Israel demoliert beduinisches Dorf: Das Ende von Umm al-Hiran
Nach über zwanzig Jahren Rechtsstreit wird eine Moschee abgerissen – Es war das letzte noch stehende Gebäude in dem von Israel nicht anerkannten Ort.
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Umm al-Hiran ist eines von 37 vom Staat Israel nicht anerkannten, beduinischen Dörfer in der Wüste Negev – arabisch Naqab genannt. Sie sind nicht an öffentliche Versorgungsnetze angeschlossen, die Straßen oft schlecht. Etwa 150.000 Menschen leben in diesen Dörfern, knapp ein Drittel der beduinischen Gemeinschaft in Israel. Die nicht anerkannten beduinischen Dörfer sollen verschwinden – so will es etwa der rechtsextreme Minister für Nationale Sicherheit Itamar Ben Gvir – und damit auch das Zuhause seiner Noch-Bewohnerinnen und Bewohner.
Die Beduininnen und Beduinen haben überwiegend die israelische Staatsbürgerschaft und sind Teil der arabisch-sprachigen Minderheit des Landes. Sie sind aber oft ärmer und weniger formell ausgebildet als etwa die arabische Bevölkerung von Städten wie Haifa oder Nazareth. Viele verdienen ihr Geld als Bauarbeiter oder in der Landwirtschaft, als Arbeiter in den Kibbutzim oder mit ihren Ziegen- und Schafherden.
Jahrhundertelang, so erzählt die beduinische Gemeinschaft es selbst, zogen sie mit ihren Herden vom heute ägyptischen Sinai durch die heute israelische Hegev bis in die Hijaz, eine gebirgige Wüstenlandschaft im heutigen Saudi-Arabien. Schon im Osmanischen Reich wurden sie jedoch immer sesshafter – oder dazu gezwungen. Nach der Staatsgründung Israels und dem darauffolgenden Krieg 1948 wurden viele aus ihren ursprünglichen Siedlungsgebieten vertrieben, und in den 1950er Jahren wieder auf israelischem Gebiet angesiedelt. So beginnt auch die rechtliche Krux um Umm al-Hiran.
Sie sollten in Planstädte in der Wüste ziehen
Bewohnt wurde das Dorf Umm al-Hiran von Mitgliedern des Abu Al-Ki'an Stammes. Auch ihre Geschichte in der Region, betonen sie, reicht lange zurück, auch sie verloren ihr früheres Siedlungsgebiet 1948. Laut der israelischen Menschenrechtsorganisation Adalah wurden die Angehörigen des Stammes 1956 vom damaligen Militärverwalter der Negev aufgefordert, in das Gebiet um das heutige Umm al-Hiran zu ziehen.
Der aktuelle Konflikt um Umm al-Hiran begann 2002, berichtet das +972 Magazine. Damals hätten die Bewohner zum ersten Mal einen Räumungsbescheid bekommen. Suhad Bishara, Anwältin bei Adalah, erzählt dem Medium: „Der Staat sagt: Wir haben ihnen die Erlaubnis gegeben, auf dem Land zu leben, und können diese Erlaubnis auch wieder entziehen“. Doch wo sollen die Vertriebenen dann leben?
Im Jahr 2011 wurde der sogenannte Prawer-Plan vorgeschlagen. Er sollte unter anderem den Status der Beduinen in der Negev regeln, und auch „eine Art Schlüssel für Wiedergutmachung an den Beduinen, die den Anspruch auf Grundbesitz stellen“ sein, so berichtet die taz damals. So solle die Gemeinschaft besser in die israelische Gesellschaft integriert werden, begründete man damals. Menschenrechtsgruppen nannten den Plan diskriminierend. Rund 30.000 Menschen sollten von ihren Dörfern in Planstädte umgesiedelt werden, so die israelische Zeitung Haaretz. 2013 wurde der Plan von der Knesset erst bewilligt, dann wieder zurückgezogen.
Was dieser zurückgezogene Plan etablieren sollte, wird letztendlich trotzdem Realität: Vier Dörfer wurden vor Umm al-Hiran im Jahr 2024 bereits demoliert. Nach Angaben des Negev Coexistence Forum for Civil Equality wurden in der ersten Jahreshälfte diesen Jahres 51 Prozent mehr Gebäude zerstört als in den ersten sechs Monaten des Jahres 2022. Damals war die rechtsreligiöse Koalition des Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu noch nicht im Amt.
Platz machen für eine explizit orthodox-jüdische Ortschaft
Der Anfang vom Ende von Umm al-Hiran begann vor knapp zehn Jahren: Der Oberste Gerichtshof Israels wies im Jahr 2015 eine Petition eines Bewohners gegen seine Räumung ab. Das Land sei in Staatsbesitz, die Gemeinschaft habe kein Anrecht darauf, so die Begründung. Der damalige Richter Elyakim Rubinstein schrieb in seiner Begründung weiter: Es handele sich „nicht um eine Vertreibung und nicht um eine Enteignung“, denn die Bewohner sollten ja umgesiedelt werden, etwa in die Stadt Hura.
Hura liegt nur wenige Kilometer entfernt. Sie ist eine von sieben Ortschaften in der Negev, die von Beduinen besiedelt sind und extra für diese vom Staat geplant und gebaut wurden. Die hohen Minarette der lokalen Moscheen sind von Weitem zu sehen. Doch viele Beduinen weigern sich, in diese Retortenstädte zu ziehen. Laut der Times of Israel gilt das auch für die meisten der nun vertriebenen Bewohnerinnen und Bewohner Umm al-Hirans.
Als im Januar 2017 schon einmal die Bulldozer nach Umm al-Hiran kamen, starb dabei der Beduine Jacoub Abu al-Ki'an. Haaretz berichtete damals: Abu Al-Ki'an habe die Zerstörung nicht mit ansehen wollen, sei in sein Auto gestiegen und weggefahren. Die Polizei schoss schließlich auf das Auto, Abu Al-Ki'an verlor die Kontrolle über das Fahrzeug, das dann in eine Gruppe Polizisten krachte, einer von ihnen starb. Abu al-Ki'an verblutete in seinem Auto.
Die Polizei behauptete im Anschluss, der Beduine habe die Polizisten rammen wollen, und sprach von einer „Terrorattacke“, schließlich sogar von einer Nähe des Toten zum Islamischen Staat. Israelische Politiker, darunter auch Benjamin Netanjahu, übernahmen die Vorwürfe. Weitere Untersuchungen machten den Vorwurf schließlich unhaltbar, im Jahr 2020 entschuldigte sich Netanjahu bei der Familie des Mannes.
Minister Itamar Ben Gvir freut sich
Nicht nur der Verlust ihrer Heimat, sondern auch, wodurch ihr Dorf ersetzt werden soll, erzürnt die Bewohnerinnen und Bewohner von Umm al-Hiram. Nach Besiedelungsplänen aus den 1990er Jahren soll auf derselben Stelle eine Stadt gebaut werden. Wie Adalah mit Bezug auf ein der Organisation vorliegendes Planungsdokument berichtet: speziell für orthodox-jüdische Israelis.
Gleich nach der Zerstörung der Moschee an diesem Donnerstag äußert sich der rechtsradikale Minister Ben Gvir äußerst erfreut: Der Abriss sei der einzige Weg, „die Souveränität in der Negev“ wiederherzustellen. Nach Angaben der Times of Israel hatten vorherige Regierungen immer wieder versucht, mit der beduinischen Gemeinschaft doch noch eine friedliche Lösung zu finden. Das sei nun abgeschrieben.
Das nächste beduinische Dorf, das demoliert und dessen Einwohner vertrieben werden, werde wohl Ras Jrabah sein, so die Times of Israel. 400 Menschen leben dort. Bis zum 31. Dezember haben sie Zeit, ihr Zuhause zu räumen.
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