Karikaturen von Irans Staatsoberhaupt: „Charlie Hebdo“ ärgert die Mullahs
Urinduschen und andere Derbheiten: Auf die jüngsten Karikaturen vom iranischen Religionsführer Ali Chamenei reagiert Teheran empört.
Das iranische Regime ließ als Reaktion eine renommierte französische Forschungseinrichtung, das 1983 gegründete Institut Français de Recherche en Iran (Ifri), im Zentrum der iranischen Hauptstadt schließen und drohte mit weiteren Reaktionen. Außenminister Hossein Amir-Abdollahian bestellte den französischen Botschafter ins Außenministerium ein.
Auf Twitter schrieb er, der beleidigende Akt des französischen Magazins werde nicht unbeantwortet bleiben. „Wir werden nicht zulassen, dass die französische Regierung die Grenzen überschreitet, sie hat definitiv den falschen Weg eingeschlagen.“ Dem Außenminister zufolge stand das Magazin bereits auf der Sanktionsliste der Islamischen Republik.
Aus Solidarität mit den seit mehr als drei Monaten demonstrierenden Frauen und anderen Regimegegnern im Iran hatte sich Charlie Hebdo etwas Spezielles einfallen lassen: einen internationalen Wettbewerb mit Karikaturen von Ajatollah Ali Chamenei. „Wenn ich mir den anschaue, sage ich mir, der hat einen für Karikaturen guten Kopf“, sagte Redaktionsleiter Riss (Laurent Sourisseau) in französischen Medien. Er fügte ironisch hinzu, der Mullah sei ja „im Unterschied zu Mohammed kein Prophet“. Man dürfe ihn also ungeschoren auf die Schippe nehmen, ohne der Blasphemie beschuldigt zu werden.
Vorgabe war es, dass die Zeichnungen lustig, aber auch im Stil von Charlie Hebdo möglichst frech und ungeniert sind. Die Karikaturisten ließen sich nicht lange bitten: In nur zwei Wochen gingen mehr als 300 Zeichnungen ein, von denen am Mittwoch 35 publiziert wurden. Unter den Teilnehmenden befanden sich laut Riss besonders viele in Frankreich oder sonst im Ausland lebende iranische Zeichner und vor allem Zeichnerinnen.
Urindusche für Chamenei
Dem unter dem Pseudonym Kianoush seit 2009 in Frankreich tätigen iranischen Karikaturisten gefiel die Idee: „Normalerweise mache ich nie bei Pressewettbewerben mit. Aber in diesem Fall hat es mich persönlich berührt, dass Charlie Hebdo Chamenei angreift, der verantwortlich ist für (die Verfolgungen) im Iran. Die Redaktion hat der Stimme des iranischen Volks Gehör geschenkt.“ Auf dem Titelblatt der Sondernummer ist eine nackte Frau abgebildet. Vor ihren gespreizten Beinen stehen kleine griesgrämige Mullahs an. „Kehrt dorthin zurück, wo ihr herkommt, Mullahs“, lautet der Titel dazu.
In vielen Zeichnungen des Wettbewerbs wird ein Zusammenhang zwischen den Forderungen der Frauen im Iran und Chamenei hergestellt: Auf einer Zeichnung wird der oberste Führer von einem spitzen Absatz zerdrückt, auf einer anderen steht er zwischen zwei Frauenbeinen unter einer Urindusche.
In mehreren anderen Karikaturen geht es um Anspielungen auf die kürzlichen Exekutionen von iranischen Oppositionellen, die dem Regime und im Speziellen Chamenei angelastet werden. Anfang Dezember waren zwei Personen, die im Zusammenhang mit dem aktuellen Aufstand verurteilt worden waren, gehängt worden. Etliche weitere Todesurteile sind bereits gefallen.
In der Islamischen Republik gehört nicht nur Chamenei – Staatsoberhaupt, höchste religiöse Autorität und Revolutionsführer in einer Person –, sondern die gesamte Geistlichkeit zu den Heiligkeiten, über die man sich nicht lustig machen darf. Chamenei selbst ist quasi unantastbar. Sein Name muss in der Presse immer mit einem Präfix wie „der heilige Führer der Revolution“ oder „der Oberste Führer des Landes“ begleitet werden. Chameneis gläubige Anhänger verstehen ihn als Gottes Vertreter auf Erden und Anführer aller Muslime weltweit.
Dass die Karikaturen auf Empörung stoßen, ist also keine Überraschung. An die Mauern der französischen Botschaft in Teheran schrieben Anhänger des Regimes in der Nacht auf Donnerstag Sprüche wie „Macron: Tier“ oder – in Anspielung auf Frankreichs Kolonialvergangenheit – „Genozid in Algerien“.
Indes ging dem Herausgeber der staatlichen Tageszeitung, Abdollah Ganji, der Protest der iranischen Regierung nicht weit genug: „Den französischen Botschafter auszuweisen“, schrieb er auf Twitter, „ist das Mindeste, was man vom Außenministerium erwartet.“
Die entrüsteten Reaktion aus Teheran vorwegnehmend, hatte Charlie Hebdo als Titel über die Karikaturen höhnisch geschrieben: „Alle Teilnehmenden (des Wettbewerbs) haben ihren Platz in der Hölle verdient!“
Kritik aus der iranischen Opposition
Anders als das Regime heißt die iranische Opposition im In- und Ausland die Aktion von Charlie Hebdo in weiten Teilen willkommen. In sozialen Medien werden viele der Karikaturen seit ihrer Veröffentlichung verbreitet. Viele Benutzer bedankten sich bei der Redaktion des Satiremagazins.
Während es für bekannte Oppositionelle innerhalb Irans zu gefährlich ist, die Zeichnungen zu feiern oder gar zu teilen, sind viele Oppositionelle im Exil überzeugt, dass solche Kunstwerke dabei helfen, die vermeintliche Unantastbarkeit von Chamenei und anderen Geistlichen im Iran zu zerstören.
Nikahang Kowsar, ein iranischer Karikaturist im kanadischen Exil, der 2001 wegen einer Satire über einen Ajatollah inhaftiert worden war und später ins Exil floh, sieht in den Karikaturen von Charlie Hebdo Unterstützung für die iranische Bevölkerung. Er forderte die europäischen Staaten auf, sich gegen die Drohungen seitens der Islamischen Republik zur Wehr zu setzen.
Allerdings gibt es auch in den Reihen der iranischen Opposition kritische Stimmen. Besonders feministische Aktivisten und Aktivistinnen empfinden die Karikaturen zum Teil als sexistisch und frauenfeindlich. Dass Frauen als Ursache des Bösen dargestellt würden, stehe nicht im Einklang mit den Werten, die in der Protestbewegung vertreten werden, meinen einige Aktivistinnen, die in den letzten Monaten selbst auf der Straße protestierten.
Der Tag der Publikation der Sondernummer fällt fast exakt auf den achten Jahrestag der Ermordung mehrerer Redaktionsmitglieder von Charlie Hebdo am 7. Januar 2015 in Paris. Riss möchte sie damit würdigen: „Diese Karikaturen (von Chamenei) sind in gewissem Sinn eine Fortsetzung der acht getöteten Zeichner von Charlie mit ihrer Art, den religiösen Obskurantismus zu karikieren.“
Zuletzt hatte sich der Ton zwischen Teheran und den Regierungen europäischer Länder verschärft. Grund dafür ist anhaltende Kritik am gewaltsamen Vorgehen iranischer Sicherheitskräfte bei den Protesten im Iran, bei denen mehrere Hundert Menschen getötet und Tausende festgenommen wurden. Neben den früheren Erzfeinden USA und Israel wurde von der Führung in Teheran jüngst auch Frankreich genannt. Viele iranische Sicherheitsbeamte und Politiker wurden seit Ausbruch der Proteste zudem mit EU-Sanktionen belegt.
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