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Irritationen über US-WahlAufklärung oder Angstlust

Während der TV-Debatte zwischen Vance und Walz sympathisiert unser Kolumnist mit dem Republikaner. Hätte er unter anderen Umständen Trump gewählt?

Die Debatte der US-Vizepräsidentschaftskandidaten Tim Walz und JD Vance in einer Bar in Manhattan am 1. Oktober Foto: Caitlin Ochs/reuters

A nfang Oktober sitze ich im National Press Club in Washington DC. Ein sonderbarer Ort, einen Steinwurf vom Weißen Haus entfernt, der aus einer Zeit stammt, in der Journalismus noch elitärer war als heute. Über einem Klavier hängt ein Foto vom ehemaligen Präsidenten Harry Truman, wie er auf diesem Klavier spielt. Auf einem anderen Foto lächeln sich Barack Obama und George Clooney in diesen Räumlichkeiten zu. In den Gängen hängen noch mehr Fotos von wichtigen Besuchern, vor allem weißen Männern, aber auch von Martin Luther King.

Mit anderen deutschen Sti­pen­di­a­t:in­nen bin ich hier eingeladen, um die Debatte der US-Vizepräsidentschaftskandidaten Tim Walz und JD Vance zu verfolgen. Im holzverkleideten und teppichbezogenen Raum sitzen Männer in Anzügen – wenn sie Zigarren rauchen würden, wäre das Bild perfekt, denke ich.

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Doch zumindest in diesem Punkt ist dieser Ort mit der Zeit gegangen: „Rauchen verboten“, antwortet ein Kellner in Uniform leicht empört auf meine Nachfrage nach einer Möglichkeit, sich mit einer Zigarette von der Anspannung zu erleichtern, die mich hier überkommen hat. Ich bestelle mir also ein Bier – und beobachte. So wie ich beobachtet habe, als ich das allererste Mal im Bundestag, in einer Redaktion oder einem Berliner Club stand.

Die Debatte beginnt und ein älterer Kollege weist die jüngeren, aufstrebenden Journalisten im hinteren Teil des Raumes zurecht, weil die ein Football-Spiel schauen und laut herumwitzeln. Wie würdelos!, denke auch ich in einem Reflex der Anpassung, der mich verleitet, alles zu negieren, was nicht zu dieser Situation passt. Oder wovon ich denke, dass es nicht passt. Was für Proleten! Ganz so, als würde ich gerade nicht auch lieber in der Nordkurve meines Lieblingsvereins stehen.

Auf der falschen Seite

Wer die Debatte gewonnen hat, steht da schon fest an diesem Ort – natürlich nicht Vance, auch so ein Prolet. Als dieser Speichellecker Trumps das Wort ergreift, komme ich aber in Schwierigkeiten. Als Allererstes spricht er davon, wo er herkommt, von der Armut, seiner drogenkranken Mutter, einer Welt, die eigentlich nicht in diesen Pressclub und auch nicht in die große Politik gehört. Menschen um mich herum lachen auf, verdrehen Augen, schauen genervt. Als Walz später anfängt, mit Abkürzungen um sich zu werfen (ACA für Affordable Care Act oder Obamacare – eine gute Sache), fallen bei mir Herz und Verstand endgültig auseinander.

Wären die Dinge für mich etwas anders gelaufen, fände ich Donald Trump heute vielleicht auch ganz toll

Ich trinke also mein Bier aus und gehe nach Hause mit dem Gefühl, vielleicht doch auf der falschen Seite zu stehen.Als ich ein paar Tage später in Arizona der Frage nachgehe, warum Latinos Donald Trump wählen, taucht das Gefühl wieder auf.

Das, was die Menschen über ihre Lebensherausforderungen erzählen, kann ich nachvollziehen – welche Schlüsse sie daraus ziehen, erschüttert mich. „Wären die Dinge für mich etwas anders gelaufen, fände ich Donald Trump heute vielleicht auch ganz toll“, ist ein unangenehmer Gedanke, der mich seither beschäftigt.

Warum wählen so viele Menschen so jemanden wie Trump?, lautet die große Frage auch dieser US-Präsidentschaftswahl. Eine Frage, die viele Fragen zur Folge hat.

Ein journalistischer Zugang wäre es, ihnen nachzugehen, ohne etwas zu rechtfertigen. Oder man schreibt eben den hundertsten Artikel über eine Trump-Kundgebung, die sich liest wie eine Freakshow. Die Lust an der Angst verkauft sich gut. Wer braucht schon Aufklärung, wenn es Unterhaltung gibt.

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Volkan Ağar
Redakteur taz2
Kolumnist (Postprolet) und Redakteur im Ressort taz2: Gesellschaft & Medien. Bei der taz seit 2016. Schreibt über Soziales, Randständiges und Abgründiges.
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3 Kommentare

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  • Guter Beitrag und gute Beschreibung des bei eines so Manchem schmalen Grad des Lebenswegs. Es ist nur noch langweilig zu lesen wie sich alle gegen Trump einig sind (und dabei auch ich hoffe) auf die knappe Minderheit der ach so 'minderbemittelten' Trump Wähler herabschauen.



    Interessiert es uns denn nicht, oder ist es uns in unserer moralischen Überlegenheit egal, wenn die USA von Trump oder wir von AfD plus BSW (o.ä.) regiert würden .... aber bei mehr Interesse/Wissen, das hätten verhindern können? Weil wir dann dennoch sagen könnten in der Opposition, solange es die gibt: Dass die uns regieren kann ja gar nicht. Doch, das könnte! Und selbst schuld.



    Im Falle USA werden wir in wenigen Stunden/Tagen wissen ob unsere Selbstgerechtigkeit trägt. Ansonsten gibt's viele Tränen!

  • Lieber Volkan Agar, so geht das aber nicht: Kaum, dass es spannend wird, einfach aufhören.



    "Wären die Dinge für mich etwas anders gelaufen, fände ich Donald Trump heute vielleicht auch ganz toll."



    Wie müssten denn die Dinge gelaufen sein? Und was genau würde Sie deshalb zum Trump-Fan machen?



    Da wird's doch interessant...

  • Vances Verweis auf seine Herkunft und sozioökonomischen Umstände sowie die drogenkranke Mutter sind natürlich politisches Kalkül und eine gewollte Inszenierung und Emotionalisierung. Manche würden sagen: Identitätspolitik. Da verzeihe ich das Augenrollen und genervte Schauen mancher noch (fürs Auflachen muss dann schon den US-Pass haben). Und ja, Känäcks hier und Latinos dort haben vieles gemeinsam, der Balkan wird nicht ohne Grund scherzhaft das Südamerika Europas genannt. Aber genau wie die Latinos dort gibt es auch hier genug Känäcks, die fragwürdige Einstellungen vertreten. Nur setzen die ihr Kreuz nicht bei der AfD. Meistens dürfen die eh gar nicht wählen und...



    Ach Diggah, jetzt hast du mir vor dem Schlafengehen noch Kopfficks gegeben mit deiner Kolumne ey. Ja, ich denke manchmal über das Gleiche nach wie du und das sollten noch viel mehr Menschen tun, anstatt herumzustolzieren und so zu tun, als wäre ihre Weltsicht und Einstellung ihrer ach so tollen Natur entsprungen. Sich selbst hinterfragen inklusive Wohlstandsprivileg wäre mal ein Anfang.