piwik no script img

Israel-Kritik auf der BerlinaleAktionen ohne Ambivalenzen

Kommentar von Jonathan Guggenberger

Die Protestrede eines Regisseurs auf der Berlinale zeigt: Manchen Kulturschaffenden fehlt der Sinn für die wichtigen Nuancen des Nahost-Konflikts.

Propalästinensische Geste während eines Fotocalls bei der Berlinale Foto: Nadja Wohlleben/reuters

D ie Berlinale wurde von propalästinensischen Aktivisten gekapert. Überraschend ist das nicht. Nachdem nun wirklich jedes Kulturspektakel der Hauptstadt als Trittbrett für Anti-Israel-Proteste herhalten muss, sollten sich die Debattierenden fragen: Was gibt es überhaupt noch zu diskutieren?

Denn wer diskutieren will, muss Ambivalenzen aushalten. Ambivalenzen sind Dokumentarfilme wie „No Other Land“. Dem werden Diskussionsveranstaltungen beiseite gestellt und es werden Preise verliehen. Kurzum: Er wird ausgehalten. Ambivalent ist auch, über Gaza zu sprechen, ohne von den Geiseln zu schweigen. Wer es dann noch für nötig hält, bei einer poshen Preisverleihung trotzig Kufija zu tragen und unter Beifall die immergleichen Phrasen zu dreschen, dem geht es nicht um Filmkunst, nicht mal die eigene, sondern um hohle Schlagzeilen und den Thrill, beim scheinbar politischsten aller Festivals einmal der Politischste zu sein.

Wer Israels Offensive fälschlicherweise als Genozid bezeichnet, wer sich Kulturveranstaltungen wünscht, die nach starrer Agenda laufen, der hält keine Ambivalenzen aus – dem sind Diskussionen egal. Beides gehört aber zu einem modernen Kulturverständnis dazu. Wer das nicht teilt, sollte auch kein Podium bekommen.

Politische Amtsträger müssen nicht diskutieren, wie es die Kunst und Kultur muss. Sie müssen Entscheidungen treffen. Verantwortung an zukünftige Berlinale-Leitungen oder andere politische Ebenen abzugeben, ist ein Eiertanz: Der skandalöse Überschuss wird sich schon im bürokratischen Labyrinth verlaufen, schließlich fordert man inbrünstig: „Aufarbeitung“. Wie viel die bringt, zeigt nicht zuletzt das Beispiel documenta – und die immergleiche Diskussion.

Wenn jetzt die einzig ableitbare Forderung ist, Israel-Hassern imperativ zu verordnen, noch mal an die Geiseln und die Hamas zu erinnern, zeigt das, wo wir in der Debatte stehen: am Ende. Für einen Ausweg aus der Sackgasse bräuchte es politische Entschlossenheit und eine Kultur, die weiß, was Ambivalenzen sind – und was nicht.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

17 Kommentare

 / 
  • Danke, Herr Guggenberger, Balsam für meine Seele.



    Sie verweisen zurecht darauf, dass Ambivalenzen - laut Wikipedia: Dichotomie von Sichtweisen - im Kulturbetrieb, wie er sich bei den letzten Großevents darstellt, schlicht nicht mehr existent sind. Alle sind nur einer Meinung und bestätigen sich gegenseitig. Sooo spannend.

  • Ich bin froh über diese Positionierung in der taz.



    Der Erste Artikel zum Thema beschrieb ja die Gegenseite und in der kommune wir deutlich, dass derartige Positionen auch unter TazleserInnen vorkommen.



    Es ist gut, dass PolitikerInnen und Politiker sich klar gegen diese israelfeindlichen Äußerungen gewandt haben.



    Krieg bringt nur Leid, Not und Tod.



    Das sollte aber nicht schlecht getarnten Antisemitismus transportieren.



    Ich hoffe, für alle Beteiligten, dass die laufenden Verhandlungen zum Erfolg führen und Friedensbemühung die kommende Zielsetzung ist.

  • In diesem Land herrscht doch noch Meinungsfreiheit oder?

    • @A.S.:

      Antisemitismus ist keine Meinung sondern ein Verbrechen.

  • Man sollte sich endlich von der Idee verabschieden, dass Künstler einfach deswegen, weil sie Künstler sind, profundere Aussagen zu politischen Fragen machen können als irgendwelche anderen Laien.

  • Es ist schon sehr schade, dass niemand die Chuzpe hatte da mal aufzustehen und lautstark zu bemerken, dass alles was auf der Bühne gesagt wurde (Genozid, Apartheidsstaat) Lügen und purer Antisemitismus sind (from the......)



    Auf die Krokodilstränen danach kann man getrost verzichten.

  • Danke für den Kommentar.

    Das einfachste wäre es, dieser Art von unangenehmer Kultur den Geldhahn abzudrehen.

    Dann man könnte man sicher schnell beobachten, wie der dumpfe antiisraelische Konsens, der Hamas-Radical-Chic an seine Grenzen stoßen würde.

    Wenn es um die Pfründe geht, sind diese Leute flexibel.

    Ob das mit Frau Roth zu machen ist, das wage ich allerdings zu bezweifeln.

  • Was passiert eigentlich, falls ICJ in ein paar Jahren dann doch entscheidet das die Vorgänge in Gaza den Tatbestand des Genozids erfüllen? Gehen dann die Leute, die heute sagen „das ist bestimmt kein Genozid“ wegen Unterstützung desselben ins Gefängnis oder heisst es dann wieder „was damals Recht war, kann heute kein Unrecht sein“?

    • @Jerry Lowndes:

      Wer von der Militäraktion der IDF als Reaktion auf den mörderischen Terrorüberfall der HAMAS als "Genozid" spricht, hat eines nicht verstanden: wäre Israel tatsächlich an einem Genozid gelegen, wäre diese Militäraktion nach längstens einem Monat beendet gewesen und von Gaza würde nie wieder eine Gefahr für Israel ausgehen.



      Und wer davon schwafelt, es handele sich um einen Genozid, sollte ersteinmal die Frage beantworten, wieviele der angeblich getöteten Palästinenser wirklich Zivilisten waren und wieviele HAMASterroristen - die HAMAS gibt hierzu nämlich keine bereinigten Zahlen heraus.

    • @Jerry Lowndes:

      Was passiert eigentlich, wenn die Weltgemeinschaft endlich mal ernsthaft etwas gegen den palästinensischen Terror unternimmt? Gehen due Verantwortlichen bei der UNO und ihre politischen und kulturellen Unterstützer dann freiwillig ins Gefängnis?

      • @vieldenker:

        Einfach nur (eher ungeschickt) einfach entgegengesetzt zu framen, ist doch keine Antwort. Die Klage zu Genozid ist anhängig. Pauschal zu bestreiten, dass es einer sein könnte, ist wenig durchdacht. Dann wäre die Klage vermutlich nicht angenommen worden. Die UNO unterstützt auch nicht substantiell die Hamas. Sie unterstützt Palästinenser, aber für Sie ist das wohl dasselbe. Aber nehmen wir an, die UNO würde keinerlei Hilfe mehr leisten, Israel kann kritiklos „durchgreifen“. Was soll mit den Palästinensern werden, soweit sie nicht als Kollateralschaden der Terrorismusbekämpfung enden? Wo sollen sie hin?

  • Endlich bringt jemand, hier Jonathan Guggenberger, die falsche Forderung nach einem Hinweis auf die Terroranschläge klar auf den Punkt. Guggenberger konstatiert zielsicher, dass falsche Genozidvorwürfe nicht richtig werden können. Nicht mal, wenn über den unmenschlichen und grauenhaften Terror der Hamas gesprochen worden wäre. Israel Genozid vorzuwerfen ist sachlich falsch und lässt sich nur mit Israelhass und/oder Antisemitismus erklären. Dieser Vorwurf trifft ebenso nicht nur wenige, die sich hier trauen, ihre unsäglichen Terrorrelativierungen und falschen Anschuldigungen in gewohnter Terrorpropagandamanier wiederzukäuen.

  • Bleibt die Frage: wann wird die Offensive enden? Wann ist genug?

    • @Ludowig:

      Tja, die Hamas muss nur die Geiseln freilassen um ihrem Volk zu helfen. Zusätzlich würde Israel dann international mehr unter Druck geraten, die Offensive zu beenden.

      Eigentlich ganz einfach. Oder nicht?

    • @Ludowig:

      Wenn die Hamas aufgibt, die Bewohner des Gazastreifens die Hamas stürzen oder Israel die Hamaspräsenz im Gazastreifen beendet hat.

    • @Ludowig:

      Bis die Hamas, die durch ihre Art der Kriegsführung an allen Toten seit dem 7. Oktober Schuld ist, sich ergeben hat oder besiegt ist.

  • Also. Afd'ler wurden ausgeladen. Kann man ja irgendwie nachvollziehen.



    Aber hardcore israelhasser duerfen sogar noch reden halten?



    How come?