Internettrend: Propaganda, auf die wir alle hereingefallen sind
Ein neuer Trend im Internet nennt quasi alles Propaganda. Doch auch zu strikte Definitionen des Begriffs sind falsch – denn: Jedes Land betreibt sie.

E s gibt diesen Trend im Internet, der eigentlich schon längst wieder vorbei ist – spätestens seit Kanzleramtschef Thorsten Frei (CDU) auf ihn aufsprang. In kurzen Videos mit der Überschrift „propaganda I’m not falling for“ listen Instagram- und Tiktok-User*innen vermeintliche „Propaganda-Erzählungen“ auf, auf die sie selbst nicht hereingefallen seien.
Als Propagandatheorie-Nerd hätte ich mich schon fast über den Trend gefreut. Fällt das Wort Propaganda überhaupt mal, dann nämlich meist nur in Verbindung mit Russland, China oder Nazideutschland – Autokraten, die gezielt Desinformationen verbreiten. Diese weitverbreitete Verwendung des Begriffs ist zwar nicht falsch, aus politikwissenschaftlicher Sicht aber einfach extrem verkürzt.
Der Tiktoktrend katapultierte die Begriffsdeutung nur leider ins andere Extrem. Neben Dingen, die tatsächlich als Propagandaerzählungen durchgehen könnten, listen Nutzer*innen in den Videos willkürliche Begriffe auf, die das Wort bis zur Unkenntlichkeit verwässern: Katzen, Matcha Latte oder DIY-Lipgloss – also einfach Dinge, die viele Leute hypen, die ihnen aber persönlich nicht gefallen.
Klar, es ist ein Internettrend, die Videos sind nur halb ernst gemeint und dienen vor allem der Selbstdarstellung. Der Trend offenbart aber: Obwohl Propaganda so allgegenwärtig ist, wissen weder Instagram-User noch Journalist*innen, die den Trend einzuordnen versuchen, was das Wort genau bedeutet. Der Grund dafür ist ein jahrzehntealter Propagandatrick.
Aus „Propaganda“ wird „Public Relations“
Bis ins 20. Jahrhundert hinein war der Begriff, der vom lateinischen „propagare“ (verbreiten) kommt, neutral besetzt. Noch im Ersten Weltkrieg bezeichneten westliche Staaten ihre Informationsaktivitäten ganz selbstverständlich als Propaganda. Großbritannien etwa gründete 1914 das British War Propaganda Bureau, um die deutsche Kriegspropaganda zu kontern und die USA zum Kriegseintritt zu bewegen.
Mit Joseph Goebbels – Adolf Hitlers „Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda“ – begann das Wort dann mit Manipulation und Lügen assoziiert zu werden.
Der Begriff war also verbrannt. Bedeutete das, dass Staaten auf diese Form der Machtausübung verzichteten? Natürlich nicht. Man hat sich einfach neue, netter klingende Wörter für dieselbe Praxis ausgedacht. Public Relations, Public Diplomacy oder strategische Kommunikation sind alles Euphemismen für das Wort Propaganda. Oder wie der Publizistik-Forscher Michael Kunczik es auf den Punkt bringt: „Unterscheidungen zwischen Werbung, PR und Propaganda“ sind nichts weiter als „semantische Spielereien“.
In der BBC-Dokumentation „Century of the Self“ (2002) erinnert sich der ehemalige US-Propagandist und Vater der Propagandatheorie, Edward Bernays: „Propaganda wurde zu einem Schimpfwort, weil die Deutschen es benutzten. Also versuchte ich, einen anderen Begriff zu finden, und wir dachten uns den Begriff Public Relations aus.“
Alle betreiben Propaganda
Seither wird das Wort Propaganda fast ausschließlich verkürzt propagandistisch als Schimpfwort für die Propaganda der anderen benutzt – frei nach dem Motto: Wir betreiben Öffentlichkeitsarbeit, unsere politischen Feinde betreiben Propaganda. Eine russische Militärparade ist ganz selbstverständlich eine Propagandaveranstaltung. Wenn Deutschland in Litauen mit Panzern seine militärische Macht zur Schau stellt, würde das natürlich kein ernst zu nehmender Hauptstadtjournalist so bezeichnen.
Die Hamas betreibt offensive Kriegspropaganda – das stimmt nicht nur, es scheut sich auch keiner, sie so zu benennen. Wenn Israel Millionen Dollar in Youtube-Werbeclips steckt, die zur Unterstützung der IDF aufrufen, oder mit bezahlten Bots versucht, den Internetdiskurs zu beeinflussen, kommt das Wort Propaganda kaum jemandem über die Lippen – oder eben nur jenen, die gegen die israelische Regierung Stimmung machen wollen.
Wer einmal die wissenschaftliche Definition von Propaganda kennt, merkt schnell, dass einfach alle Staaten, alle Parteien, alle Unternehmen und Lobbygruppen Propaganda betreiben. Propaganda ist nämlich nicht mehr und nicht weniger als der Versuch staatlicher und nichtstaatlicher Akteure, durch das strategische Verbreiten von Informationen die öffentliche Meinung in ihrem Sinne zu beeinflussen.
Lügen und Desinformation können Teil einer Propagandastrategie sein – müssen es aber nicht. Wenn Politiker oder Pressesprecher immerzu dieselben Halbwahrheiten aneinanderreihen oder gezielte Framings wählen, um bei den Rezipient*innen bestimmte Gefühle auszulösen, ist das genauso Propaganda wie die Verbreitung von Desinformationen.
Und in Deutschland?
Natürlich, das muss betont werden, gibt es qualitative Unterschiede zwischen autokratischer und demokratischer Propaganda. In autokratischen Systemen werden zum Beispiel Gegenöffentlichkeiten aggressiv bekämpft, indem man widerständigen Aktivismus diffamiert und kriminalisiert, Demonstrationen verbietet oder kleinprügeln lässt.
In einem Land wie Deutschland würde so etwas nicht passieren. Außer man klebt sich für das Klima auf die Straße, protestiert gegen israelische Kriegsverbrechen oder bekennt sich öffentlich dazu, den Kapitalismus abschaffen zu wollen.
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