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„Junge Welt“ im VerfassungsschutzberichtFehl am Platz

Gastkommentar von Christoph Butterwegge

Laut Innenministerium verstößt Marximus gegen die Prinzipien der freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Da hat wohl jemand was falsch verstanden.

Verfassungsfeindliches Symbol? Marx-Engels-Denkmal in Berlin Foto: Erik Irmer

I st der marxistische Klassenbegriff verfassungsfeindlich? Wenn man dem CDU-Politiker Günter Krings, parlamentarischer Staatssekretär im Bundesinnenministerium, folgt, dann ist das so. Krings hat eine Kleine Anfrage der Linksfraktion zur Nennung der Tageszeitung junge Welt (jW) im Verfassungsschutzbericht beantwortet. Dort bescheinigt er dem Marxismus, gegen die „Grundprinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung“ zu verstoßen.

„Beispielsweise widerspricht die Aufteilung einer Gesellschaft nach dem Merkmal der produktionsorientierten Klassenzugehörigkeit der Garantie der Menschenwürde. Menschen dürfen nicht zum ‚bloßen Objekt‘ degradiert oder einem Kollektiv untergeordnet werden, sondern der Einzelne ist stets als grundsätzlich frei zu behandeln.“

Mittels des Klassenbegriffs wird allerdings kein Mensch „einem Kollektiv untergeordnet“. Vielmehr wird jeder Mensch im Rahmen der Sozialstrukturanalyse einer (als „Klasse“ bezeichneten) Großgruppe zugeordnet. Das tun alle Soziologen, auch solche, die dem Klassen- den Schichtbegriff vorziehen.

Christoph Butterwegge

hat bis 2016 Politikwissenschaft an der Universität zu Köln gelehrt und zuletzt das Buch „Ungleichheit in der Klassengesellschaft“ veröffentlicht.

Man muss übrigens kein Marxist sein, um zu erkennen, dass Deutschland eine Klassengesellschaft ist. Einer kleinen Minderheit der Bevölkerung gehören die Unternehmen, Banken und Versicherungen, während die große Mehrheit ihre Arbeitskraft verkaufen muss, um gut leben zu können.

Auch klassenlose Gesellschaft wäre dann verfassungsfeindlich

Zudem ist Krings’ Antwort zu entnehmen, dass auch das Ziel einer klassenlosen Gesellschaft verfassungsfeindlich ist – also die Beseitigung dessen, was doch der Menschenwürde widerspricht. Das „wesentliche Ziel“ einer „marxistischen Grundüberzeugung“ ist es laut Krings, „die freiheitliche Demokratie durch eine sozialistische/kommunistische Gesellschaftsordnung zu ersetzen“.

Nicht die Demokratie soll jedoch durch eine andere Gesellschaftsordnung ersetzt werden, sondern das kapitalistische Wirtschaftssystem. Hier urteilt ein Jurist über den Marxismus, der ihn offenbar nicht versteht oder bösartig verdreht. Jemand wie er ist daher fehl am Platze.

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6 Kommentare

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  • Schon eine lustige Debatte, wo bei uns doch die wenisten Leute - incl. ML-Fossile - Karl Marx von Karl Mai unterscheiden können. Spaß beiseite, derzeit blüht in bürgerlichen Gazetten wie der Zeit die Debatte über 'Klassismus'. Jetzt will der Staat in Gestalt Seehofers-Staatssekretär den marxistischen Un-Geist zurück in die verfassungsfeindliche Flasche stopfen. Aber unabhängig davon, ob Marx Recht hatte und ob die sogenannten marxistischen Parteien wirklich seinem Denken gefolgt sind, diese staatliche Reaktion der Ultras im Innenministerium spiegelt die Verschärfung des Konflikts zwischen Oben und Unten.....

  • „Nicht die Demokratie soll jedoch durch eine andere Gesellschaftsordnung ersetzt werden, sondern das kapitalistische Wirtschaftssystem“



    Also wenn schon Marxismus, dann „richtig“. In der ehemaligen DDR war der Staatspartei SED das „Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED“ zugeordnet. Dort kannte man sich aus im Marxismus und war besonders auf dessen Reinhaltung bedacht. Einige Aussagen von Herrn Butterwegge wären daher wohl als „abweichlerisch“ kritisiert worden!



    Bspw. war für die SED-Ideologen gesicherte Tatsache, dass sich die Klassenzugehörigkeit eines Menschen aus dessen Verhältnis zu den Produktionsmitteln ergibt. Das ist also keine Erfindung von Herrn Krings.



    Oder, so lernte ich in der Schule: Das kapitalistische Wirtschaftssystem der BRD war Grundlage des kapitalistischen Gesellschaftssystems. Auch dies ist also nicht auf Krings‘ Mist gewachsen. „Demokratie“ gab es demzufolge nicht in der BRD (sondern nur in der DDR)!



    Noch was. Herr Butterwege hat vermutlich das Marx’sche Kommunistische Manifest nicht „richtig“ gelesen, insbes. die letzten Sätze: „Mögen die herrschenden Klassen vor der kommunistischen Revolution zittern. Die Proletarier haben nichts in ihr zu verlieren als ihre Ketten. Sie haben eine Welt zu gewinnen!". Oder, wie ich in der Schule lernte: Der Kapitalismus sei nicht reformierbar, er müsse gewaltsam gestürzt werden, um auf seinen Trümmern den Sozialismus/Kommunismus aufzubauen (der die Lösung aller Menschheitsprobleme bringen sollte).

  • „Beispielsweise widerspricht die Aufteilung einer Gesellschaft nach dem Merkmal der produktionsorientierten Klassenzugehörigkeit der Garantie der Menschenwürde. Menschen dürfen nicht zum ‚bloßen Objekt‘ degradiert oder einem Kollektiv untergeordnet werden, sondern der Einzelne ist stets als grundsätzlich frei zu behandeln.“

    Klassischer Fall von ausversehen links

  • Hat eventuell damit zu tun, dass im real existierenden Sozialismus eben nicht nur das Wirtschaftssystem anders gestaltet wurde, sondern auch die Gesellschaftsordnung. Zumindest in allen "Feldversuchen", die weltweit bisher stattgefunden haben, war das so - auch in Deutschland in der Deutschen "Demokratischen" Republik, die leider nur auf dem Papier "demokratisch" war.

  • Man muss aber auch kein Rechter sein, um zu erkennen, dass



    Marxismus (fast egal welche Prägung) die Menschen zu Objekten macht - nämlich in dem es dem Arbeiter eine historische Rolle zuschreibt, dessen Drehbuch die marxistische Partei liefert.



    Und natürlich beschränkt sich der Umgestaltungswille im Marxismus nicht allein auf die Wirtschaft, sondern eben auch auf Gesellschaft und Politik.



    Die Frage für mich ist da weniger, ob Marxismus "verfassungsfeindlich" ist oder nicht, sondern warum sich Parteien und Bewegungen, die für Menschenwürde, Freiheit, Gerechtigkeit eintritt unbedingt an einer mehr als 100 Jahre alten Philosophie festhält, dessen Begründer ein autoritärer Knochen war und dessen Apologeten - so sie an die Macht kamen - die Gesellschaft in ein Gefängnis verwandelten...

  • "Nicht die Demokratie soll jedoch durch eine andere Gesellschaftsordnung ersetzt werden, sondern das kapitalistische Wirtschaftssystem. Hier urteilt ein Jurist über den Marxismus, der ihn offenbar nicht versteht oder bösartig verdreht."

    Nun ja, die hehren Ideen in Ehren - es läßt sich leider nicht darüber hinweg sehen, daß die bisherigen - vom Marxismus inspirierten - Versuche, das 'kapitalistische Wirtschaftssystem' zu ersetzen, nicht gerade in einer Demokratie geendigt haben: Stalin, Mao, Pol Pot, milllionen und abermillionen Erschlagener, Erschossener, Gehenkter, Verhöhnter, Erniedrigter...

    Wer fände das Marx'sche Diktum aus seinen Frühschriften nicht sympathisch:

    "...alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist."

    Nur: Die Umsetzungsversuche haben genau das produziert und mehr noch: potenziert, was Marx umwerfen wollte.

    Das Experiment ist von der Wirklichkeit zigfach, hundertfach, millionenfach widerlegt. Kann eine Ideologie eigentlich noch mehr scheitern?

    Ich bin zu sehr Realist und Empirist, um diesen schönen Jugendtraum nicht als definitiv widerlegt zu verstehen. Er hat sich als Alptraum entpuppt.

    Und die Älteren unter uns, die noch eine Erinnerung an die blutige Geschichte des letzten Jahrhunderts haben, haben eine Verpflichtung darauf hinzuweisen, dies nicht zu vergessen und nicht die Fehler der Vergangenheit noch einmal zu wiederholen.