piwik no script img

Israels Vorstoß gegen NGOs in PalästinaAuf Konfrontation mit Europa

Israel hat sechs bekannte palästinensische Menschenrechts-NGOs als „terroristisch“ eingestuft. Der Schritt hat Auswirkungen bis nach Berlin.

Wird er weiterarbeiten können? Ein Mitarbeiter der Organisation Addameer in Ramallah Foto: Mohamad Torokman/reuters

Berlin/Tel Aviv taz | Es ist eine unerwartete Eskalation in einem seit Jahren schwelenden Konflikt: Israels Verteidigungsminister Benny Gantz hat sechs palästinensische Menschenrechtsorganisationen, die maßgeblich aus Europa unterstützt und finanziert werden, zu „Terrororganisationen“ erklärt. Die Organisationen agierten als Arm der Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP), welche in der EU, den USA und in Israel auf der Terrorliste steht.

Laut Gantz haben die Organisationen „große Geldsummen von europäischen Ländern und internationalen Organisationen erhalten und dabei Betrugs- und Täuschungsmethoden angewandt“. Das Geld sei zur Förderung und Finanzierung der PFLP, deren „Hauptbeschäftigung die Befreiung Palästinas und die Zerstörung Israels“ sei, eingesetzt worden, so das Verteidigungsministerium.

Alle sechs Organisationen betreiben Menschenrechtsarbeit: Die prominenteste, Al-Haq, dokumentiert Verstöße gegen Menschenrechte in den palästinensischen Gebieten. Eine weitere, Addameer, bietet politischen Gefangenen Rechtsbeistand. Die palästinensische Sektion von Defense for Children International (DCI-P) wiederum setzt sich für den Schutz von Kinderrechten ein.

Zudem stehen nun auch die Frauenrechtsorganisation Union of Palestinian Women Committees Society (UPWC), das Bisan Center for Research and Development sowie die Union of Agricultural Work Committees (UAWC), die sich für palästinensische Land­wir­t*in­nen einsetzt, auf Israels Terrorliste.

Die Vorwürfe stehen schon lange im Raum, Gantz’ Schritt kam aber offensichtlich auch für Teile der israelischen Regierung unerwartet. Auf einer Koalitionssitzung am Sonntag forderten die Vorsitzenden der linken Partei Meretz und der Arbeitspartei Ministerpräsident Naftali Bennett auf, Gantz’ Vorstoß auszubremsen. Gantz hielten sie an, die konkreten Beweise zu präsentieren, die zu seiner Entscheidung geführt haben. Noch ist die Anordnung nicht in Kraft. Die betroffenen Organisationen können noch Berufung einlegen.

Geld aus Europa

Auf einer gemeinsamen Pressekonferenz der betroffenen Organisationen am Samstag in Ramallah kündigten diese an, sich von der Ankündigung nicht abschrecken zu lassen. Das palästinensische Außenministerium verurteilte die Entscheidung als strategischen Angriff auf die palästinensische Zivilgesellschaft und das Grundrecht des palästinensischen Volkes, sich der israelischen Besatzung zu widersetzen und anhaltende Verbrechen aufzudecken.

Doch der israelische Vorstoß dürfte Auswirkungen weit über Israel und Palästina hinaus haben. Länder wie Norwegen, Schweden oder Belgien und ganz vorn auch die Bundesregierung unterstützen die palästinensische Zivilgesellschaft, meist über Drittorganisationen. So arbeiten Dutzende europäische Stiftungen und andere Nichtregierungsorganisationen auch mit den nun zu „Terrororganisationen“ erklärten Partnern in Palästina zusammen.

Die grünennahe Heinrich-Böll-Stiftung etwa kooperiert sowohl mit Al-Haq als auch mit Addameer. Die Hilfsorganisation Medico International zählt unter ihren Partnern ebenfalls Al-Haq sowie UAWC auf. Der Weltfriedensdienst arbeitet neben Al-Haq zudem mit DCI-P zusammen und hat sogar eine „Friedensfachkraft“ entsandt, die DCI-P unterstützt. Auch die Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ), ein Bundesunternehmen, unterstützt UAWC.

Stellungnahmen von den europäischen Geldgebern zu den schwerwiegenden Vorwürfen aus Jerusalem blieben bis Montagnachmittag allerdings die Ausnahme. Das für die deutsch-palästinensische Entwicklungszusammenarbeit zuständige Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) äußerte sich auf taz-Anfrage bis Redaktionsschluss nicht.

Am deutlichsten wurde die schwedische Regierung: Man sei nicht vorab informiert worden und müsse die Vorwürfe gegen Partnerorganisationen der schwedischen Regierung erst prüfen, twitterte Entwicklungsminister Per Olsson Fridh. Allerdings hätten sich in der Vergangenheit Vorwürfe des Missbrauchs schwedischer Hilfsgelder an palästinensische Organisationen nicht bestätigt. Der Minister schob hinterher, dass man besorgt sei über den „rapide schrumpfenden Raum für Organisationen der palästinensischen Zivilgesellschaft.“

Scharfe Kritik von Medico International

Der in Berlin ansässige Weltfriedensdienst teilte auf taz-Anfrage mit: „Der unbelegte Terrorismusvorwurf ändert nichts an unserer Zusammenarbeit mit Al-Haq und unseren anderen Partnerorganisationen in Palästina und Israel.“ Gemäß demokratischen und rechtsstaatlichen Prinzipien müssten Terrorismusvorwürfe zivilgerichtlich bewiesen werden. „Dies ist bisher nicht geschehen.“

Scharfe Kritik an Gantz' Schritt übte die Hilfsorganisation Medico International aus Frankfurt am Main: „Diese Entscheidung folgt der seit Jahrzehnten praktizierten Besatzungslogik, diejenigen politisch oder zivilgesellschaftlich organisierten Teile der palästinensischen Gesellschaft, die sich nicht kooptieren lassen und Siedlungspolitik sowie Menschenrechtsverletzungen die Stirn bieten, zu kriminalisieren.“ Da die Vorwürfe „nie bewiesen“ worden seien, schaffe Israel „eine Form der Beweisumkehr“: Nicht die Vorwürfe, sondern die Unschuld der Betroffenen müssten nun bewiesen werden.

Offen ist zum jetzigen Zeitpunkt noch, ob auf die Designation als Terrororganisation weitere Schritte folgen. So könnten die Büroräume der betroffenen Organisationen etwa in Ramallah geschlossen und Arbeitsmaterialien beschlagnahmt werden. Auch müssten konsequenterweise Verhaftungen von Mitarbeitenden folgen, zu denen vereinzelt auch internationale Mitarbeitende zählen.

Sollte es dazu kommen und sollten die europäischen Geldgeber dennoch an ihrer Unterstützung der betroffenen Organisationen festhalten, dürften massive logistische Probleme auf sie zukommen. Denn eine finanzielle Unterstützung der palästinensischen Zivilgesellschaft gegen den Willen Jerusalems ist kaum möglich. Ohne den Umweg über das israelische Bankensystem gelangt kein Euro in die besetzten Gebiete.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

20 Kommentare

 / 
  • Was NGO's in Middle East angeht hat Sandra Kreisler hier alles gesagt:



    www.mena-watch.com...n-oder-doch-nicht/

    • @Günter:

      Ich bin mir nicht sicher, wieso alles gesagt sein sollte, wenn eine Person ohne irgendeine ausgewiesene Expertise auf einer vorsichtig formuliert rechts stehenden Homepage gegen eine angesehene Friedensorganisation wie B'Tselem pöbelt.



      Im übrigen halte ich es grundsätzlich nicht für ergiebig, wenn man einfach so lange googelt, bis man einen Beitrag findet, der die eigenen Vorurteile und Feindbilder bestätigt. Natürlich: im Internet gibt es für jede noch so absurde Einschätzung einen Advokaten - aber was heißt das schon?

      • @O.F.:

        Haben Sie sich einmal Gedanken darüber gemacht, warum der Antisemitismus früher eine Domäne rechter deutscher Nazis war und warum heute die größte Unterstützung der NGO's die gegen Israel agitieren ausgerechnet aus Deutschland kommen?



        Man kann das gut verstehen, wenn Man Daniel Goldhagen liest.



        Zitat aus Seite 67f:



        „Aufgrund des Beharrungsvermögens einer Gesellschaft werden die Axiome und grundlegenden kognitiven Modelle in der Regel reproduziert. Und weil nichts darauf hindeutet, dass die auf die Juden bezogenen kognitiven Modelle in Deutschland geändert hätten, liegt die Annahme nahe, dass diese Modelle und die von ihnen abgeleiteten Überzeugungen ebenfalls reproduziert wurden und daher weiter wirksam sind.“



        Lesen wir weiter auf Seite 83, Zitat:



        „Der Kreis der Institutionen und Gruppen, die dem Antisemitismus anhingen und diesen auch verbreiteten, umschloß im neunzehnten Jahrhundert nahezu jeden Bereich der Gesellschaft.“



        Das schreibt Daniel Goldhagen über die damalige Zeit.



        In Europa wurden große jüdische Communuitys durch die Nazis ausgelöscht. Das Beharrungsvermögen unserer christlich deutschen Gesellschaft, das auf die Juden bezogene kognitive Modell, von dem Goldhagen spricht, führt m.E. dazu, dass nach dem in Europa große jüdische Communitys ausgelöscht wurden, die Verfolgung der Überlebenden über die halbe Welt nach Middle East einsetzte. Die Akteure dieser Verfolgung, auch deutsche NGO's, beziehen den Großteil ihrer materiellen Unterstützung aus Deutschland.



        Lange Rede kurzer Sinn. Was geht es ausgerechnet uns Deutsche an, wie die den Holocaust überlebenden Juden und Ihre Nachkommen in Middle East, den schmalen Grad ihres Überlebens, neben den berechtigten Interessen aller anderen Bevölkerungsteile in der Region zu meistern suchen?

  • Noch ist die Anordnung nicht in Kraft. Die betroffenen Organisationen können noch Berufung einlegen. Also ganz ruhig abwarten

    • @Max Sterckxc:

      Recht oft haben Entscheidungen der Regierung keinen Bestand vor dem obersten Gericht gehabt. Kann wohl hier anders kommen als es sich Gantz vorstellt.

  • Schau mal einer an.

    Da tut sich etwas innenpolitisch in Israel und sofort ist es eine Konfrontation mit Europa.

    Warum nicht mit der ganzen Welt?

    Other Voices:

    www.audiatur-onlin...ngen-zu-verbieten/

    • @Jim Hawkins:

      Ich will mal Bezug auf den von Ihnen verlinkten Artikel nehmen.

      (1) Während in dem Artikel aus der Taz der Hinweis vorhanden ist, dass die PFLP nur von den USA, der EU und Israel als Terrororganisation eingestuft wird - d.h. 29 Staaten ggü. 166 Staaten - sucht man vergebens in dem von Ihnen verlinkten Artikel danach. Stattdessen wird die PFLP als Terrororganisation bezeichnet, so als wäre das etwas, das allgemeine Gültigkeit besitzen würde.

      (2) "Laut dem Tages-Anzeiger Journalist ist Al-Haq eine NGO, die Menschenrechtsverletzungen nachgeht und damit «ein Stachel im Fleisch der israelischen Besatzung», ein Ausdruck den übrigens die Gesellschaft Schweiz-Palästina im Jahre 2018 in einer Besuchsankündigung von Al-Haq Chef Jabarin schrieb. Shawan Jabarin sass wegen seiner Aktivitäten für die terroristische PFLP zweimal in israelischen Gefängnissen und trägt mit seinem Engagement für Al-Haq seit vielen Jahren wesentlich zur Dämonisierung und Delegitimierung des jüdischen Staates bei".

      Eine sehr Interessante Aussage des Autors! Das Dokumentieren von Menschenrechtsverletzungen von Israel ggü. den Palästinensern trägt also "wesentlich zur Dämonisierung und Delegitimierung des jüdischen Staates bei" und nicht die von Israel selbst begangen Menschenrechtsverletzungen. Es darf an dem Gerechtigkeitsempfinden des Autors gezweifelt werden.

      (3) "Warum aber sollte Israel Herrn Widmer oder dem Tages-Anzeiger oder jemand anderem mitteilen müssen, wenn es im eigenen Land gegen Gruppen vorgeht, von denen es glaubt, dass sie den Terrorismus gegen israelische Bürger unterstützen?"

      Eine mögliche Antwort könnte lauten, dass Israel bereits mehrfach Staatsgebiet der Palästiner annektiert hat und tendenzen zeigt, weiteres Gebiet annektieren zu wollen. Kritische NGO´s sind einem solchen Vorhaben nicht gerade dienlich und Terrorismusvorwürfe zur Ausschaltung von NGO´s wären nichts neues und meiner Meinung nach der israelischen Regierung zuzutrauen.

      Beste Grüße

      • @EIN_FREUND_VON SACHLICHEN_DISKUSSIONEN:

        Da habe ich einen Trost für Sie. In den palästinensischen Gebieten sind über 1000 regierungskritische NGO tätig.

        Hier findet man die größte NGO-Dichte der Welt.

        How Come?

        Fragen Sie Achille Mbembe. Der sagt, der israelisch-palästinensische Konflikt sei der "größte moralische Skandal des 21. Jahrhunderts“.

        Ob da 1000 NGO ausreichen?

        Die Medien berichten übrigens unisono von diesem aktuellen Skandal. Auch das ist natürlich nichts Neues.

        Aus der Reihe tanzen tun nur wenige und die selten:

        www.deutschlandfun...:article_id=317342

        Und dann hätte ich noch das hier im Angebot:

        www.mena-watch.com...ngos-verboten-hat/

      • @EIN_FREUND_VON SACHLICHEN_DISKUSSIONEN:

        Besten Dank fuer diese sachliche Analyse.

    • @Jim Hawkins:

      Vielen Dank für den Link!

  • 8G
    82286 (Profil gelöscht)

    Bennet.



    Auch wenn es hier um Gantz geht.



    Den Bock zum Gärtner bestellen ...



    Wie naiv darf man als Wahlgewinner sein ?



    Lupenreine Demokraten sind's allemal, sagt uns der politische Anstandssprech ...

  • Israel hat immer recht. Punkt. Besatzungslogik.

    • @Phineas:

      Ich dachte Israel hat immer Schuld. BDS Logik. 17.05.2019.

      • @BluesBrothers:

        @phineas spricht das Grundsaetzliche Problem an, die Besatzung.



        Keine Besatzung kein BDS usw.....

        • @redpalestino:

          Abschaffung von Israel ist das Ziel von BDS.

          Kein Antisemitismus keine Besatzung usw

          • @h3h3y0:

            Diese Zieldefinition kann ich auf der Website von BDS nirgends finden. Wo steht das explizit?

  • Einige der genannten Menschenrechtsorganisationen sammeln Beweise wegen Kriegsverbrechen, auch gegen Benny Gantz. Das versucht er jetzt zu blockieren.

    • @Martha:

      Darf ich Sie mal etwas fragen?



      Was treibt Sie an, die überlebenden Juden und ihre nachkommen nach dem Holocaust über die halbe Welt zu verfolgen?

      Nachdem die Nazis 6 Mio Juden in Europa ermordet hatten, schauen Sie sich doch einmal um, bei sich zu Hause, besonders, wenn Sie irgendwo auf dem Land in Deutschland wohnen. Sagen wir ein Umkreis von 6 Km. Sie werden sicher irgendwo in diesem Umkreis einen alten jüdischen Friedhof finden. Die letzte Beerdigung fand dort vor 1938 statt. Danach wurden alle ermordet, bis die Alliierten dem Grauen ein Ende gesetzt hatten. Sicher finden sie heute einen Ort, wo mal eine Synagoge stand. Nun steht da ein Schild, vielleicht eine Gedenktafel -Synagogenplatz-. Vielleicht finden Sie sogar noch ein intaktes Gebäude, das früher eine Synagoge war; zu dicht bebaut, die anderen Häuser hätten Feuer fangen können. Wenn Sie Glück haben, hat sich eine Stiftung gebildet, die dort, ein würdiges Gedenken pflegt.



      Nur wenige konnten fliehen, weit weg, nach Middle East.



      Was treibt Sie an, diese Menschen nun über die halbe Welt zu verfolgen, was macht Sie so sicher, daran festzuhalten, dass die Juden sich ändern müssen, damit man mit Ihnen zusammenleben kann? Und was ist der Antrieb all der christlichen Künstler, Schriftsteller und NGO's ihr christliche Verständnis über die jüdische Community nun den Muslimen in Middle East beibringen zu wollen?

  • Apartheid? Oder kommt gleich wieder die Keule?

    Solche rassistische und koloniale Aktionen der Israelischen Regierung geben den Idioten und eigentlichen Antisemiten auf der Welt genau die Bestätigung die sie hören wollen, was eine viel höhere Gefahr ist

    • @Papalucas:

      Was ist ein uneigentlicher Antisemit?