Israels Militär tötet Hamas-Chef Sinwar: Ein möglicher Wendepunkt
Israelische Soldaten töten den Hamas-Chef Jahia Sinwar in Gaza. In dem Krieg in Nahost könnte das vieles verändern.
Online verbreitete sich am Donnerstag ein Foto, das mutmaßlich dessen Leiche zeigt. Zu sehen ist darauf ein halb unter Trümmern begrabener Mann mit dessen markanten Gesichtszügen, weißen Haaren und einer klaffenden Kopfverletzung an der Stirn. Vor ihm liegt eine Handgranate. Er trägt eine Kampfweste, eine Armbanduhr und einen Palästinenserschal, auch Kufiya genannt.
Laut der Mitteilung der Armee seien mit Sinwar zwei andere Terroristen getötet worden. Israelische Geiseln wurden demnach in der Nähe nicht gefunden. Lange war davon ausgegangen worden, dass der Hamas-Anführer sich zu seinem Schutz in einem weitläufigen Tunnelnetzwerk unter dem Gazastreifen und in der Nähe von einigen der noch immer rund 100 dort gefangenen israelischen Geiseln aufhalten würde. Laut Geheimdienstberichten verzichtete er vollkommen auf elektronische Kommunikation und setzte stattdessen auf Kuriere für Nachrichten nach außen.
Zufällige Tötung
Der israelische Sender Kan berichtete, Sinwar sei nicht gezielt oder aufgrund von Geheimdienstinformationen, sondern „zufällig“ bei einem Armeeeinsatz in einem Haus in Rafah getötet worden. Bei den Leichen wurden demnach Bargeld und gefälschte Ausweise gefunden.
Für Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu, der seit Kriegsbeginn vor mehr als einem Jahr auf einer Taktik der militärischen Stärke beharrt und den „absoluten Sieg“ über die Hamas als Kriegsziel festgeschrieben hat, ist die Nachricht ein großer Erfolg. In den vergangenen Monaten hatten die israelische Armee und der Auslandsgeheimdienst Mossad zahlreiche Anführer der Hamas und der proiranischen Hisbollah getötet. Sinwar selbst war erst im Juli an die Spitze der Terrororganisation aufgestiegen, nachdem sein Vorgänger Ismail Hanije in Teheran ermordet worden war.
Sinwars Tod könnte Bewegung in die festgefahrenen Verhandlungen um ein Ende der Kämpfe und eine Freilassung der noch gefangenen Geiseln bringen. Die Angehörigen der Entführten forderten noch am Abend, dessen Tod zu nutzen, um zu einem sofortigen Abkommen mit der Hamas zu kommen. „Jetzt bleibt nur noch eines zu tun: Die 101 (Geiseln) zurückzubringen, und zwar sofort“, schrieb der Oppositionspolitiker Jair Golan bei X. Verteidigungsminister Joav Gallant rief die Hamas-Kämpfer zur Kapitulation und zur Freilassung der Geiseln auf. Ministerpräsident Netanjahu wollte sich am Abend äußern.
Es wird weithin angenommen, dass Sinwar die vergangenen Jahre maßgeblich die Strategie der Hamas geprägt hat. 2017 stieg er zu deren Anführer im Gazastreifen auf. Er galt seit mehreren, insgesamt 23 Jahre währenden Gefängnissaufenthalten als Kenner der israelischen Gesellschaft und sprach fließend Hebräisch. 2011 kam er im Rahmen eines Gefangenenaustausches frei. Unter seiner Führung hatte die Hamas vor ihrem überraschenden Überfall, bei dem rund 1200 Israelis getötet und 251 nach Gaza verschleppt wurden, jahrelang vorgegeben, den bewaffneten Kampf gegen Israel zurückzuschrauben.
„Der Schlächter von Chan Junis“
Sinwar wurde 1962 im Gazastreifen in Chan Junis geboren. Seine Familie kam ursprünglich aus der Region um die heutige israelische Küstenstadt Aschkelon. Zur Hamas stieß er bereits in jungen Jahren und erhielt dort wegen seines gnadenlosen Vorgehens gegen mit Israel kollaborierende Palästinenser den Beinamen „Schlächter von Chan Junis“. Er hatte mehrere israelische Attentate überlebt.
Im vergangenen Jahr soll er laut Geheimdienstberichten angesichts der unerbittlichen Angriffe der israelischen Armee auf den Gazastreifen und der nach palästinensischen Angaben mehr als 42.000 Toten davon ausgegangen sein, dass er sterben würde. Der 62-Jährige, der sein Leben lang kompromisslos für die Vernichtung Israels und einen palästinensischen Staat gekämpft hatte, soll aber gehofft haben, zuvor noch einen regionalen Krieg zwischen Israel sowie dem Iran und seinen Verbündeten in der Region anzufachen. Derzeit stehen Jerusalem und Teheran so kurz vor einem offenen Krieg wie nie zuvor.
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