Infektionsschutz bei Corona-Protesten: Länder wollen härter durchgreifen
Bei den Kundgebungen gegen Corona-Maßnahmen wird Infektionsschutz oft ignoriert. Nun wollen mehrere Länder und Städte Auflagen strikter durchsetzen.
Nun wollen mehrere Länder und Städte die Wiederholung solcher Szenen verhindern. Als „absolut inakzeptabel“ bezeichnete Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) das „auflagenwidrige Verhalten“ bei den Versammlungen in München und Nürnberg, wo sich statt der genehmigten 50 und 80 Teilnehmer je bis zu 3.000 Menschen zusammengefunden hatten. Man müsse „dafür sorgen, dass solche Geschehnisse nicht mehr auftreten“. Auch Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) sagte, er habe „gar kein Verständnis für Demonstrationen, die durch fehlende Distanz und Mund-Nasenschutz jede positive Entwicklung des Infektionsgeschehens konterkarieren“.
Am Dienstag beschloss die bayrische Landesregierung daher die Erarbeitung eines neuen Auflagen- und Polizeikonzepts für die Kundgebungen. Damit soll eine „infektionsschutzkonforme Durchführung von Versammlungen in Zeiten der Corona-Pandemie bestmöglich gewährleistet“ werden, heißt es im Beschluss. Schwerpunkt sei ein „polizeiliches Kräftemanagement sowie ein örtlich und situativ angepasstes, stufenweises Vorgehen bei der Auswahl geeigneter polizeilicher Maßnahmen“.
Bereits am Montag hatte sich Herrmann mit Reiter, Nürnbergs Oberbürgermeister Marcus König sowie den zuständigen Polizeipräsidenten ausgetauscht. Ein Sprecher Reiters sagte, man werde „im Lichte des vergangenen Samstags“ für künftige Kundgebungen „strenge Kriterien bis hin zur Ablehnung anwenden“.
Henriette Reker (parteilos)
Auch anderenorts will man nun mehr Strenge. So zeigte sich Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) „hochgradig beunruhigt“ über die Proteste, bei denen sich in Stuttgart mehr als 10.000 Menschen versammelt hatten. Die Demonstrationen dürften nicht zu „Infektions-Hotspots“ werden. Konsequenzen würden geprüft.
„Vorgänge nicht nochmal hinnehmen“
Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker (parteilos) äußerte gar, sie habe „mit großer Empörung“ die Corona-Demonstration „einer rechtsextremen und verschwörungstheoretischen Mischpoke in unserer Stadt wahrgenommen“. Mehrere hundert Menschen hatten sich in Köln unangemeldet versammelt. Laut Polizei forderten einige DemonstrantInnen Umstehende auf, ihre Schutzmasken abzunehmen. Reker erklärte: „Nochmal werden die Stadt und Polizei solche Vorgänge nicht hinnehmen.“ Auch Kölns Polizeipräsident Uwe Jacob nannte die Szenen „unbegreiflich“. „Offenbar haben diese Menschen immer noch nicht verstanden, dass es hier nicht nur um ihre Gesundheit, sondern auch um das Leben anderer Menschen geht.“
Auch in Thüringen gibt es Druck. Gesundheitsministerin Heike Werner (Grüne) erwartet, „dass die Polizei für die nächsten Demonstrationen besser vorbereitet ist.“ So hatten in Gera mehrere hundert Menschen, darunter FDP-Landeschef Thomas Kemmerich, demonstriert, teils eng an eng. Für Innenminister Georg Maier (SPD) wäre es schon deshalb möglich gewesen, die Versammlung aufzulösen.
In Berlin kündigte die Polizei bereits ein neues Einsatzkonzept für die nächsten Kundgebungen an. Innensenator Andreas Geisel (SPD) erklärte: „Es ist doch ganz einfach: Je mehr Menschen auf engstem Raum zusammenkommen, umso höher ist das Infektionsrisiko. Das muss unsere Richtschnur für die Bewertung der Lage sein.“
Für die Polizei könnte die eingeforderte Strenge jedoch zum Problem werden. Denn die Auflösung von Versammlungen unterliegt hohen Hürden und bräuchte viele BeamtInnen, um sie durchzusetzen. Zudem drohten Tumulte und auch auf diese Weise Infektionsrisiken. In München hatte die Polizei ihre Zurückhaltung genau damit begründet: „Um eine Eskalation zu vermeiden, wurde aus Gründen der Verhältnismäßigkeit entschieden, die grundsätzlich friedliche Versammlung weiterlaufen zu lassen.“
Zentrale Plätze
Bayerns Innenminister Herrmann schlägt nun vor, die Kundgebungen von zentralen Plätzen zu verbannen – weil sie dort zusätzlich auf tausende Passanten träfen. In München stelle sich zudem die Frage, ob man die Versammlungsleiterin „ein weiteres Mal in dieser Funktion akzeptieren kann“, nachdem diese zum zweiten Mal die Kundgebung nicht habe „lenken“ können. Auch müssten TeilnehmerInnen, die sich nicht an die Auflagen hielten, künftig mit Identitätsfeststellungen durch die Polizei rechnen.
In Cottbus gingen Versammlungsbehörde und Polizei noch einen Schritt weiter: Sie untersagten eine für Dienstag geplante Corona-Kundgebung, organisiert vom islamfeindlichen Verein „Zukunft Heimat“. Die Begründung: Die DemonstrantInnen hätten in der Vorwoche Abstände nicht eingehalten, keine Schutzmasken getragen und sich in größerer Zahl als erlaubt versammelt. Ein AfD-Abgeordneter rief daraufhin zu einer Demonstration an einem anderen Ort auf – die ebenso untersagt wurde. Das Verwaltungsgericht Cottbus gab am späten Nachmittag indes einem Eilantrag gegen das Verbot statt: Die Versammlung durfte mit maximal 50 Teilnehmern und Abstandsauflagen am Abend doch stattfinden.
Sicherheitsbehörden blicken auf Proteste
Inzwischen haben auch Sicherheitsbehörden die Corona-Proteste im Blick. Von einer „sehr dynamischen Lage“ spricht BKA-Präsident Holger Münch. Das Thema Corona werde von Verschwörungstheoretikern „dankend aufgenommen“, auch Rechtsextreme versuchten den Protest „zu kapern“. Die Wahrscheinlichkeit, dass dies ein größeres Problem werde, steige mit einer sinkenden Akzeptanz der Corona-Maßnahmen oder einer wirtschaftlichen Krise. Der Brandenburger Verfassungsschutzchef Jörg Müller spricht bereits von einer „gefährlichen Mischung“ aus Verschwörungstheoretikern, Extremisten und Normalbürgern, die sich auf den Kundgebungen versammelten.
Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hält sich mit einer Einordnung bisher zurück. Die Protestierenden agierten „nicht als zusammenhängende Gruppierung“, sagte sein Sprecher der taz. „Einigkeit besteht lediglich in der vorgebrachten Regierungskritik bezüglich der Corona-Maßnahmen.“ Eine links-rechts-Einordnung sei daher nicht möglich, auch ein „spezifisches Gefahrenpotential bislang nicht erkennbar“. Bei den Verstößen handele es sich bisher um „Einzelfälle“.
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