Interviews mit Annalena Baerbock: Nicht zu fragen ist sexistisch
Ist es sexistisch, junge Politikerinnen kritisch nach ihrer Kompetenz zu befragen? Keineswegs. Umgekehrt wird ein Schuh draus.
D ürfen Journalist:innen die grüne Kanzler:innenkandidatin Annalena Baerbock nach ihren Kindern, ihrer Regierungsunerfahrenheit und ihrer Durchsetzungskraft fragen? Oder sollten sie es lassen, weil solche Fragen sexistisch sind? Letzteres suggerieren zahlreiche Kommentare in Medien, sozialen Netzwerken und nach Sendungen wie „Anne Will“.
Die Antwort ist glasklar: Natürlich dürfen Journalist:innen das. Und sie sollten das unbedingt tun. Aufgabe von Medienschaffenden ist es, kritische Fragen zu stellen – unabhängig vom Geschlecht der befragten Person. Warum sollte bei Annalena Baerbock eine Ausnahme gemacht werden? Weil sie sich als erste grüne Frau für dieses hohe Amt bewirbt und so wahnsinnig sympathisch ist?
Mit Verlaub, das ist frauenfeindlich und sexistisch. Es unterstellt, dass mit Frauen vorsichtiger umgegangen werden sollte und – das ist noch fataler – dass sich die Grünen-Chefin, die Kanzlerin werden will, nicht selbst zu wehren weiß.
Doch „Welpenschutz“ ist unangebracht. Ungeachtet der Tatsache, dass Baerbock auf alles eine Antwort haben muss, werden Fragen beispielsweise nach ihrem Geschlecht und ihrer Familie noch die harmlosesten sein, die sie als Kanzlerin oder Vizekanzlerin zu beantworten hat.
Bei Klimagesprächen etwa, bei Verhandlungen mit Lobbygruppen oder mit chinesischen Investor:innen spielt das Geschlecht auch keine entscheidende Rolle. In solchen Verhandlungen zählen Härte, Können, diplomatisches Geschick und Kommunikationsfähigkeit.
Bild von Spitzenpolitiker:innen hat sich längst gewandelt
Wären Vereinbarkeitsfragen auch einem grünen Kanzler:innenkandidaten Robert Habeck gestellt worden? Von manchen Medien ganz sicher, von anderen vermutlich nicht. Das Bild von Spitzenpolitiker:innen hat sich längst vom rein männlichen Verantwortungsträger zu mehr Geschlechtervielfalt gewandelt.
Dass Frauen es können, beweisen sie überall auf der Welt, ob als Regierungs- oder als Konzernchefinnen. Die dabei immer mitschwingende Frage, wie sie ihren zeitraubenden Job mit der Familie vereinbaren, zu unterschlagen, ist indes verlogen und rückwärtsgewandt. Das drängt Frauen in eine Rolle, die sie (und moderne Männer) nicht mehr einnehmen wollen: die der fernen Eltern.
Im Gegensatz zu früheren Spitzenpolitikern, deren Kinder vaterlos groß geworden sind, versuchen Politikerinnen wie Baerbock oder Manuela Schwesig, Ministerpräsidentin im Norden, es anders zu machen. Das geht bei solchen Jobs natürlich nicht ohne emotionale Verluste. Das thematisieren zu können, ohne öffentlich Schaden zu nehmen, gehört zu einer offenen und ehrlichen Genderdebatte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Landesparteitag
Grünen-Spitze will „Vermieterführerschein“
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Die Wahrheit
Herbst des Gerichtsvollziehers