Kürzungen an Hochschulen: Kampf gegen das Spardiktat
Wegen rigider Kürzungspläne stehen ganze Studiengänge vor dem Aus. Studierende und Wissenschaftler*innen in Berlin und Göttingen wehren sich dagegen.

Die Folgen sind bereits spürbar: Die Semesterbeiträge und Mensapreise sind gestiegen, in einigen Fachbereichen gelten Einstellungsstopps, an manchen Wissenschaftsstandorten könnten ganze Forschungsbereiche gestrichen werden.
Marie B. und ihre Kommiliton*innen an der FU wollen das nicht hinnehmen. Ihr Fach soll nach den Plänen der Uni besonders viel zum Sparziel der Landesregierung beitragen, sagen sie: Statt der zunächst für alle Fachbereiche veranschlagten 10 Prozent könnte hier knapp ein Drittel der Finanzmittel wegfallen.
Damit müsste einer der Studiengänge sofort eingestampft werden. Und das, obwohl die Bachelor- und Masterstudiengänge immer ausgebucht, manchmal sogar überbucht sind. Die Studierenden lernen kritisches ethnografisches Arbeiten, Regionalexpertise zu Afrika, Südostasien, Lateinamerika, aber auch über Migrationskontexte in Deutschland.
Dass die Kürzungspläne die Sozial- und Kulturanthropologie im Vergleich zu anderen besonders hart treffen, bestätigt auch Hansjörg Dilger, Professor am Institut für Sozial- und Kulturanthropologie an der Freien Universität Berlin. „Die Kürzungen bei uns sind total unverhältnismäßig“, sagt er der taz. Die kritischen Sozialwissenschaften seien „im Moment weltweit und auch in Deutschland unter Beschuss“. Dabei seien diese „gerade im Kontext der gesellschaftlichen Entwicklungen mit Rechtsruck, mit wachsendem Rassismus, Antisemitismus“ besonders wichtig.
Vonseiten der FU heißt es allerdings, dass die Kürzungen „nicht auf einzelne Fächer beschränkt“ seien. Alle Fachbereiche seien „gleichermaßen von einer Kürzung von 10 Prozent betroffen.„Aktuell fänden strategische Gespräche zwischen der Hochschulleitung und den Fachbereichen statt. Noch gäbe es keine abschließenden Entscheidungen.
Welche Folgen hätte eine Kürzung?
Würde ihr Studiengang gekürzt, könnte Marie B. nicht mehr ihren Abschluss in Berlin machen. Aber ihr geht es nicht nur um ihr persönliches Schicksal: „Ich finde es vor allen Dingen gesellschaftlich gesehen so fatal, dass an Bildung gekürzt wird und wo stattdessen das Geld hinfließt, also auf Bundesebene ins Militär mit Sondervermögen, in Berlin in die Polizei“, sagt Marie am Rande eines Treffens Ende Juni mit Kommiliton*innen. Auf einer Wiese vor der Humboldt-Universität bereiten sie eine Protestaktion bei der Langen Nacht der Wissenschaften vor. Im Plenum besprechen sie ihre Strategie, verteilen Verantwortlichkeiten, fertigen Demoschilder an. Rund 30 Personen sind gekommen.
Einig sind sie sich, dass es fatal sei, ausgerechnet in Zeiten von zunehmender Demokratieverdrossenheit und Rechtsruck ausgerechnet an Bildung zu sparen. „Wir wollen nicht nur gegen die Kürzungen einstehen, wir fordern ein Sondervermögen für Bildung“, sagt Sophie Witt aus dem SKA-Master.
„Viele sind genau für Sozial- und Kulturanthropologie nach Berlin gezogen“, ergänzt Goundo K., 21, Studentin im Bachelor. Sie sieht in diesen Fächern einen großen gesellschaftlichen Wert. „Hier können wir den Diskurs beeinflussen, der zum Beispiel Afrika immer wieder komisch abbildet.“
Umgang mit Protesten
Die Studierenden protestieren aber nicht nur gegen die Kürzungen an sich, sondern auch gegen die Haltung des FU-Präsidiums. Während einer Protestaktion vor dem Präsidiumsgebäude mit etwa 500 Teilnehmenden hatte es laut Studierenden eigentlich eine Zusage des Präsidenten Günter Ziegler gegeben, dass er zu einem Gespräch kommen würde – stattdessen sahen sich die Protestierenden mit der Polizei konfrontiert. Viele Studierende wünschen sich allgemein einen ernsteren Umgang mit Protesten.
Das Präsidium der FU bestätigt gegenüber der taz, dass es die Absicht gab, an der Kundgebung teilzunehmen. Doch während der Kundgebung seien „Sprechchöre und Äußerungen teils in aufgeheizter Stimmung laut“ geworden. „Ein Austausch zu den Haushaltkürzungen war nicht mehr möglich.“ Die Polizei sei „nicht auf Geheiß der Hochschulleitung vor dem Präsidium postiert“ worden.
Unterstützung aus der Wissenschaft
In Bezug auf die Kürzungen fordern die Studierenden den vollen Einsatz der Universitätsleitung. Es sei noch nicht alles verloren. „An der Universität wird alles teurer. Sehr viele Studierende haben sowieso schon Existenzangst“, sagt Tony L. Die 20-Jährige studiert Theaterwissenschaften, Germanistik und Philosophie und nimmt auch an den Protesten teil. Gerade werde es „für Studierende aus Arbeiter:innenfamilien noch schwerer, als es sowieso schon ist“.
Auch aus der Wissenschaft kommt Unterstützung: In einem offenen Brief, den bereits mehr als 2.000 Wissenschaftler*innen unterzeichnet haben, wird die schwarz-rote Regierung zum Umdenken aufgefordert: „Sie bedrohen den Wissenschaftsstandort Berlin, die wirtschaftliche und demokratische Zukunft und den sozialen Zusammenhalt in dieser Stadt!“, heißt es darin.
Dass der Berliner Senat einlenkt, ist unwahrscheinlich. Am Montag erst bestätigte Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra (SPD) im Wissenschaftsausschuss des Abgeordnetenhauses, dass die Hochschulen 10 Prozent der derzeitigen Studienplatzkapazitäten abbauen müssten – das entspricht 25.000 Plätzen. Möglicherweise schreiten aber noch die Gerichte ein. Die Berliner Hochschulen bereiten aktuell unter Federführung der Technischen Universität Berlin eine Klage gegen das Land Berlin vor. Sie sehen in den Sparvorgaben eine Verletzung der Hochschulverträge, die ihnen eine Grundfinanzierung von knapp 2 Milliarden Euro zusichert.
Auch in anderen Bundesländern stehen Kürzungen im Raum. In Hessen gab es am Dienstag in mehreren Universitätsstädten Proteste gegen mögliche Etatkürzungen im Rahmen des Hochschulpakts von Bund und Ländern. Nach Angaben der Hochschulen reißen die Pläne der schwarz-roten Landesregierung ein Loch von rund einer Milliarde Euro in ihr Budget für die nächsten sechs Jahre.
Geschlechterforschung hart getroffen
Welche Fachbereiche besonders von Einsparungen betroffen sind, zeigt sich beispielsweise an der Universität Göttingen. Dort ist die Professur für Diversitätsforschung gestrichen worden – und damit auch der gleichnamige Studiengang. Aus Sicht der Fachgruppe Geschlechterforschung in Göttingen sei es „kein Zufall, dass insbesondere die Geschlechter- und Diversitätsforschung von Einschnitten betroffen sind“, heißt es in einem offenen Brief. Diese Fächer gehörten zu den gesellschaftlich umkämpftesten – „sie polarisieren, sie stellen Machtverhältnisse infrage, sie haben weniger Rückhalt in konservativen akademischen Strukturen.“
Die finanziellen Einschnitte werden von der Universität Göttingen mit Sparzwang begründet. In dem offenen Brief wird kritisiert, dass die Diversitäts- und Geschlechterforschung im Gegensatz zu anderen Studiengängen überproportional betroffen sei. Größere Studiengänge haben nicht nur mehr Ressourcen, sondern wären von Kürzungen auch nicht so stark betroffen. Die Fachgruppe bemängelt, Kürzungen an ihren Bereichen seien entschieden worden, ohne zu prüfen, ob es in anderen Bereichen mit weniger starken Konsequenzen bewältigbar gewesen wäre.
Bei den Betroffenen sorgt das für Frust – und ernsthafte Sorgen. Luise Plettner und ihre Kolleginnen Alicia Kopitzki und Paulina Gauly aus der Fachgruppe Geschlechterforschung berichten der taz, dass sich das politische Klima an ihrer Uni verändert hat. „Das sind ja explizite Angriffe gegen die Wissenschaftsfreiheit, und diese Bedrohungslage wird so nicht so stark wahrgenommen.“
Sie führten Gespräche mit Professoren, die offen sagen, dass die Geschlechterforschung schließen solle, weil sie aus ihrer Perspektive kein Studiengang sei. Wenn strukturell Bereiche wie die Geschlechterforschung, Diversitätsforschung und Anthropologie gekürzt werden, fürchten sie, seien Soziologie und Politikwissenschaften nicht weit. Das könne „einen Präzedenzfall“ schaffen.
Wohin das führen kann, sieht man derzeit in den USA. Dort steht die Wissenschaftsfreiheit massiv unter Beschuss. In Berlin werden derweil die Kürzungen noch ausgehandelt. Für Marie B. und ihre Mitstudierenden ist klar, dass sie nicht kampflos aufgeben. Noch ist Zeit. Bis Ende September will die FU klären, wo gekürzt wird – und wo nicht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BDS-Bewegung wird 20
Der Rausch des Antiisraelismus
Wahl für das Bundesverfassungsgericht
Es droht ein Desaster
Gesetzentwurf für neue Wehrpflicht
Pistorius legt Kriterien für Pflichteinberufung fest
Studie über Wohngebäude-Modernisierung
Wärmewende kostet in Deutschland 1,4 Billionen Euro
Friedensnobelpreis für Trump
Den „Frieden“, den sie meinen
Kürzungen an Hochschulen
Kampf gegen das Spardiktat