Joe Biden im US-Wahlkampf: Frag, was du für dein Land tun kannst
Eitelkeiten, eingeübte Bräuche und politische Karrieren müssen weichen, um Trump noch zu verhindern. Für US-Präsident Biden kann das nur heißen: Er tritt nicht an.
I n pervertierter Weise hofften starke Kräfte der US-amerikanischen Demokraten Anfang des Jahres insgeheim auf das Unvermeidliche: einen Präsidentschaftskandidaten Donald Trump. Das sei der einzige Kandidat, gegen den der amtierende Präsident Joe Biden gewinnen könne, gaben sie zu.
Doch Biden als Anti-Trump hat bislang wenige der skeptischen Amerikaner und Amerikanerinnen motiviert, im November für ihn stimmen zu wollen. Seit der desaströsen Debatte aber ist es unübersehbar: Biden ist ein viel zu schwaches Gegenmittel gegen das Gift, das Donald Trump heißt.
Die reaktionärsten Kräfte des Landes stellen sich gerade auf, das Land im Schatten einer Trump-Präsidentschaft auf das gesellschaftspolitische Entwicklungsniveau der Gründerväter zurückzusetzen. Die immer schon konservative Heritage Foundation hat eine Verwandlung zum christlich-fundamentalisch-nationalistischen Planungsstab vollzogen und mit „Project 2025“ eine Blaupause für den fundamentalen Umbau der USA geschrieben. Diese Allianz aus Trumps Maga-Bewegung (Make America Great Again) und den politischen Vordenkern und Vordenkerinnen aus einem anderen Jahrhundert kann im November die exekutive Macht erlangen.
Da würde es selbst wenig helfen, sollten die Demokraten stärkste Kraft im Kongress werden. Keine Verschwörungserzählung könnte schöner sein. Die zentrale Frage, die einzige, die sich Joe Biden und potenzielle Alternativen – Vizepräsidentin Kamela Harris, Gouverneurin Gretchen Whitmer, die Gouverneure Gavin Newsom, Wes Moore und andere – angesichts dessen stellen müssen, lautet deshalb: Wer hat eine Chance, die USA vor einer reaktionären Tyrannei zu bewahren?
Kennedys Satz gilt
Am Mittwoch sprach Biden mit einer Gruppe von demokratischen Gouverneur.innen. Ihren Rückhalt braucht er – dem Schein nach erhielt er ihn. Aber die Gespräche über Alternativen finden längst statt. Denn wie der Guru der US-Wahlforscher, Nate Silver, am Donnerstag in der New York Times schreibt: „Doing Nothing About Biden Is the Riskiest Plan of All.“ Nichts ist riskanter, als Biden die Kandidatur zu lassen.
Frag nicht, was dein Land für dich tun kann – frag, was du für dein Land tun kannst. Nie hat das bekannte Zitat aus der Antrittsrede des demokratischen US-Präsidenten Kennedy 1961 so entscheidende Bedeutung gehabt wie in diesen Tagen und Wochen. Jeder und jede, alle Kräfte in den USA, die über den demokratischen Präsidentschaftskandidaten oder die -kandidatin bei der Wahl im November bestimmen, müssen diese eine Frage beantworten. Eitelkeit, politische Karrieren, ideologische Fraktionierung oder eingeübte Bräuche, alles muss dem weichen. Auch, vor allem und als Erster muss sich US-Präsident Joe Biden dieser Frage stellen. Die Antwort kann nur lauten: Ich trete nicht an.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Die Wahrheit
Der erste Schnee
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja