Kampagne gegen Attila Hildmann: Stummgeschaltet

Ak­tivis­t:in­nen haben fast alle Kanäle von Attila Hildmann lahmgelegt. Ein Vertrauter hatte monatelang Beweise gegen ihn gesammelt.

Attila Hildmann, Kochbuchautor und Anti-Corona-Aktivist, spricht nach einem Autokorso bei einer Kundgebung gegen Corona-Einschränkungen

Attila Hildmann so wie er es mag: beim Verkünden seiner Verschwörungserzählungen Foto: Christophe Gateau/dpa

Seit mittlerweile anderthalb Jahren verbreitet der Imbissbesitzer Attila Hildmann Hass im Netz: Er postet Hakenkreuze, leugnet den Holocaust und beschimpft Personen des öffentlichen Lebens mit antisemitischen Schmähungen. Über 100.000 Abon­nen­t:in­nen lesen zeitweise seine rechtsextremen Inhalte in der Messenger–App Telegram. Nun hat Hildmann den Zugang zu seinen Webseiten und seinen Haupttelegram-Kanälen verloren und damit seine größte Möglichkeit der Machtausübung: sein Sprachrohr.

Wo sonst vegane Kochbücher verkauft werden, erscheint nun die bekannte weiße Maske der Hacker-Gruppierung Anonymous. Auch gibt es dort eine Art Bekennervideo zu sehen, in dem eine Computerstimme sagt: „Hallo Deutschland, hallo Attila Hildmann.“

Die Gruppe „Anonymous Germany“, die schon früher mit Hackerangriffen auf Rechtsextreme und verschwörungsideologische Akteure Webseiten lahm gelegt hatte, arbeitet bereits seit Mai 2020 an der Kampagne „Operation Tinfoil“, also Operation Alufolie. Mit Unterstützung aus den USA, Kanada und vielen weiteren Ländern will das deutsche Kollektiv damit laut eigenen Angaben gegen Verschwörungserzähler kämpfen. Damit „am Ende nicht aus einem Verschwörungsmythos eine Verschwörung gegen den Staat und die freiheitlich demokratische Grundordnung der Staaten erwächst“.

Zum Rundumschlag ausgeholt

In zahlreichen Aktionen hat sich das Kollektiv seitdem mit der deutschen „Querdenken“-Bewegung auseinandergesetzt und unter anderem Tausende Mitgliederdaten der verschwörungideologischen Partei „Die Basis“ erbeutet. Im Juni vergangenen Jahres entfernten sie beispielsweise knapp 2.200 Mitglieder aus einem Telegram-Kanal namens „Demokratenchat“, nachdem sie diesen gehackt hatten. Außerdem veröffentlichten sie interne Text- und Sprachnachrichten aus dem Adminchat von Hildmann und seinen Unterstützern.

In den Tagen zuvor hatte Attila Hildmann immer wieder die Mitglieder seiner Telegram-Gruppe dazu aufgefordert, sich als Admin für die Gruppe „Demokratenchat“ zu bewerben. Diesem Aufruf folgten damals auch Mitglieder vom Anonymous Kollektiv, um dann nicht nur Mitglieder zu löschen, sondern den Chat auch mit über 1.000 Memes zu fluten, die sich über Hildmann lustig machten.

Nun aber hat das Kollektiv zum Rundumschlag ausgeholt, mit Unterstützung aus dem direkten Umkreis von Attila Hildmann. Laut Anonymous ist „The Final Chapter“ angebrochen. Am 18. August meldete sich ein User über den Matrix-Server des Kollektivs. Er wolle mit einem Admin sprechen. Es sei dringend.

Nach eigenen Angaben betreute er mehr als ein Jahr lang die Social Media-Auftritte Hildmanns und kümmerte sich um die allgemeine IT-Sicherheit des Verschwörungsideologen. Damit wurde er der perfekte Informant für Anonymous. Denn jetzt wollte er aussteigen, er sei kein Nazi, Hildmann aber schon, so sagt er es in mehreren Chatgesprächen mit dem Kollektiv.

Der Mann, der im Internet Kai E. genannt wird, steht dazu, dass er Verschwörungsgläubiger ist. Er sei aber kein Rassist und glaubt an die Pandemie. Drosten allerdings vertraut er nicht, denn die PCR-Tests dienten nur dazu, die Zahlen hochzutreiben. Zunächst hatte er Hildmann für „einen korrekten Dude“ gehalten, der in der Pandemie auch mal andere Ansichten ausspricht. Er wollte ihn unterstützen, mit seinem technischen Know-How. Seitdem er aber Hakenkreuze verbreitet und sich ständig antisemitisch äußert, will er sich von ihm loslösen. Und dafür hat er die vergangenen Monate laut Anonymous Deutschland Daten gesammelt.

Der enge Vertraute „Kai E.“

So übergab „Kai E.“ dem Kollektiv Zugangsdaten von mehr als zwanzig Mail-Accounts und Seiten von Hildmann wie attilahildmann.de und attilahildmann.com. Nicht nur haben die Hacker die Telegram-Kanäle von Hildmann vorerst übernommen, sie haben auch seine Webseiten defacet, spielen dort also nun eigene Inhalte. Auf seiner Webseite attilahildmann.de beispielsweise ist das sich drehende Logo von Anonymous zusehen, darunter ein Video von einem Mann mit typischer Anonymous-Maske und verzerrter Stimme.

Zudem kündigte das Kollektiv an, die konkreten Inhalte aus den E-Mails in den kommenden Tagen an Behörden und Presse weiterzuleiten. Unter anderem soll aus den Daten hervorgehen, welche Unternehmen trotz Hildmanns öffentlicher Radikalisierung mit ihm weitergearbeitet haben und welche Personen, die öffentliche Ämter bekleiden, in Chats ihre Hilfe und Mitarbeit angeboten haben sollen.

Am Montagabend hat sich auch Atilla Hildmann zu dem Vorfall geäußert und bestätigt, dass ein früherer Unterstützer seine Daten weitergegeben hat. In einer Audionachricht auf einem neu eingerichteten Kanal auf Telegram erklärte der 40-Jährige: „Es war ja keine Hack-Aktion, es war eine Überläuferaktion. Da wurde nichts gehackt, da hatte nur jemand Zugang zu allen Daten und hat sie an den Mossad, BND und Antifa gegeben.“

Hildmann befindet sich schon seit einiger Zeit mutmaßlich in der Türkei. Im Februar war er aus seinem Haus im brandenburgischen Wandlitz geflüchtet, um der Berliner Staatsanwaltschaft zu entgehen. Mit dabei wohl auch: Kai. Zuvor war Haftbefehl wegen des Verdachts der Volksverhetzung, öffentlicher Aufforderung zu Straftaten und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte gegen Hildmann erlassen worden. Bislang war unklar, wie Hildmann die Flucht gelingen konnte und wer ihn zuvor gewarnt hatte.

Nun soll es konkrete Hinweise dazu geben, dass die Informationen zum Haftbefehl tatsächlich aus der Berliner Justiz durchgestochen worden sein sollen. Auch erheben die Hacker weitere schwere Vorwürfe gegen die Polizei: Der Informant „Kai“ soll demnach mutmaßlich justiziable Videos von der Hildmann-Plattform wtube.org an die Behörden weitergeleitet haben. Bisher habe er dazu aber keine Reaktion erhalten.

Twitter sperrt Anonymous Deutschland

Nur wenige Stunden, nach dem das Anonymous-Kollektiv die Kontrolle über Websites und Telegram-Kanäle von Attila Hildmann übernommen hatte, sperrte Twitter das Konto des Kollektivs. Zunächst war unklar warum.

Mittlerweile hat Twitter sich jedoch auf Anfrage von t-online geäußert. Ein Sprecher des Netzwerks erklärte, dass das Konto dauerhaft gesperrt wurde, da gegen drei Richtlinien der Plattform verstoßen wurde: die Richtlinie zur Verbreitung von gehacktem Material, die Richtlinie zu privaten Informationen und gegen die Richtlinie zu Plattformmanipulation und Spam. „Es ist nicht erlaubt, private Informationen anderer Personen ohne deren Erlaubnis zu tweeten“, so der Sprecher. „Dazu gehören auch Inhalte, die illegal erworben oder gehackt wurden. Sie dürfen auch nicht damit drohen, private Informationen preiszugeben, oder andere dazu auffordern, dies zu tun.“

Den Freudenjubel über die gelungene Aktion lässt sich das Kolletiv allerdings trotzdem nicht nehmen: „Eines sollte aber jedem klar sein, der Anonymous kennt: die Arbeit endet nicht. Wer glaubt, das Anonymous Kollektiv wäre dadurch in seiner Arbeit eingeschränkt, der irrt. Sehr sogar. Wer glaubt, es käme bei Anonymous auf einen Account an, der irrt. Sehr sogar. Wer glaubt, Anonymous sei jemals zum Schweigen zu bringen, der irrt. Sehr sogar“, heißt es auf ihrer Webseite.

Unter dem Hashtag #FreeAnonNewsDE fordern schon mehrere Hundert Befürworter des Kollektivs die Sperrung aufzuheben. „Twitter sperrt Anonymous, weil sie den rechten Hassprediger Attila Hildmann und dessen Netzwerke lahmgelegt haben. Schaltet den Twitter-Account wieder frei“, fordert beispielsweise die Piratenpartei auf der Social-Media-Plattform.

Und jetzt?

Wie es weitergeht, kann wohl zum jetzigen Zeitpunkt niemand sagen. Klar ist: Wenn sich die Vorwürfe gegen staatliche Akteure und Personen des öffentlichen Lebens bewahrheiten, könnte es zu beruflichen Konsequenzen, aber auch zu gesellschaftlichen Ächtung führen. Gleichzeitig bleibt die Frage, was nun die nächsten Schritte von Attila Hildmann sein werden.

Die Zahl seiner Fol­lo­wer:­in­nen sind schon in den vergangenen Monaten stetig gesunken, nun fehlt ihm auch noch die Plattform. Momentan ist er kaum in der Lage mit seinen veganen Kochbüchern Geld zu verdienen. Nachdem diverse Buchhandlungen sowie der Online-Versandhandel Amazon sie bereits aus dem Sortiment genommen haben, kann er sie nun nicht mal mehr auf seinen eigenen Seiten verkaufen. Hildmann scheint bis auf Weiteres stumm gestellt.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.