Japanischer Umgang mit dem Virus: Gesichtsmasken als Bürgerpflicht
Japan hält die Ausbreitung des Coronavirus bisher in Schach – und lässt sich trotz Einschränkungen nicht vom traditionellen Kirschblütenfest abhalten.
Die Virengefahr halten bei dieser Tradition viele für gebannt. Ähnliches war gestern in Sendai zu erleben. In der Stadt im Großraum von Fukushima besichtigten 55.000 Menschen das olympische Feuer. Es wurde am Bahnhof der Stadt in einem goldenen Kessel ausgestellt, wobei es zu Warteschlangen von bis zu 500 Metern länge kam.
Zwei Monate nach dem Ausbruch des Coronavirus weist Japan lediglich 10 Cluster mit 41 Toten und 1.012 Infizierten auf, jeden Tag kommen nur wenige Dutzend dazu. Doch eigentlich müssten die Zahlen viel höher sein. Japan ist sehr dicht besiedelt, hat den weltweit höchsten Anteil von Senioren und regen Austausch mit dem Nachbarland China.
Zudem ergriff die Regierung nur zahme Gegenmaßnahmen. Premier Shinzo Abe ließ die Schulen zwei Wochen vor den Ferien schließen, alle Veranstaltungen wurden abgesagt. Aber Geschäfte und Restaurants blieben offen, nur wenige sattelten auf Telearbeit um. Zunächst schürte dies den Verdacht, die Wahrheit würde unter den Tisch gekehrt. „Bei der Atomkatastrophe in Fukushima wollte die Regierung die Kernschmelzen zunächst auch nicht zugeben, seitdem misstrauen viele Japaner offiziellen Aussagen “, sagte die deutsche Japanologin Barbara Holthus.
Und trotz einer Kapazität von 6.000 Tests täglich hat Japan bisher nur 14.000 Abstriche geprüft, ein Zwanzigstel der Testzahl in Südkorea. Man teste nur Patienten mit schwersten Symptomen, sagt der Virologe Masahiro Kami vom Medical Governance Research Institute. Die Dunkelziffer sei daher sehr hoch.
Sorge um Olympia? Oder gezielte Intervention?
Der Politologe Koichi Nakano meint: „Premier Abe will Japan als sicheres Land darstellen, um Olympia nicht zu verlieren.“ Die Beratergruppe des Gesundheitsministeriums erklärte dagegen, man suche gezielt nach Häufungen von Covid-19. Als die Seuche in einer Grundschule ausbrach, schloss die Nordinsel Hokkaido alle Schulen und verhängte den Ausnahmezustand, bis die Verbreitung gestoppt war.
„Die geringe Zahl von Tests sollte gewährleisten, dass die Ressourcen im Gesundheitswesen für schwere Infektionsfälle verfügbar blieben“, sagt der deutsche Politologe Sebastian Maslow von der Universität Tokio.
Beobachter heben zwei Besonderheiten Japans hervor: Zum einen verringert Verbeugen statt Händeschütteln zur Begrüßung die Infektionsgefahr. Zum anderen üben die Japaner von der Kindheit an elementare Hygieneregeln ein. „Händewaschen, Gurgeln mit einer Desinfektionslösung und Maskentragen gehören zum Alltag, auch ohne Coronavirus“, sagt eine Mutter.
Daher fiel es der Gesellschaft leicht, ab Februar in den Antiinfektionsmodus umzuschalten. Überall stehen seitdem Desinfektionsmittel für die Hände. Das Tragen von Masken wurde zur Bürgerpflicht.
Masken sehr stark verbreitet, aber jetzt rationiert
Bisher verbrauchte Japan 5,5 Milliarden Mundschutzmasken im Jahr, 43 Stück je Einwohner. Die Quote sprang in der Corona-Krise so hoch, dass Geschäften die Masken ausgingen. Sie wurden rationiert. Für die Zuteilung stehen die Menschen vor Ladenöffnung geduldig Schlange.
„Japaner haben offenbar verstanden, dass eine Sars-CoV-2-Infektion ohne Symptome bleiben kann“, sagt der deutsche Manager Michael Paumen, der lange in Japan lebt. „Daher zieht man die Maske zum Schutz anderer an, um selbst keine Viren zu übertragen.“
Angesichts der Erfolge verzichtete Premier Abe vor einer Woche ausdrücklich auf die Ausrufung des Notstandes. Seitdem kehren die Japaner in kleinen Schritten zum normalen Alltag zurück. Viele Fitnessstudios und die ersten Freizeitparks sind schon geöffnet.
Doch fürchtet die Regierung eine zweite Infektionswelle. Daher sollen zum Beginn des neuen Schuljahres Anfang April vorerst nur Schulen in Gebieten ohne Corona-Kranke öffnen. Größere Veranstaltungen finden weiter nicht statt. Und nach den Südkoreanern dürfen seit Samstag keine Bürger der Schengen-Staaten mehr ins Land. Der Einreisestopp, der auch für Deutsche gilt, ist nach inoffiziellen Angaben vorerst bis Ende April befristet.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“