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InternettrendPropaganda, auf die wir alle hereingefallen sind

Pauline Jäckels
Kommentar von Pauline Jäckels

Ein neuer Trend im Internet nennt quasi alles Propaganda. Doch auch zu strikte Definitionen des Begriffs sind falsch – denn: Jedes Land betreibt sie.

Finde den Unterschied: Ein russischer Propaganda-Panzer in Moskau am 9. Mai 2025 … Foto: Maxim Shemetov/rtr

E s gibt diesen Trend im Internet, der eigentlich schon längst wieder vorbei ist – spätestens seit Kanzleramtschef Thorsten Frei (CDU) auf ihn aufsprang. In kurzen Videos mit der Überschrift „propaganda I’m not falling for“ listen Instagram- und Tiktok-Use­r*in­nen vermeintliche „Propaganda-Erzählungen“ auf, auf die sie selbst nicht hereingefallen seien.

Als Propagandatheorie-Nerd hätte ich mich schon fast über den Trend gefreut. Fällt das Wort Propaganda überhaupt mal, dann nämlich meist nur in Verbindung mit Russland, China oder Nazideutschland – Autokraten, die gezielt Desinformationen verbreiten. Diese weitverbreitete Verwendung des Begriffs ist zwar nicht falsch, aus politikwissenschaftlicher Sicht aber einfach extrem verkürzt.

Der Tiktoktrend katapultierte die Begriffsdeutung nur leider ins andere Extrem. Neben Dingen, die tatsächlich als Propagandaerzählungen durchgehen könnten, listen Nut­ze­r*in­nen in den Videos willkürliche Begriffe auf, die das Wort bis zur Unkenntlichkeit verwässern: Katzen, Matcha Latte oder DIY-Lipgloss – also einfach Dinge, die viele Leute hypen, die ihnen aber persönlich nicht gefallen.

… und ein deutscher Panzer in Litauen, 22. Mai 2025 Foto: Mindaugas Kulbis/ap

Klar, es ist ein Internettrend, die Videos sind nur halb ernst gemeint und dienen vor allem der Selbstdarstellung. Der Trend offenbart aber: Obwohl Propaganda so allgegenwärtig ist, wissen weder Instagram-User noch Journalist*innen, die den Trend einzuordnen versuchen, was das Wort genau bedeutet. Der Grund dafür ist ein jahrzehntealter Propagandatrick.

Aus „Propaganda“ wird „Public Relations“

Bis ins 20. Jahrhundert hinein war der Begriff, der vom lateinischen „propagare“ (verbreiten) kommt, neutral besetzt. Noch im Ersten Weltkrieg bezeichneten westliche Staaten ihre Informationsaktivitäten ganz selbstverständlich als Propaganda. Großbritannien etwa gründete 1914 das British War Propaganda Bureau, um die deutsche Kriegspropaganda zu kontern und die USA zum Kriegseintritt zu bewegen.

Mit Joseph Goebbels – Adolf Hitlers „Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda“ – begann das Wort dann mit Manipulation und Lügen assoziiert zu werden.

Der Begriff war also verbrannt. Bedeutete das, dass Staaten auf diese Form der Machtausübung verzichteten? Natürlich nicht. Man hat sich einfach neue, netter klingende Wörter für dieselbe Praxis ausgedacht. Public Relations, Public Diplomacy oder strategische Kommunikation sind alles Euphemismen für das Wort Propaganda. Oder wie der Publizistik-Forscher Michael Kunczik es auf den Punkt bringt: „Unterscheidungen zwischen Werbung, PR und Propaganda“ sind nichts weiter als „semantische Spielereien“.

Das Wort wird fast ausschließlich ­verkürzt propagandistisch benutzt – frei nach dem Motto: Wir betreiben Öffentlichkeitsarbeit, unsere politischen Feinde betreiben Propaganda

In der BBC-Dokumentation „Century of the Self“ (2002) erinnert sich der ehemalige US-Propagandist und Vater der Propagandatheorie, Edward Bernays: „Propaganda wurde zu einem Schimpfwort, weil die Deutschen es benutzten. Also versuchte ich, einen anderen Begriff zu finden, und wir dachten uns den Begriff Public Relations aus.“

Alle betreiben Propaganda

Seither wird das Wort Propaganda fast ausschließlich ver­kürzt propagandistisch als Schimpfwort für die Propaganda der anderen benutzt – frei nach dem Motto: Wir betreiben ­Öffentlich­keitsarbeit, unsere ­politischen Feinde betreiben Propaganda. Eine russische Militärparade ist ganz selbstverständlich eine Propagandaveranstaltung. Wenn Deutschland in Litauen mit Panzern seine militärische Macht zur Schau stellt, würde das natürlich kein ernst zu nehmender Hauptstadtjournalist so ­bezeichnen.

Die ­Hamas betreibt offensive Kriegspropaganda – das stimmt nicht nur, es scheut sich auch keiner, sie so zu ­benennen. Wenn Israel ­Millionen ­Dollar in ­Youtube-Werbeclips steckt, die zur Unterstützung der IDF ­aufrufen, oder mit bezahlten Bots ­versucht, den Internetdiskurs zu beeinflussen, kommt das Wort Propaganda kaum ­jemandem über die Lippen – oder eben nur ­jenen, die gegen die israelische ­Regierung Stimmung machen wollen.

Wer einmal die wissenschaftliche Definition von Propaganda kennt, merkt schnell, dass einfach alle Staaten, alle Parteien, alle Unternehmen und Lobbygruppen Propaganda betreiben. Propaganda ist nämlich nicht mehr und nicht weniger als der Versuch staatlicher und nichtstaatlicher Akteure, durch das strategische Verbreiten von Informa­tionen die öffentliche Meinung in ihrem Sinne zu beeinflussen.

Lügen und Desinformation können Teil einer Propagandastrategie sein – müssen es aber nicht. Wenn Politiker oder Pressesprecher immerzu dieselben Halbwahrheiten aneinanderreihen oder gezielte Framings wählen, um bei den Re­zi­pi­en­t*in­nen bestimmte Gefühle auszulösen, ist das genauso Propaganda wie die Verbreitung von Desinformationen.

Und in Deutschland?

Natürlich, das muss betont werden, gibt es qualitative Unterschiede zwischen autokratischer und demokratischer Propaganda. In autokratischen Systemen werden zum Beispiel Gegenöffentlichkeiten aggressiv bekämpft, indem man widerständigen Aktivismus diffamiert und kriminalisiert, Demonstrationen verbietet oder kleinprügeln lässt.

In einem Land wie Deutschland würde so etwas nicht passieren. Außer man klebt sich für das Klima auf die Straße, protestiert gegen israelische Kriegsverbrechen oder bekennt sich öffentlich dazu, den Kapitalismus abschaffen zu wollen.

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Pauline Jäckels
Meinungsredakteurin
Redakteurin im Meinungsressort seit April 2025. Zuvor zuständig für die parlamentarische Berichterstattung und die Linkspartei beim nd. Legt sich in der Bundespressekonferenz gerne mit Regierungssprecher:innen an – und stellt manchmal auch nette Fragen. Studierte Politikwissenschaft im Bachelor und Internationale Beziehungen im Master in Berlin und London.
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14 Kommentare

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  • Im Grunde kein schlechter Artikel, über den man durchaus nachdenken kann, wobei ich zwischen Propaganda und PR doch eine ordentliche Kluft sehe. Öffentlichkeitsarbeit passt nicht, denn Propaganda kann ein Teil davon sein, daher verwende ich den passenderen Begriff PR.

    Propaganda will ein wir-gegen-die-anderen-Gefühl erzeugen. Dabei spielen Logik und Fakten nicht unbedingt eine Rolle. PR soll informieren und dadurch Verständnis und natürlich auch Wohlwollen produzieren. Dazu stützt sie sich auf überprüfbare Fakten, auf Logik, aber auch auf Emotionen. Finde den Fehler.

    Apropos: Der russische Panzer auf Bild 1 ist Teil einer großen Parade auf dem roten Platz. Was der "Bundeswehrpanzer" (der übrigens eine Haubitze ist) da macht, wissen wir nicht. Über einen eventuellen Fehler kann man also nur spekulieren.

  • Wir sind immer von der Indoktrinaton in old Germany " begeistert " - gerade wenn es um Ukraine, Russland, Rüstungsindustrie, Migranten, Rentenfragen, Sozialsystem, und und und geht. Öffentlichsarbeit klingt aber auch fein...😉

  • Propaganda, auf die wir alle hereingefallen sind?

    Da falle ich jetzt mal auf den verbreiteten Vorwurf von Populismus rein, den ich hiermit der Autorin attestieren möchte. Dieser Vereinnahme durch ein „wir alle“ möchte ich heftig widersprechen. Egal ob er von rechts, links, oben, unten oder aus der Mitte kommt: Wer von einem Wir spricht, sollte dieses Wir schon genauer benennen können und was ihn/sie dazu berechtigt, für dieses Wir zu sprechen. Ansonsten ist das nur Propaganda-Sprech. Zumindest das sollten wir alle in Deutschland irgendwann mal begreifen lernen.

  • Zum Thema kann ich das Buch Die Prinzipien der Krigspropaganda von Anne Morelli empfelen.

  • Tiefer Verfall des Sprachgebrauchs? WTF soll eine integrierte Band sein?



    Da wandeln sich nicht mehr nur die Begriffe, sie werden ins Schwimmen gebracht. Das nicht erst durch die sozialen Medien. Und dann behaupten die „guten (?) Medien“ auch noch, sie würden faktisch berichten, aufklären, einordnen usw.

  • Gut das der Autorin der letzte Absatz noch aus der Feder kam. Als Oberpfälzer kennt man das Gehetze gegen "Anti-", "Linke", "Langhaarige" usw schon sehr lang.

  • 👏👏 Toller Artikel. Genau auf den Punkt gebracht.

    Vielen ist das was hier hervorragend beschrieben wird gar nicht bewusst.

  • "Außer man klebt sich für das Klima auf die Straße, protestiert gegen israelische Kriegsverbrechen oder bekennt sich öffentlich dazu, den Kapitalismus abschaffen zu wollen." - Und alle diese Anliegen kommen natürlich völlig ohne eigene Propaganda aus....

    • @Chris McZott:

      Das ist doch der Punkt: Propaganda machen immer nur diejenigen, deren Meinung man nicht teilt.



      Würde man weniger auf dieses Wort als Kampfbegriff setzen, sondern mehr auf die jeweils genutzten Methoden hinweisen, würde legitime PR und vernunftzersetzende Propaganda einfacher voneinander unterschieden werden können.



      Denn beides kommt in allen Ländern vor. Nur die Verteilung bei den Einzelbeispielen unterscheidet sich gewaltig.

      • @Herma Huhn:

        Eben. Das sehe ich ganz genauso. Nur habe ich nicht den Eindruck, dass das in dem Artikel auch so gemeint ist.

        Der Absatz

        "In einem Land wie Deutschland würde so etwas nicht passieren. Außer man klebt sich für das Klima auf die Straße, protestiert gegen israelische Kriegsverbrechen oder bekennt sich öffentlich dazu, den Kapitalismus abschaffen zu wollen."

        suggeriert in diesem Kontext, dass Propaganda nur von offizieller Seite gegen diese genannten Anliegen existieren würde. Dass es genauso Propaganda FÜR diese geben könnte, kommt als Möglichkeit offenbar gar nicht vor. Soll der Eindruck erweckt werden, dass Klimakleben, Anti-Isreal-Demos und Kapitalismus abschaffen, in Ziel und Mittel objektiv absolut gut und richtig seien??

        Damit wäre dieser Artikel Teil des Problem dass er kritisiert.

    • @Chris McZott:

      Wenn Sie den Artikel noch einmal lesen, bemerken Sie vielleicht, warum dieser Einwand am Punkt vorbeigeht...

  • Durch soziale Medien werden doch ständig Begriffe ausgehöhlt, missverstanden und trivialisiert.

    Beispiele: Whataboutism (wird fast nur falsch verwendet), Trauma (nicht jede unangenehme Kindheitserinnerung ist eins), OCD (du bist einfach nur ordentlich, aber du leidest nicht darunter)…

  • Danke für den Artikel. Sehr interessant und lehrreich.



    "Großbritannien etwa gründete 1914 das British War Propaganda Bureau, um die deutsche Kriegspropaganda zu kontern und die USA zum Kriegseintritt zu bewegen."

    Gibts da eine Quelle zum Kriegseintritt der USA durch Brit Propaganda?

    LG,

  • Aller werben für ihre Interessen. Zu Propaganda wird es meiner Meinung nach, wenn der Staat aus eigenem Interesse Lügen verbreitet. Dass unsere PolitikerInnen kein inniges Verhältnis zu Wahrheit haben, wissen wir alle. Problematisch wird es wenn die Medien hier nicht Kontra bieten mit faktenbasierter Aufklärung, sondern - heute meist aus Profitgier - diese Propaganda mit verbreiten. So geschieht es gerade und schön länger mit der Hetze gegen Geflüchtete, gegen Bürgergeldempfänger. und besonders offensichtlich in Sache extremer Hochrüstung. Da gibt es sehr wenig Gegenstimmen in den Medien, und ich meine hier ausdrücklich nicht social media, sondern die großen Printmedien.