft ist. Das nun stattdessen von Nordrhein-Westfalen übernommene System definiert nur 65 Leistungsgruppen und wird von Mediziner*innen kritisiert. Sind Sie vor einem polternden CDU-Gesundheitsminister eingeknickt?
Die Länder sind keine Lobbygruppe. Es ist ihre Reform so gut wie unsere. Das NRW-System ist ein guter Kompromiss. Das von der Regierungskommission vorgeschlagene System war komplexer und das mag aus akademischer Sicht auch überzeugen. Dazu kann es auch später noch kommen. Aber der Einführungsaufwand ist mit dem System aus Nordrhein-Westfalen schon immens hoch. Denn auch das können wir nicht 1:1 einfach so übernehmen. Da ist niemand vor einem Lobbyisten eingeknickt, sondern das war ein politischer Kompromiss, der voll in Ordnung geht.
Mit der Krankenhausreform soll flächendeckend eine höhere Qualität erreicht werden. Und nun lassen Sie sich doch Ausnahmen von den Ländern reinverhandeln.
Nein. Ausnahmen waren immer geplant und sind auch nötig. Die Länder brauchen eine gewisse Flexibilität in der Krankenhausplanung. In manchen Fällen ist es wichtiger, dass auf dem Land Eingriffe in akzeptabler Qualität gemacht werden, als dass sie gar nicht stattfinden.
Ach so? Ich dachte, die Patient*innen sollten lieber etwas längere Anfahrtswege in Kauf nehmen, als auf Qualität zu verzichten.
Das werden sie auch, wenn komplizierte Operationen bevorstehen. Und in überversorgten Großstädten wird es auch keine Ausnahmen geben. Aber es gibt in Deutschland Regionen, da könnten für mittelschwere Eingriffe die Wege zum Krankenhaus weit werden. Da ist davon auszugehen, dass die dortige Bevölkerung Eingriffe verschleppt, wenn Angebote wegfallen. Das müssen wir verhindern.
Wieso gibt es überhaupt solche Löcher in der Versorgung?
Weil es zumindest in einigen Bundesländern jahrzehntelang überhaupt keine brauchbare Krankenhausplanung gab.
In den ostdeutschen Bundesländern, wo die Strukturen eh schon ausgedünnt sind, gibt es große Sorgen, dass durch die Reform noch mehr Krankenhäuser schließen müssen.
Gerade die ostdeutschen Bundesländer profitieren überproportional von der geplanten Finanzierungsreform. Hier gab es nach der Wende bereits eine systematische Bereinigung. Eine weitere Ausdünnung ist dort nicht nötig und durch die geplanten Vorhaltepauschalen wird deren Finanzierung stabiler.
Mit den Vorhaltepauschalen sollen gerade kleine Krankenhäuser den größeren Teil ihrer Ausgaben unabhängig von den tatsächlichen Behandlungen finanziert bekommen. Laut dem jüngsten Entwurf zum Reformgesetz sollen diese Vorhaltepauschalen aber an bisher erbrachte Fallzahlen geknüpft sein. Sind da die bevölkerungsarmen ostdeutschen Länder nicht wieder im Hintertreffen?
Eben nicht. Im Verhältnis zur Bevölkerung ist die Zahl der Behandlungen in den ostdeutschen Ländern überdurchschnittlich hoch. Wenn die Bemessung der Vorhaltepauschalen sich also an den bisherigen Fallzahlen orientiert, profitieren diese Länder davon. Diese Budgets werden sie nämlich behalten, auch wenn sie in Zukunft weniger Fälle machen. Ginge es pro Kopf, würden sie verlieren.
Gibt es aus Ihrer Sicht jemanden, der Angst haben muss vor dieser Krankenhausreform?
Das sind diejenigen, die jetzt sehr hohe Gewinne im System machen. Das bisherige System funktioniert ja so, dass es Rosinenpickerei belohnt. Es gibt zum Beispiel eine private Klinikkette, die in diesem Jahr mit einem Drittel mehr Gewinn rechnet. Ich glaube, es gibt nicht viele Branchen, die das in diesem Jahr von sich behaupten können.
Zugunsten der Aktionäre.
So ist es. Und von einigen dieser privaten Träger kommt auch der heftigste Widerstand gegen die Reform.
Auch kirchliche Krankenhausträger haben große Bedenken.
Aber nicht gegen die Reform an sich. Die frei gemeinnützigen Träger haben Angst vor dem Übergangszeitraum, weil sie einen systematischen Nachteil haben: Sie haben nicht die Gewinne eines börsennotierten Unternehmens und auch keine Kommune im Nacken, die Verluste trägt. Deshalb wäre es gerade für die kirchlichen Träger dramatisch, wenn wir die 6 Milliarden aus dem Transparenzgesetz nicht bekommen.
Damit ist doch trotzdem nur das Jahr 2024 abgesichert. Was ist mit 2025 und 2026?
Die Art und Weise, wie die Budgets in der Übergangszeit bis zum Wirken der Reform berechnet werden, verankern wir im Hauptgesetz zur neuen Krankenhausfinanzierung. Über dieses Gesetz verhandeln wir bei den nächsten Treffen mit den Ländern.
Ist es nicht im Grunde so: Alle betonen die Notwendigkeit der Krankenhausreform, aber keiner will Veränderungen vor der eigenen Haustür?
Das ist so. Jeder will, dass das Krankenhaus um die Ecke erhalten bleibt, selbst derjenige, der sich selbst dort nie behandeln lassen würde. Ich möchte aber, dass jeder Mensch, unabhängig davon, wo er wohnt und wie reich er ist, eine gute Versorgung bekommt. Das geht nur, wenn wir die Versorgung an der Qualität ausrichten.
An der Grundproblematik der Zweiklassenmedizin – den Vorteilen Privatversicherter – werden Sie in einer Regierung mit der FDP aber nichts ändern können.
Das stimmt. Aber unsere Reform ist ein wichtiger Schritt in die Richtung. Der Privatversicherte lässt sich doch schon lange gut beraten, wo er sich am besten behandeln lässt und ist in jeder Klinik willkommen. Diese Information sollen alle bekommen. Transparenz ist eine Frage der Versorgungsgerechtigkeit.
Der Umbau des Systems wird auch Geld kosten. Woher sollen diese Transformationskosten nach der Haushaltssperre kommen?
Da werden wir im Gesetz tatsächlich zu einer Lösung kommen müssen, bei der Bund und Länder diese Transformationskosten bezahlen.
Ursprünglich sollte die Reform noch in diesem Jahr beschlossen werden und zum 1. Januar 2024 in Kraft treten. Das wird offensichtlich nichts mehr.
Wir werden die Reform hoffentlich bis Ostern beschließen. Aber wir haben keine Zeit verloren für das tatsächliche Inkrafttreten. Es wird weiter so sein, dass die Länder in 2025 und 2026 die Leistungsgruppen zuweisen und dass die Reform 2027, 2028 Geld transportiert und 2029 komplett umgesetzt sein wird.
Erst mal müssen Sie sich mit den Ländern einigen. Und je näher Sie an die bevorstehenden Landtagswahlkämpfe heranrücken, umso schwerer könnte das werden. Eine Reform, die schwer zu verstehen ist, verführt zu simplen Wahrheiten: Warum rettet der Lauterbach mein Krankenhaus nicht?
Von der AfD erwarte ich den Versuch, die Menschen gezielt zu verunsichern. Das erschwert den Reformprozess, keine Frage. Aber die Union hat sich in der Sache bisher recht fair verhalten. Und wenn wir die 6 Milliarden Euro im Transparenzgesetz jetzt durchbekommen, dann wird es im nächsten Jahr kein Krankenhaussterben auf breiter Front geben.
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