Kampf gegen Rechts: Von guten Mächten getragen

Sie habe „'ne Macke mit Nazis“, sagt Katharina König-Preuss. Seit 25 Jahren dokumentiert die 39-Jährige die Aktivitäten der rechten Szene.

Eine Frau, Katharina König-Preuss

Pfarrerstochter, Landtagsabgeordnete, NSU-Expertin: Katharina König-Preuss Foto: Nora Klein

Sie steht ganz vorn, direkt an den hüfthohen Gittern, an denen die Nazis vorbeilaufen. „Da isse, die Katharina“, zischt einer mit Stiernacken und fixiert sie, bis er an ihr vorbei auf die Konzertwiese am Rand der thüringischen Kleinstadt eingebogen ist. Ein anderer macht ein, zwei schnelle Schritte auf sie zu, um ihr zu drohen, ein weiterer spuckt vor ihr aus. „Blood and Honour“, stellt Katharina König-Preuss ungerührt fest und fotografiert den Nächsten. „Und Hammerskins, da hinten.“

Das Handy zum Fotografieren in der linken, einen Becher Kaffee und eine Lucky Strike in der rechten Hand steht König-Preuss an einem Samstag im Juli am Ortseingang von Themar, wo zum größten deutschen Rechtsrockkonzert des Jahres rund 6.000 Neonazis aus ganz Europa anreisen. Über Stunden strömen sie aufs Festivalgelände, über Stunden beobachtet König-Preuss, klein, mit einer Vorliebe für Nikes und viel Wimperntusche, wer dabei ist. Später wird sie Wochen daran arbeiten, die Bilder zu archivieren und auszuwerten.

König-Preuss, 39, ist Abgeordnete der Linkspartei im thüringischen Landtag, und sie beschäftigt sich mit Nazis, seit sie 14 ist. Sie kann einordnen, wer zur Partei „Der III. Weg“ gehört oder zu den Holocaustleugnern der „Europäischen Aktion“. Sie weiß, welche Kameradschaften verboten sind und trotzdem hier vertreten, wer zu wem Verbindungen unterhält und wer die aufsteigenden Größen der Szene sind. Sie war Obfrau ihrer Partei im ersten thüringischen NSU-Untersuchungsausschuss, sie ist es im zweiten, und sie sagt von sich selbst, sie habe „’ne Macke“ mit Nazis und dem NSU. Anders gesagt, sie ist eine der profiliertesten Kennerinnen des NSU-Komplexes.

Mit 14 zusammengeschlagen

Manche Lebenswege scheinen sich lückenlos zu fügen, und trotzdem braucht es Mut und Konsequenz, sie zu gehen. „Ziemlich normal“ sei sie als Teenie gewesen, erinnert sich König-Preuss. Rumhängen mit FreundInnen, Klamotten in Schichten übereinander, DocMartens mit Glöckchen. Wer die Nachwendezeit wie sie in Jena verbringt, kommt an Nazis jedoch nicht vorbei. 1993 entsteht die „Kameradschaft Jena“, aus deren Umfeld sich später der NSU rekrutiert, ab 1995 ist es der „Thüringer Heimatschutz“. André Kapke, Ralf Wohlleben, Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt – alle Jenaer und alle dieselbe Generation wie König-Preuss.

Mit 14 wird sie zum ersten Mal zusammengeschlagen. Auf dem Heimweg aus dem Stadion steht eine Frau in weinroter Bomberjacke vor ihr, eine Freundin von Beate Zschäpe. Zwei Männer drehen ihr die Arme auf den Rücken, die Frau tritt zu. Erst in den Magen, und dann, als sie vornübergeht, von unten ins Gesicht. „Das Verrückte war, dass da 100, 200 Leute an uns vorbeigegangen sind, und niemand hat etwas gemacht“, erinnert sich König-Preuss. Die Narbe unter dem linken Auge bleibt. „Dass es nicht ausreicht, nur für sich zu denken, ich bin gegen Nazis – das ging damit los.“

Vielleicht muss man, um offensiv und gleichzeitig bei sich zu bleiben, in der einen oder anderen Form aufgehoben sein wie sie. Ein Netzwerk haben aus Familie und FreundInnen, ein Urvertrauen in sich tragen. König-Preuss zitiert, wenn sie erzählt, Martin Niemöller, Jörg Zink und Dietrich Bonhoeffer, „Von guten Mächten wunderbar geborgen“. Mit diesen Texten ist sie aufgewachsen: Ihr Vater ist Stadtjugendpfarrer von Jena, Lothar König, ein Mann mit Rauschebart und Widerstandsgeist, der schon in den 90ern vor der Ideologie und Radikalisierung der rechten Szene warnt.

Katharina König-Preuss

„Es reicht nicht aus, für sich zu denken, dass man gegen Nazis ist“

Was es heißt, sich zu engagieren und Gefahren in Kauf zu nehmen, lernt sie von ihm, noch zu DDR-Zeiten in Merseburg. „Ich erinnere mich an langhaarige und langbärtige Männer, an langhaarige Frauen, die bei uns zu Hause sitzen, Rotwein trinken und rauchen.“ Irgendwann tauchen auf dem Dachboden des Pfarrhauses alte russische Maschinen auf, an denen die BesucherInnen nachts Flugblätter vervielfältigen.

Nazis machten Jagd

König-Preuss ist bei den Friedensgebeten dabei und bei den Demos. Und sie kennt schon von früher, dass manche ihr feindlich gesinnt sind. Sie und ihre drei Brüder waren nicht bei den Pionieren, standen beim Fahnenappell in der letzten Reihe und wurden bespuckt als die „Asi-Kinder“, weil ihr Vater manchen zu ungepflegt erschien. Sie kann anderswo sein, früher wie heute: in der Familie – und in der Kirche. „Kirche war der Ort, an dem man nicht angegangen wird“, sagt sie. „Kirche war immer da.“

Als Pfarrerstochter kann sie reden, fast predigen, auch wenn sie nur vor ihrem Kaffee sitzt und eine nach der anderen raucht: engagiert, überlegt, überzeugend. In den 90ern hilft Reden allein nicht mehr, jedenfalls nicht mit allen: „Die Nazis haben Jagd gemacht“, sagt König-Preuss.

Katharina König-Preuss

„Kirche war der Ort, an dem man nicht angegangen wird.Kirche war immer da“

In der Antifa und der Jungen Gemeinde (JG), dem Jugendzentrum der evangelischen Kirche, das ihr Vater leitet, kursieren bald Listen, Schwarz-Weiß-Kopien aneinandergetackerter Seiten: Automarken, Kennzeichen, Fotos, unter anderem von Böhnhardt und Mundlos. Gesprochen hat König-Preuss die beiden wie auch Zschäpe nie – „aber kennen musste man die einfach“. Ihre Gruppe fotografiert und filmt, sichtet das Material und versucht, Nazis zu outen. Jahre später wird diese Arbeit dabei helfen, Licht ins Dunkel des NSU zu bringen.

Als dieser auffliegt, ist König-Preuss schon Abgeordnete der Linkspartei. Halb im Spaß, halb im Ernst hatte sie mit FreundInnen für Kommunalwahlen die ÖKS und das ALK gegründet: die „Ökologisch-Kulturellen Sozialisten“ und das „Autonome Linksradikale Kommando“. „Wir forderten Sachen wie: Jena braucht einen Zugang zum Meer und PolizeibeamtInnen eine karierte Uniform“, sagt sie und lacht. Wegen der 5-Prozent-Hürde melden sich jedoch die Grünen und die Linkspartei, die Angst um ihre Stimmen haben. Sie übernehmen unter anderen König-Preuss auf ihre Liste für den Stadtrat. Sie tritt in die Linke ein und gibt schließlich ihre Arbeit als Sozialarbeiterin auf. Seit 2009 sitzt sie im Erfurter Landtag.

Zwei Untersuchungsausschüsse

Die Zeit nach Auffliegen des NSU war „verdammt aufregend“, sagt sie. JournalistInnen belagern die JG, „die ganzen Leute von früher“ schleppen Kisten voller Material an: Fotos, Filme, die kopierten Listen. Monatelang sitzt König-Preuss tagsüber in den Ausschüssen, nachts recherchiert und sichtet sie weiter. Der Abschlussbericht des ersten thüringischen NSU-Untersuchungsausschusses bescheinigt den Behörden „ein einziges Versagen“. Der zweite Ausschuss befasst sich mit dem Zusammenhang von organisierter Kriminalität und Neonazis – und ist, weil der des Bundestages abgeschlossen ist und im Münchner Prozess die Plädoyers bereits laufen, eine der letzten Chancen, noch Neues im NSU-Komplex aufzudecken.

Während einer Ausschusssitzung im August kommt König-Preuss mit energischen, wie immer leicht ausgestellten Schritten aus dem Saal. Sie ist genervt, das Innenministerium will drei frühere Mitarbeiter des Verfassungsschutzes nichtöffentlich vernehmen lassen. Dann dürfen auch die Informationen aus der Sitzung nicht öffentlich verwendet werden. „Das Eigeninteresse des Ministeriums beim Schutz von VSlern geht vor“, schimpft König-Preuss. „Und das unter Rot-Rot-Grün!“

Mit Kritik an der Landesregierung wie auch an ihrer Partei hält sie sich nicht zurück. „Klar frag ich mich immer mal wieder: Bin ich wirklich Linkspartei?“ Der teils gewollte Rechtspopulismus, der Antisemitismus der Linken – „da habe ich schon oft genug überlegt, das hinzuknallen, um nicht Feigenblatt zu sein“. Aber was sonst?

Berlin, die Bundespolitik kommen so oder so nicht in Frage. Die Anbindung ans Außerparlamentarische würde ihr fehlen. Zu viele Pflichttermine. „Und ich will nie eine sein, die zu Antinazidemos kommt, ein Foto von sich machen lässt und wieder weg ist.“

Das Handy immer dabei

Für zwei Zigaretten reicht die Ausschusspause, für ein paar SMS auch. Das Telefon legt sie selten aus der Hand, sie twittert im Gehen, ihrem Account folgen mehr als 15.000 Menschen. Manchen ist ihre Beschäftigung mit dem NSU zu einseitig. „Sie hat sich in den NSU verbissen und meint, damit die Welt retten zu können“, sagt Wolfgang Fiedler, innenpolitischer Sprecher der CDU-Fraktion im thüringischen Landtag. Man könne aber in der parlamentarischen Arbeit nicht alles andere beiseite lassen. Auch wer eng mit ihr arbeitet wie die Grüne Madeleine Henfling, sagt es ähnlich: „Das Parlament ist für König-Preuss an vielen Stellen ein Instrument für die Arbeit gegen rechts.“ Ihr Kompass sei zwar weniger ideologisch als pragmatisch – aber konsequent an ihren Positionen ausgerichtet.

Seit Jahren überziehen Nazis und AfDler König-Preuss mit Verfahren, klagen auf Schadenersatz oder Unterlassung. Die daraus entstandenen Kosten liegen im höheren fünfstelligen Bereich. Auch Morddrohungen erhält sie. „Ich kann mich einschließen und Angst haben“, sagt König-Preuss. „Oder ich kann darauf vertrauen, dass es eben nicht Nazis sind, die entscheiden, wie lange ich lebe.“

Vor einem Jahr rief eine Schweizer Band auf YouTube dazu auf, Katharina König-Preuss und ihren Vater umzubringen. Sie sprach mit ihren engsten Vertrauten: mit Monchi, dem Sänger der Band Feine Sahne Fischfilet, der weiß, wie sich Morddrohungen anfühlen. Mit ihrem Mann, ihrem Vater. Dann setzte sie sich vor den Computer und hörte den Song. Sie transkribierte den Text, sicherte die Website und die Daten des Accountinhabers. Sie machte, was sie immer macht, seit 25 Jahren: archivieren, auswerten, die Kontrolle behalten. Das System verstehen.

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