Kampf gegen Autos in der Autostadt: VW wie Verkehrswende
In der VW-Stadt Wolfsburg haben sich Aktivist*innen niedergelassen. Sie wollen, dass VW auf die Produktion von Straßenbahnen umstellt.
Es sei das „kleinste, teuerste und hässlichste“ Haus, das er jemals aufgebaut habe, sagt Rosswog, „in der menschenfeindlichsten Stadt“, in der er je gewohnt habe. Aber um so mehr gebe es zu erreichen, sagt er, hier, „in der Höhle des Löwen“.
Im Herbst haben Aktivist*innen das Haus gekauft, finanziert über die Stiftung „Frei-Räume“. Sie haben sich mehreren Zielen verschrieben: in Wolfsburg die Verkehrswende voranzutreiben, gegen den Ausbau der Autobahn 39 zu protestieren, den größten Autokonzern der Welt zu einem Straßenbahn-produzierenden Betrieb umzubauen – und das „Trinity“-Werk zu verhindern, in dem VW seine neue E-Limousine bauen wollte.
Auf einem Acker in Wolfsburg-Warmenau sollte für zwei Milliarden Euro die Fabrik dafür gebaut werden, ab kommendem Frühjahr. Der Plan von VW war, das erste Auto schon 2026 vom Band laufen zu lassen. „Es macht mich immer wieder fertig, dass uns eigentlich alle Parteien vorlügen, auch die Grünen, dass man mit E-Mobilität das Klimaproblem lösen könnte“, sagt Aktivistin Jutta Sundermann. Dabei sei unklar, woher Ressourcen und Energie kommen werden. „Es ist ein krasses Gefühl, mit Vollgas in den Abgrund.“
Deswegen hatten die Aktivist*innen nicht nur das Haus gekauft, sondern drei Monate, von September bis November, auch ein Protestcamp auf dem Acker errichtet – bis VW-Chef Oliver Blume, der den Konzern erst Anfang September übernommen hatte, den Bau absagte. Die Entwicklung der Software für das Auto habe sich zu stark verzögert, „Der Super-VW Trinity rückt um eine halbe Autogeneration nach hinten“, berichtete das Manager-Magazin.
Vom Hambacher Forst zu VW
Die erste Aktion in Wolfsburg fand bereits 2019 statt, es war die Blockade eines Autozugs aus dem VW-Werk. Nach der Räumung des Hambacher Forstes für den Braunkohleabbau von RWE sei klar geworden, dass man sich jetzt um die Verkehrswende kümmern müsse, sagt Aktivist Rosswog. VW musste dran glauben, weil das Land Niedersachsen mit zu den größten Anteilseignern gehört. „Die Entscheiderin sitzt mit auf der Täterseite“, sagt Rosswog.
Bei der Aktion waren manche, die jetzt auch beteiligt sind – eine feste Gruppe gab es damals nicht, ebenso wenig wie heute.„Wir wollten es mit einem größeren Konzern aufnehmen“, erzählt Jörg Bergstedt. „VW ist ein Global Player. Die müssen damit rechnen, dass sie von allen Seiten auf die Fresse kriegen.“
Bergstedt hat das Haus mit ausgesucht, arbeitet nun vor allem am Protest gegen die A39 und an der Verkehrswende in Wolfsburg selbst. Zwei Jahre wollen sie bleiben, das Haus danach wieder verkaufen. „Dann haben wir gewonnen oder nicht“, sagt Bergstedt. Die Initiativen vor Ort müssten dann in der Lage sein, den Protest weiterzuführen.
Das Narrativ der Aktivist*innen geht so: In zwei Jahren rollt die erste Straßenbahn vom Band. Auf die Diskussion, wie realistisch das ist, wollen sie sich gar nicht erst einlassen. „Ich halte es für unrealistischer, weiter Autos zu produzieren“, entgegnet Rosswog. „VW steht nicht mehr für Volkswagen, sondern für Verkehrswende.“
Mit ihrer Vision seien sie „anschlussfähig“, sagt Bergstedt, gerade bei den Gewerkschaften. Denn der Vorschlag beinhalte die Sicherung jeder Menge Arbeitsplätze.
In Garten und Vorgarten der Amsel 44 steht viel von dem Zeug, was noch bis vor wenigen Wochen das Camp auf dem Acker gebildet hat. In der Haustür steckt von außen ein Schlüssel, jede*r kann reinkommen. Im Haus ist es fast angenehm warm, zumindest außerhalb von Flur und Küche. Fehlende Türen wurden durch Vorhänge ersetzt. Die teils unverputzten Wände, an denen Plakate, Stadtpläne und Mindmaps hängen, sind fleckig. Soll das die nächsten zwei Jahre so bleiben? „Sieht doch so aus wie in Berlin“, sagt Rosswog.
Der Keller steht voller Werkzeuge, Banner, Mal- und Klettersachen sowie Lebensmittel. In der Küche wurde selbst gefliest, ein bisschen Putz schaut noch hervor. Nebenan stapeln sich Hafersahne, Kaffee und Tee.
Der erste Stock bietet nach Bedarfen aufgeteilte Arbeitsräume: Multimedia, Ruhe, Konferenz. Die Kabel liegen vertüddelt unter den Tischen. Im Wohnzimmer ist Platz für Veranstaltungen mit bis zu 20 Menschen.
In dem Haus haben sich bereits Gruppen von der IG Metall oder dem BUND Gifhorn getroffen. Aber die Aktivist*innen gehen auch raus: an die Werkstore von VW, in die Nachbarschaft, zu Bürger*innenversammlungen, zu Versammlungen der IG Metall.
Zum Schichtwechsel in die Tunnelschenke
Ruben Gradl setzt sich zum Schichtwechsel ab und an in die Tunnelschenke, eine Raucherkneipe, in der „alle quer durch den Raum miteinander reden“. Wolfsburg sei eine Stadt, die sich sehr mit VW identifiziert, so empfindet es zumindest Gradl. Doch Bergstedt ist überzeugt: Es gibt auch Menschen, die heimlich anders denken. „Nicht VW-Fan zu sein ist wie in München leben und Eintracht Frankfurt gut finden. Du würdest mit dieser Position einfach nicht auf der Straße auftreten.“
Auch VW-Mitarbeitende haben sich ihnen angeschlossen. „Ich habe 20 Jahre gewartet, bis die hier aufgetaucht sind“, sagt Mischa Werner. Er arbeitet seit 21 Jahren bei VW. Bis 2016 hat er Autos kontrolliert, die aus der Fertigung kamen. Inzwischen fährt er sie im Werk herum. „Ich bin von Haus aus Anarchist“, sagt er, als er in die Amsel 44 kommt, um Rosswog und Gradl zwei dunkelgraue Mäntel zu leihen.
Denn die beiden wollen am nächsten Tag zur außerordentlichen Hauptversammlung der Volkswagen Aktiengesellschaft in Berlin aufbrechen. Nach dem Börsengang der Porsche AG sollen dort noch in diesem Jahr Dividenden ausgeschüttet werden. Über den Dachverband kritischer Aktionär*innen haben Rosswog und Gradl Aktien übertragen bekommen. Sie wollen bei der Versammlung eine Rede halten.
Rosswog, Sundermann, Bergstedt und Gradl leben sonst nicht in Wolfsburg. Das habe auch Vorteile, sagt Rosswog: „Da wir von außen kommen, können wir unabhängig von den ganzen Seilschaften agieren und den Elefanten im Raum ansprechen.“
Andere täten sich schwer mit Kritik an VW: So sei der Nabu-Chef von Wolfsburg zugleich Umweltberater der Stadt und im Nachhaltigkeitsmanagement von VW. Er habe gesagt, Trinity sei „'besser als Natur’“, so Rosswog.
Ebenfalls bei VW und beim Nabu ist Torsten Bleibaum. Seit 1995 arbeitet er im VW-Kraftwerk. Bevor er bei einem seiner Einsätze als Ehrenamtlicher für den Nabu Rosswog kennen gelernt hat, habe er Trinity einfach hingenommen, sagt Bleibaum. „Zu sagen, wir wollen das Werk nicht, hätten wir hier mit den Kräften nicht schaffen können.“
Bleibaum glaubt nicht an die Straßenbahn-Vision, die VW-Strategie mit den dicken E-Autos kritisiert er trotzdem. „Ich glaube nicht, dass der Kunde das verlangt. Der will ein Auto, was lange hält und nie kaputt geht.“
Ein Problem in Wolfsburg sei auch die Stadt, sagen die Aktivist*innen. Diese habe das Selbstverständnis einer „Büroetage von VW“, so Bergstedt. Als 2020 die ersten Aktionen angemeldet wurden, sei das städtische Verhalten „von der ersten Sekunde an unsouverän“ gewesen. Er erzählt von einer angemeldeten Demo, die auf dem Fußweg stattfinden musste, und von einem Polizeikessel vor dem Amtsgericht.
Als Rosswog im September eine Aktion zum Parking Day anmeldete, bei dem Parkraum symbolisch okkupiert wird, sei die Stadt „nicht handlungsfähig“ gewesen – trotz Nachfragen habe man eine Woche lang keine Reaktion erhalten. Gradls Verdacht: „Die haben erst mit unserer Ankunft hier eine Versammlungsbehörde gegründet.“
Schlafen auf Paletten
Wer mit zur Wolfsburger Verkehrswende-Gruppe zählt, ist nicht genau definiert, von wem auch? Es gibt die lokalen Initiativen, die sympathisierenden VW-Mitarbeitenden und die von außerhalb. Die Schlafräume hätten aber bisher immer gereicht, sagt Sundermann. Dank Palettenkonstruktionen in zwei Zimmern mit insgesamt rund 20 Quadratmetern und dem unausgebauten Dachboden können in der Amsel 44 bis zu 15 Menschen schlafen.
Sundermann ist nur tageweise da, Bergstedt auch mal etwas länger. Gradl und Rosswog verbringen einen noch größeren Teil ihrer Zeit hier. Wer aktuell in der Amsel 44 lebt, sagt Gradl, könne man nicht genau sagen.
Wo es keine feste Gruppe gibt, gibt es auch keinen Konsens, erzählt Gradl. „Es gibt keine Linie. Alle Leute machen, was zu ihnen passt und wovon sie denken, dass es wirksam ist.“
Für Bergstedt bedeutet das fehlende Label mehr Handlungsfreiheit. So kennt er es aus dem Hambacher Forst oder dem Dannenröder Wald. „Wir appellieren an niveauvolle und zielgenaue Aktionen. Und wenn mal was kaputtgeht, gehört das auch dazu.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Christian Lindner
Die libertären Posterboys
Außenministerin zu Besuch in China
Auf unmöglicher Mission in Peking
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Comeback der K-Gruppen
Ein Heilsversprechen für junge Kader
Olaf Scholz’ erfolglose Ukrainepolitik
Friedenskanzler? Wäre schön gewesen!
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?